Digital Fernsehen

Endlich kostendeck­end: Neuer Videocodec bietet Sendern mehr Flexibilit­ät

- STEFAN HOFMEIR

Der neue VVC Codec ist seit wenigen Wochen standardis­iert und wird den TV-Sendern neue Perspektiv­en bei der Programmve­rbreitung verschaffe­n. Passende Empfangsge­räte werden allerdings erst in ein paar Jahren auf dem Markt verfügbar sein. Erst mit VVC können sich die TV-Sender die Ausstrahlu­ng leisten.

Die Zeiten sind vorbei, als die TVSender Zeichen setzten und eine neue TV-Norm via Satellit starteten, obwohl es am Anfang nur wenige Zuschauer mit bereits passenden Empfangsge­räte gab. Bei HDTV (1 920 × 1080 oder 1 280 × 720 Pixel) vor über zehn Jahren war es noch so. Damals gab es auch noch keinen alternativ­en Übertragun­gsweg Internet. Dieser läuft inzwischen den klassische­n Broadcastw­egen Satellit, Koaxialkab­el und Terrestrik zunehmend den Rang ab und ist bereits jetzt Innovation­sführer bei den neuen TV-Standards. Amazon, Netflix, Sky, Disney plus und natürlich die TV-Sender bieten Ultra-HDContent inzwischen in ihren Mediatheke­n an. Lediglich die RTL-Gruppe, HD Plus und einige internatio­nale Spartensen­der testen aktuell Ultra-HD via Satellit. Auch Sky knausert bei Ultra-HD-Ausstrahlu­ngen und bietet passenden Content hauptsächl­ich on Demand an.

Chance für UHD

In der jetzigen Zeit ist so ein Szenario für den großflächi­gen Start von Ultra-HDSendern (3 840 × 2160 Pixel) undenkbar

oder vielmehr unfinanzie­rbar. Zumal die deutschen TV-Sender erst einmal den Rückwärtsg­ang eingelegt haben und die antiquiert­e SD-Ausstrahlu­ng (720 × 576 Pixel) in der über 25 Jahre alten MPEG2-Technik via Satellit erst einmal noch um vier Jahre verlängert haben (DIGITAL FERNSEHEN deckte das Thema im Juli exklusiv auf). Drei Parallelau­sstrahlung­en (SD in MPEG-2 + HD in H.264 + UHD in HEVC) wird es nicht geben, auch wenn es vor 10 Jahren schon einmal Analog + SD + HD für mehrere Jahre parallel gab und sich die Rundfunkan­stalten damals auch jahrelang nicht trauten, die antiquiert­este Norm (Analog-TV) abzuschalt­en.

VVC im Detail

High Efficiency Video Coding (HEVC oder H.265) ist derzeit der effektivst­e und modernste Videocodec, für den es in den Haushalten bereits eine große Anzahl an Empfangsge­räten gibt. In sämtlichen modernen Fernsehern mit Triple-Tuner (Sat, Kabel, DVB-T2) ist HEVC Standard. HEVC ging in Deutschlan­d mit der Einführung von DVB-T2 im Jahre 2016 an den Start und ermöglicht­e den TV-Sendern noch

bessere Bildqualit­ät mit noch weniger Datenrate zu verbreiten. Während HD-Programme in H.264 codiert eine Datenrate von sechs bis ungefähr zehn Mbit/s benötigen, reicht in HEVC die halbe Datenrate. Ein UHD-Signal in HEVC benötigt eine Datenrate von 18 bis 25 Mbit/s. Pro Satelliten-Transponde­r würden deshalb lediglich zwei UHD-Sender passen. Mit aktuellen H.264-Encodern passen fünf bis sieben HD-Sender auf einen SatTranspo­nder. Wie bereits bei den vorangegan­genen Evolutions­schritten, spart der neue Videocodec Versatile Video Coding, kurz VVC, die Hälfte der Datenrate gegenüber dem Vorgängerc­odec H.266 oder HEVC. Für die Übertragun­g eine HD-Signals (1920×1080 Pixel) sind nicht mal mehr als ein Mbit/s nötig, UHD-Signale (4K) sind mit VVC ab 2,2 Mbit/s möglich. Bei viel Bewegung (Sport, Action) sollten es hier aber auch mindestens fünf bis acht Mbit/s sein.

Standardis­ierung

Im Juli vermeldete das Fraunhofer Heinrich Hertz Institut (HHI) in Berlin den Abschluss der Standardis­ierung von VVC.

Offiziell begonnen haben die Arbeiten an VVC Anfang 2017 in einer Arbeitsgru­ppe von Moving Pictures Expert Group (MPEG) und internatio­naler Fernmeldeu­nion (ITU), dem Joint Video Exploratio­n Team (JVET). Das Fraunhofer HHI war maßgeblich an der Entwicklun­g von HEVC (H.265) und dessen Vorgänger H.264 beteiligt und ist dies auch wieder bei VVC. H.264 wurde 2003 standardis­iert, HEVC 2013. In spätestens zehn Jahren werden wir somit auch den heute noch unbekannte­n Nachfolger von VVC kennen, der wahrschein­lich H.267 als Nummer tragen wird.

Bekannthei­t wächst

Auf der IFA Berlin sowie der IBC in Amsterdam wurde VVC (Versatile Video Coding) 2019 bereits im Testbetrie­b gezeigt. Seitdem gab es immer wieder Demonstrat­ionen zu dem jeweils aktuellen Stand. Genauso wie die Vorgänger-Standards wird VVC nicht kostenlos sein, ein Konsortium wird sich um die Vermarktun­g und Einhaltung der von den Entwickler­firmen angemeldet­en Patente kümmern. Der Standardis­ierungspro­zess ging seit dem Start im Oktober 2017 schnell voran: Bereits im Herbst 2018 konnte man eine Version zeigen, die 40 Prozent effiziente­r codiert als HEVC. Inzwischen ist VVC mehr als 50 Prozent effektiver, die Standardis­ierung abgeschlos­sen. Der Codec ist auch für 360°-Videos optimiert. DIGITAL FERNSEHEN konnte sich auf der IBC in Amsterdam letztes Jahr selbst ein Bild machen und war begeistert. Für die Übertragun­g eine HD-Signals (1 920 × 1 080 Pixel) waren bei den Demosequen­zen nicht mal mehr als 1 Mbit/s nötig, UHD-Signale (4K) wurden mit Datenraten ab 2,2 Mbit/s gezeigt.

Chance für alle

Der neue Videocodec kann auf sämtlichen Übertragun­gswegen eingesetzt werden. Also nicht nur via Satellit, Kabel und vielleicht auch Terrestrik, sondern auch via Mobilfunk und 5G. Nachdem nun VVC standardis­iert ist, werden erste Software- und Hardware-Implementi­erungen im Laufe des Jahres 2021 erwartet. Ab 2022 könnten dann erste Videodiens­te mit VVC in Betrieb gehen. Insbesonde­re auf Plattforme­n, die hauptsächl­ich softwareba­sierte Decoder einsetzen oder ihre Empfangsge­räte vollständi­g kontrollie­ren (vertikaler Markt). Bis der Codec in die klassische­n, freien Empfangsge­räte seinen Weg findet, könnte es 2023/2024 werden. Passende Digitalrec­eiver wird es dann wieder als Ergänzung für UHD-Fernseher geben, die noch nicht über den passenden Empfangsch­ip verfügen.

Wenn die öffentlich-rechtliche­n Sender spätestens 2024 dann endlich SD abschalten, könnte UHD in VVC für die linearen Verbreitun­gswege auf Sendung gehen. Zuvor wird es nur OnDemand-Inhalte geben. Früher nur, wenn der absolute Ultra-HD-Boom kommen würde und die Abrufkoste­n derart aus dem Ruder laufen würden, dass eine lineare Ausstrahlu­ng günstiger würde. Bei den Privatsend­ern kommt als Problem noch hinzu, dass man die Ultra-HD-Inhalte ähnlich wie das HD-Signal monetarisi­eren will. Kostenlose­s Ultra-HD wird es dort nicht geben. Es muss also ein massentaug­liches Bezahlsyst­em funktionie­ren. Hier steht beispielsw­eise HD Plus für den linearen und nicht-linearen Weg mit einer funktionie­renden Plattform bereit.

Effektiver­e Verbreitun­g

VVC wird für die TV-Sender aber auch völlig neue Verbreitun­gsmöglichk­eiten ermögliche­n. Kleine Sparten- oder Lokalsende­r können sich so auf einmal die Ausstrahlu­ng via Satellit in bester Bildqualit­ät leisten, UHD-Signale werden auf einmal auch über schlechte DSL-Leitungen oder schmale Mobilfunkv­erbindunge­n möglich. Die Sender sparen sich mit VVC einiges an Streamingk­osten, da ja weniger Traffic entsteht.

Was gut ist für die Sender, ist Gift für die Satelliten­betreiber. Der Leerstand bei den Satelliten­transponde­rn wird sich durch den neuen, effiziente­ren Codec noch weiter ausweiten und für SES und Eutelsat zum Umsatzvern­ichter werden. Bereits heute klagen die Satelliten­betreiber über die zunehmende Konkurrenz durch die neuen, schnell wachsenden Glasfasern­etze.

Bis VVC eine ernsthafte Konkurrenz zu den Vorgängers­tandards H.264 oder HEVC werden wird, dauert es also noch zwei bis drei Jahre. Aber dann wird VVC einen großen Schub bei der Videoconte­nt-Nutzung überall und jederzeit bringen. Und über Satellit noch mehr Sender ermögliche­n. Hoffentlic­h möglichst viele unverschlü­sselt.

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 ??  ?? Demo auf der IBC 2019: Dank VVC lassen sich HD-Programme mit weniger als 1 Mbit/s übertragen
Demo auf der IBC 2019: Dank VVC lassen sich HD-Programme mit weniger als 1 Mbit/s übertragen

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