Endlich kostendeckend: Neuer Videocodec bietet Sendern mehr Flexibilität
Der neue VVC Codec ist seit wenigen Wochen standardisiert und wird den TV-Sendern neue Perspektiven bei der Programmverbreitung verschaffen. Passende Empfangsgeräte werden allerdings erst in ein paar Jahren auf dem Markt verfügbar sein. Erst mit VVC können sich die TV-Sender die Ausstrahlung leisten.
Die Zeiten sind vorbei, als die TVSender Zeichen setzten und eine neue TV-Norm via Satellit starteten, obwohl es am Anfang nur wenige Zuschauer mit bereits passenden Empfangsgeräte gab. Bei HDTV (1 920 × 1080 oder 1 280 × 720 Pixel) vor über zehn Jahren war es noch so. Damals gab es auch noch keinen alternativen Übertragungsweg Internet. Dieser läuft inzwischen den klassischen Broadcastwegen Satellit, Koaxialkabel und Terrestrik zunehmend den Rang ab und ist bereits jetzt Innovationsführer bei den neuen TV-Standards. Amazon, Netflix, Sky, Disney plus und natürlich die TV-Sender bieten Ultra-HDContent inzwischen in ihren Mediatheken an. Lediglich die RTL-Gruppe, HD Plus und einige internationale Spartensender testen aktuell Ultra-HD via Satellit. Auch Sky knausert bei Ultra-HD-Ausstrahlungen und bietet passenden Content hauptsächlich on Demand an.
Chance für UHD
In der jetzigen Zeit ist so ein Szenario für den großflächigen Start von Ultra-HDSendern (3 840 × 2160 Pixel) undenkbar
oder vielmehr unfinanzierbar. Zumal die deutschen TV-Sender erst einmal den Rückwärtsgang eingelegt haben und die antiquierte SD-Ausstrahlung (720 × 576 Pixel) in der über 25 Jahre alten MPEG2-Technik via Satellit erst einmal noch um vier Jahre verlängert haben (DIGITAL FERNSEHEN deckte das Thema im Juli exklusiv auf). Drei Parallelausstrahlungen (SD in MPEG-2 + HD in H.264 + UHD in HEVC) wird es nicht geben, auch wenn es vor 10 Jahren schon einmal Analog + SD + HD für mehrere Jahre parallel gab und sich die Rundfunkanstalten damals auch jahrelang nicht trauten, die antiquierteste Norm (Analog-TV) abzuschalten.
VVC im Detail
High Efficiency Video Coding (HEVC oder H.265) ist derzeit der effektivste und modernste Videocodec, für den es in den Haushalten bereits eine große Anzahl an Empfangsgeräten gibt. In sämtlichen modernen Fernsehern mit Triple-Tuner (Sat, Kabel, DVB-T2) ist HEVC Standard. HEVC ging in Deutschland mit der Einführung von DVB-T2 im Jahre 2016 an den Start und ermöglichte den TV-Sendern noch
bessere Bildqualität mit noch weniger Datenrate zu verbreiten. Während HD-Programme in H.264 codiert eine Datenrate von sechs bis ungefähr zehn Mbit/s benötigen, reicht in HEVC die halbe Datenrate. Ein UHD-Signal in HEVC benötigt eine Datenrate von 18 bis 25 Mbit/s. Pro Satelliten-Transponder würden deshalb lediglich zwei UHD-Sender passen. Mit aktuellen H.264-Encodern passen fünf bis sieben HD-Sender auf einen SatTransponder. Wie bereits bei den vorangegangenen Evolutionsschritten, spart der neue Videocodec Versatile Video Coding, kurz VVC, die Hälfte der Datenrate gegenüber dem Vorgängercodec H.266 oder HEVC. Für die Übertragung eine HD-Signals (1920×1080 Pixel) sind nicht mal mehr als ein Mbit/s nötig, UHD-Signale (4K) sind mit VVC ab 2,2 Mbit/s möglich. Bei viel Bewegung (Sport, Action) sollten es hier aber auch mindestens fünf bis acht Mbit/s sein.
Standardisierung
Im Juli vermeldete das Fraunhofer Heinrich Hertz Institut (HHI) in Berlin den Abschluss der Standardisierung von VVC.
Offiziell begonnen haben die Arbeiten an VVC Anfang 2017 in einer Arbeitsgruppe von Moving Pictures Expert Group (MPEG) und internationaler Fernmeldeunion (ITU), dem Joint Video Exploration Team (JVET). Das Fraunhofer HHI war maßgeblich an der Entwicklung von HEVC (H.265) und dessen Vorgänger H.264 beteiligt und ist dies auch wieder bei VVC. H.264 wurde 2003 standardisiert, HEVC 2013. In spätestens zehn Jahren werden wir somit auch den heute noch unbekannten Nachfolger von VVC kennen, der wahrscheinlich H.267 als Nummer tragen wird.
Bekanntheit wächst
Auf der IFA Berlin sowie der IBC in Amsterdam wurde VVC (Versatile Video Coding) 2019 bereits im Testbetrieb gezeigt. Seitdem gab es immer wieder Demonstrationen zu dem jeweils aktuellen Stand. Genauso wie die Vorgänger-Standards wird VVC nicht kostenlos sein, ein Konsortium wird sich um die Vermarktung und Einhaltung der von den Entwicklerfirmen angemeldeten Patente kümmern. Der Standardisierungsprozess ging seit dem Start im Oktober 2017 schnell voran: Bereits im Herbst 2018 konnte man eine Version zeigen, die 40 Prozent effizienter codiert als HEVC. Inzwischen ist VVC mehr als 50 Prozent effektiver, die Standardisierung abgeschlossen. Der Codec ist auch für 360°-Videos optimiert. DIGITAL FERNSEHEN konnte sich auf der IBC in Amsterdam letztes Jahr selbst ein Bild machen und war begeistert. Für die Übertragung eine HD-Signals (1 920 × 1 080 Pixel) waren bei den Demosequenzen nicht mal mehr als 1 Mbit/s nötig, UHD-Signale (4K) wurden mit Datenraten ab 2,2 Mbit/s gezeigt.
Chance für alle
Der neue Videocodec kann auf sämtlichen Übertragungswegen eingesetzt werden. Also nicht nur via Satellit, Kabel und vielleicht auch Terrestrik, sondern auch via Mobilfunk und 5G. Nachdem nun VVC standardisiert ist, werden erste Software- und Hardware-Implementierungen im Laufe des Jahres 2021 erwartet. Ab 2022 könnten dann erste Videodienste mit VVC in Betrieb gehen. Insbesondere auf Plattformen, die hauptsächlich softwarebasierte Decoder einsetzen oder ihre Empfangsgeräte vollständig kontrollieren (vertikaler Markt). Bis der Codec in die klassischen, freien Empfangsgeräte seinen Weg findet, könnte es 2023/2024 werden. Passende Digitalreceiver wird es dann wieder als Ergänzung für UHD-Fernseher geben, die noch nicht über den passenden Empfangschip verfügen.
Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender spätestens 2024 dann endlich SD abschalten, könnte UHD in VVC für die linearen Verbreitungswege auf Sendung gehen. Zuvor wird es nur OnDemand-Inhalte geben. Früher nur, wenn der absolute Ultra-HD-Boom kommen würde und die Abrufkosten derart aus dem Ruder laufen würden, dass eine lineare Ausstrahlung günstiger würde. Bei den Privatsendern kommt als Problem noch hinzu, dass man die Ultra-HD-Inhalte ähnlich wie das HD-Signal monetarisieren will. Kostenloses Ultra-HD wird es dort nicht geben. Es muss also ein massentaugliches Bezahlsystem funktionieren. Hier steht beispielsweise HD Plus für den linearen und nicht-linearen Weg mit einer funktionierenden Plattform bereit.
Effektivere Verbreitung
VVC wird für die TV-Sender aber auch völlig neue Verbreitungsmöglichkeiten ermöglichen. Kleine Sparten- oder Lokalsender können sich so auf einmal die Ausstrahlung via Satellit in bester Bildqualität leisten, UHD-Signale werden auf einmal auch über schlechte DSL-Leitungen oder schmale Mobilfunkverbindungen möglich. Die Sender sparen sich mit VVC einiges an Streamingkosten, da ja weniger Traffic entsteht.
Was gut ist für die Sender, ist Gift für die Satellitenbetreiber. Der Leerstand bei den Satellitentranspondern wird sich durch den neuen, effizienteren Codec noch weiter ausweiten und für SES und Eutelsat zum Umsatzvernichter werden. Bereits heute klagen die Satellitenbetreiber über die zunehmende Konkurrenz durch die neuen, schnell wachsenden Glasfasernetze.
Bis VVC eine ernsthafte Konkurrenz zu den Vorgängerstandards H.264 oder HEVC werden wird, dauert es also noch zwei bis drei Jahre. Aber dann wird VVC einen großen Schub bei der Videocontent-Nutzung überall und jederzeit bringen. Und über Satellit noch mehr Sender ermöglichen. Hoffentlich möglichst viele unverschlüsselt.