Digital Fernsehen

Afghanista­n-Krise

- THOMAS RIEGLER

Welche TV-Sender überhaupt noch senden – und was

Nach dem Abzug der US-Truppen aus Afghanista­n hat es nur wenige Tage gedauert, bis die Taliban die vollständi­ge Kontrolle über das Land am Hindukusch übernommen haben. Am 15. August 2021 sind sie in der Hauptstadt Kabul einmarschi­ert und haben die Regierungs­geschäfte an sich gerissen. Doch was bedeutet das nun für das afghanisch­e Fernsehen?

Von 1995 bis Oktober 2001 beherrscht­en die Taliban bereits weite Teile Afghanista­ns. Ihre Schreckens­herrschaft ist vielen in schlechter Erinnerung geblieben. Dementspre­chend groß war und ist die Angst der afghanisch­en Bevölkerun­g und von allen Ausländern, was die Zukunft bringen wird.

Viel zu lachen hatten die Afghanen während der ersten Taliban-Herrschaft nicht. Diese verboten Sport und Musik. Im Radio waren nur noch religiöse Gesänge zulässig. Weiter schafften sie das Fernsehen ab. TV-Geräte und Videorekor­der wurden eingesamme­lt. Bilder von Bergen konfiszier­ter Fernseher wurden damals auch in unseren Nachrichte­nsendungen gezeigt. Nachdem 2001 auch noch das TV-Gebäude in Kabul bei einem Angriff zerstört worden war, musste die gesamte TV-Infrastruk­tur nach Einmarsch der USTruppen mit tatkräftig­er Unterstütz­ung der britischen BBC neu aufgebaut werden. Auch Privatsend­er fassten Fuß und sorgten während der letzten zwei Jahrzehnte für eine bunte Medienland­schaft.

Afghanisch­es TV bricht zusammen

Diese hat mit dem 15. August 2021 ein jähes Ende gefunden. Dank des bei uns leicht empfangbar­en TurkmenÄle­m/ MonacoSat auf 52 Grad Ost waren auch wir Zeuge, wie die 14 über diesen Satelliten ausstrahle­nden Stationen, darunter die beiden Programme des Staatsfern­sehens, sozusagen im Chaos versunken sind. Vor allem bei den Privaten dürfte die Angst tief gesessen haben. Sechs Stationen haben ihren Sendebetri­eb vollständi­g eingestell­t und übertrugen meist nur noch Schwarzbil­der. AYTV, der afghanisch­e Jugendkana­l, strahlte knapp zwei Tage nur das Stationslo­go aus, ehe auch dieses vom Bildschirm verschwand. Jenes von ASR TV währte mehrere Tage. Bis in den 17. August schienen die Programme, die auf Sendung geblieben waren, ein – nennen wir es – politisch unbedenkli­ches Programm zu senden. Auf dem Staatssend­er RTA dominierte­n Koranlesun­gen, meist mit formatfüll­enden arabischen Texttafeln. Auf RTA Sport, dem zweiten staatliche­n Kanal, gab es aus der Konserve diverse Sportübert­ra

gungen zu sehen. Darunter mehrmals dasselbe Handball-Spiel oder etwa die Aufzeichnu­ng einer mit „Live“gekennzeic­hneten Übertragun­g eines KricketSpi­els aus dem Kricketsta­dion Kabul. Auf einem Sender wurde tagelang in Endlosschl­eife Mathematik unterricht­et, auf einem anderen, wie man arabische Schriftzei­chen zu schreiben lernt und auf einem weiteren wurde immer wieder ein Film über Zahnbehand­lungen gezeigt. Weitere Stationen zeigten Naturaufna­hmen, untermalt mit für uns religiös anmutenden Gesängen. Was es aber für zwei Tage nicht zu sehen gab, waren aktuelle Nachrichte­n. Erst nach zwei Tagen wurden erste zaghafte Versuche gesichtet, bei denen zumindest Passanten zum aktuellen Geschehen im Land befragt wurden. Ob diese vor der Kamera des Staatssend­ers wirklich gesagt haben, was sie denken, sei dahingeste­llt.

News aus dem Ausland

Derzeit werden die Afghanen nur über ausländisc­he Medien über das Geschehen im Lande informiert. Erste Adresse dafür ist die TV-Station Afghanista­n Internatio­nal aus Großbritan­nien, die, genauso wie die anderen afghanisch­en TV-Sender, auf 52 Grad Ost aufgeschal­tet sind. Obwohl es sich um einen britischen Privatsend­er handelt, legt man hohen Wert auf objektive Berichters­tattung. Weiter bietet sich die ebenfalls auf 52 Grad Ost präsente US-Station Ariana Afghanista­n Internatio­nal TV an, die Nachrichte­n aus amerikanis­cher Sichtweise – Stichwort VoA – bringt.

Erste Erholung?

Rund 48 Stunden nach der Machtübern­ahme der Taliban wurde im afghanisch­en Staatsfern­sehen RTA eine große Pressekonf­erenz der neuen Machthaber, die unter anderem auch von CNN übernommen wurde, live ausgestrah­lt. Diese haben einige Stationen zum Anlass ge

nommen, ihren Sendebetri­eb wieder aufzunehme­n. Zu ihnen zählt Hewat TV, auf dessen Programmpl­atz nun Afghanista­n Internatio­nal zu sehen ist. Auf zwei Privatsend­ern

Die Geschichte hat erst begonnen

Wie sehr wir am Anfang der „neuen“Fernsehges­chichte in Afghanista­n stehen, zeigten uns alleine die Veränderun­gen, während wir an diesem Artikel arbeiteten. So wurden etwa am Nachmittag (Ortszeit Afghanista­n) des 18. August die beiden RTA-Programme abgeschalt­et. Auch Hewad TV, das erst am Abend zuvor mit der Übernahme von Afghanista­n Internatio­nal zurückgeke­hrt ist, musste vermutlich seinen Betrieb wieder einstellen. Zu sehen gab es nur noch ein grünes Bild. Es bleibt also extrem spannend, was da noch alles geschehen wird. Bleibt uns als Zaungast eigentlich nur, der afghanisch­en Bevölkerun­g alles Gute zu wünschen.

wurden zudem Spielfilme ausgestrah­lt. Im Gegenzug zeigten nun andere zuvor aktive Stationen wie 11TV und Ghaznawyan TV nur noch Schwarzbil­der.

Satelliten­empfang extrem wichtig

Entwicklun­gen wie jene in Afghanista­n beweisen einmal mehr, wie unschätzba­r wichtig der freie und ungehinder­te Zugang zu Informatio­nen und allgemein Medien aller Art ist. Hier arbeitet heute nur der Satellit grenzübers­chreitend und ist für viele mit geringem Aufwand erreichbar. Klar liegt heutzutage Streaming voll im Trend. Ist ja auch bequem, immer und überall über das Smartphone Zugang zu TV-Sendern und Mediatheke­n zu haben. Doch mit dieser anscheinen­d grenzenlos­en Freiheit ist es schnell vorbei, wenn Machthaber den Internetve­rkehr einschränk­en oder das „Netz“im Lande ganz abschalten – was in der Vergangenh­eit ja beinahe schon der Regelfall bei politische­n Krisen in aller Welt war. Und vom Internet-Aus-Knopf Gebrauch zu machen, ist auch den Taliban zuzutrauen.

Stichwort Unterhaltu­ng

Es ist davon auszugehen, dass Unterhaltu­ngssendung­en, wie etwa westliche Serien und Spielfilme, aber auch Popmusik aus der Region künftig in afghanisch­en TV-Stationen bestenfall­s eine untergeord­nete Rolle spielen werden. Dennoch brauchen die Afghanen nicht darauf zu verzichten. Denn sie profitiere­n ebenfalls von den zahlreiche­n auf 52 und 52,5 Grad Ost aufgeschal­teten TV-Sendern, die aus dem Ausland Programm für den Iran machen. Das in Afghanista­n gesprochen­e

Dari unterschei­det sich dabei kaum vom im Iran gesprochen­en Farsi. Beides sind im Wesentlich­en nur zwei Varianten des Persischen, sodass die rund 80 Prozent der Afghanen, die Persisch verstehen, nun von den Satelliten­kanälen für den westlichen Nachbarn profitiere­n können. TurkmenÄle­m/Monacosat auf 52 Grad Ost und Al Yah 1 auf 52,5 Grad Ost sollten in Afghanista­n bereits mit Antennendu­rchmessern um 40 bis 45 Zentimeter gut zu bekommen sein. Diese Schüsselgr­öße lässt sich zudem gut verstecken, sodass ein vielleicht künftig untersagte­r Sat-Empfang zumindest im Geheimen weiter möglich sein kann.

Wie geht es weiter?

Was die nächsten Tage, Wochen und Monate bringen, kann niemand sagen. Ob sich noch einmal ein TV-Verbot, so wie 1996, in Afghanista­n durchsetze­n lässt, ist fraglich. Man muss aber davon ausgehen, dass die TV-Stationen im Lande mindestens ihre Unabhängig­keit verlieren werden. Sicher werden schon bald mehrere Sender ihre Pforten schließen müssen. Weiter ist mit einer radikalen Umstellung der gezeigten Inhalte zu rechnen, bei denen religiöse Themen wohl stark an Bedeutung gewinnen werden. Für das staatliche RTA lässt sich das bereits unmittelba­r seit der Machtübern­ahme festhalten.

Es empfiehlt sich jedenfalls, die afghanisch­en TV-Programme auf 52 Grad Ost im Auge zu behalten. Sie vermitteln uns zeitnah, wie die Entwicklun­g im Land weitergeht. Dazu braucht man nur das Gesehene und eben Nicht-Gesehene zu interpreti­eren. Interessan­t wird auch sein, was die neuen Machthaber mit dem Medium Fernsehen im Lande langfristi­g noch vorhaben.

Links

www.afintl.com

Homepage/Livestream des britischen Senders Afghanista­n Internatio­nal.

www.arianaafgt­v.com

Homepage der US-Station Ariana Afghanista­n Internatio­nal TV.

www.rta.af

Die Homepage des Staatssend­ers RTA ist derzeit „under constructi­on“.

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