Manufacturing Execution Systems
Grüne Welle in der Produktion: MES statt .xls
Die Schneider Electric SE fertigt in einem komplexen Prozess Schaltschränke für die Verteilung von Strom in Niederspannungsnetzen. Für eine automatisierte und lückenlose Datenerfassung greift das Unternehmen auf eine Mes-software mit MDE, BDE, Monitoring und Auswertung zurück. Die erhobenen Kennzahlen bilden die Grundlage, um eine verlässliche Oee-datenbasis zu ermitteln.
RADIOWECKER, Licht, Toaster, Herd, Kaffeemaschine, Laptop, Ladegerät fürs Smartphone, Fernseher – durch die Steckdose erhalten wir die Energie, die unser modernes Leben am Laufen hält. So weit, so gut, doch wie gelangt der Strom in die Steckdosen? Die dringende Frage nach dem Netzausbau zeigt, wie aktuell das Thema Energieversorgung und -verteilung gerade in Deutschland diskutiert wird. Das französische Unternehmen Schneider Electric SE aus Rueil-malmaison hat sich bereits vor Jahren dieser Frage angenommen und produziert Anlagen für die Ausstattung von Mittelspannungs- und Niederspannungsnetzen zur Energieverteilung. In ihrer Niederlassung im elsässischen Sarre-union fertigt Schneider Electric komplette Schaltschränke für Energieverteilung und Industrieautomatisierung. In erster Linie gehören dazu Schaltschränke, mit einer Frontfläche von etwa 120 x 120 Zentimeter bis hin zu 300 x 300 Zentimeter.
Komplexe Produktion bis zum fertigen Endprodukt
Diese Schaltschränke sind komplett ausgestattet und mit Anschlusskabeln versehen, sodass sie beim Kunden innerhalb kürzester Zeit in Betrieb genommen werden können. Schneider Electric stellt sowohl Standard-schaltschränke her, die über einen genau definierten Funktionsumfang verfügen und vom Kunden als Produkt aus dem Katalog bestellt werden können, als auch Sonderanfertigungen, customized nach Kundenaufforderungen und -wünschen. Beide Schranktypen werden in der ganzen Welt eingesetzt und müssen daher in allen Klimazonen einwandfrei funktionieren.
Aufgrund der hohen Fertigungstiefe bei Schneider Electric werden sehr viele Arbeitsgänge benötigt, bis das Endprodukt versandfertig verpackt werden kann. Zunächst werden Blechteile ausgeschnitten, beziehungsweise gestanzt, und mit Bohrungen oder Öffnungen an diversen Stellen versehen. In einem weiteren Schritt erfolgt das Biegen und Formen der Blechteile, später werden sie mit Bolzen versehen, um die Verbindungen zwischen zwei Blechteilen zu stabilisieren. In weiteren Schritten dichten Mitarbeiter
sie mit Schaum ab und versehen sie mit Kabelöffnungen, bevor sie mit elektronischen Bauteilen bestückt werden.
Aufgrund des hohen Automatisierungsgrades im Werk verfügt Scheider Electric für jeden Arbeitsgang über eine eigene Spezialanlage oder Maschine. Die Arbeitszeit in Produktion und Montage ist in drei Schichten von Montag bis Freitag organisiert. Bei Auftragsspitzen können mit der Belegschaft auch Sonderschichten am Wochenende vereinbart werden. Zur Erfassung aller Daten in der Produktion dazu gehören unter anderem Rüstzeiten, aktuellen Maschinenlaufzeiten, Arbeitsanfang, Arbeitsende, Produktivzeiten, Störzeiten setzt Schneider Electric in Sarre-union die Mdeund Bde-systeme des Mes-spezialisten Proxia Software ein. Die so erhobenen Maschinen- und Betriebsdaten geben den Verantwortlichen im Schneider-werk einen vollständigen, lückenlosen und vor allem auch einen neutralen Einblick über die Vorgänge in der Produktion – und das in Echtzeit.
Unsicherheitsfaktor Mensch
Bevor die Daten erhoben wurden, stand Valentin Hoffmann, Fertigungsleiter bei Schneider Electric, vor der Herausforderung, Maschinen und Anlagen im elsässischen Werk effizienter und ökonomischer einzusetzen. Ihm war klar, dass in den einzelnen Prozessen noch sehr viel Optimierungspotenzial schlummerte. Um überhaupt festzustellen, was Mensch und Maschinen leisteten, mussten die Angestellten zunächst Verschleiße, Arbeitsunterbrechungen oder ähnliche Probleme per Hand mittels Excel-tabellen festhalten. Allerdings – das stellte Valentin Hoffmann schnell fest – gaben die erhobenen Daten die wirkliche Ist-situation in der Fertigung nicht exakt wieder. Zum Teil lag es daran, dass die Mitarbeiter die Zeiten nur grob schätzten oder schlichtweg bestimmte Informationen vergaßen. Fertigungsleiter Hoffmann erinnert sich:„das Problem war immer, dass die Mitarbeiter diese Informationen erst am Ende der Schicht eingetragen haben. Und dann mussten sie den Tag Revue passieren lassen: Was habe ich heute gemacht? Wo war ich? War ich eine Stunde oder nur halbe Stunde an der Maschine? All das hat zu sehr großen Ungenauigkeiten in der Dokumentation der Betriebsdaten, wie auch zu Zeitverzug geführt.“
Neben Excel-tabellen verwendete das Werk in Sarre-union zur Erfassung rudimentärer Maschinendaten bereits elektronische einfache Maschinenterminals von Kienzle. Doch auch diese lieferten zusammen mit der Excel-tabelle nicht die gewünschten Informationen. Dazu kam, dass die Mitarbeiter zum Teil drei verschiedene Systeme nutzen mussten, um die Informationen aus der Fertigung in eine digitale Form zu bringen, was die Erfassung zusätzlich erschwerte und weitere Fehlerquellen barg.
„Die Daten haben einfach nicht gestimmt. Darum haben wir ein modernes Softwaresystem evaluiert, das uns exakte, vollständige und lückenlose Maschinenund Betriebsdaten in Echtzeit erfasst“, erklärt Hoffmann. Er hatte vor allem das Ziel, die manuelle Datenerfassung zu vereinfachen und so weit wie möglich zu automatisieren: Die Informationen sollten direkt von Maschinen an ein zentrales System übertragen werden. Auch die Erfassung und Speicherung von Qualitätsdaten sollte zukünftig durch dieses System mitübernommen werden. Aus 3 mach 1: Das Ziel war die Konsolidierung
der unterschiedlichen Erfassungsmethoden, dabei sollte der Unsicherheitsfaktor Mensch außen vor bleiben.
Digitalisierung in der Prozesskette für Industrie 4.0
Konsolidierung, Automatisierung und Eliminierung der Fehlerquote: Unter diesen Aspekten wurde 2015 die Maschinendatenerfassung von Proxia eingeführt. Zunächst wurden fünf Maschinen (MDE) im Testbetrieb an das Mes-system angeschlossen. Über eine SPS wurden diese Maschinen an Erfassungsterminals angebunden. Nach Optimierung und Anpassung wurde das System auf alle relevanten Maschinen und Anlagen ausgerollt.
Ein Kundenauftrag wird zunächst mit den wichtigsten Informationen im Erpsystem SAP angelegt und terminiert: Artikel, Auftragsdaten, Artikeldaten, Lieferfristen mit Enddatum sowie die Arbeitsfolgen. Diese Daten werden anschließend in das MDE/BDE-SYSTEM überspielt. An den Terminals in der Produktion werden Aufträge und Arbeitsfolgen visualisiert. Die Rückmeldung über alle relevanten Fertigungsdaten und -zeiten beispielsweise über die produzierten Stückzahlen erfolgt online im MES. Daraus errechnet das System die Gesamtanlageneffektivität (OEE) und weitere Kennzahlen, um die aktuelle Produktivität im Werk zu ermitteln.
Nachdem sich die automatisierte Maschinendatenerfassung bewährt hatte, entschlossen sich Valentin Hoffmann und sein Team, das MES zu erweitern. Die MDE sollte nun durch eine BDE für die manuelle Eingabe von Betriebsdaten erweitert werden. Ziel war es, die Prozesskette als Ganzes zu verbessern und die Basis für Industrie 4.0 zu schaffen. Dazu implementierte Schneider Electric neben MDE und BDE auch das Mes-monitoring sowie das Auswertungs- und Kennzahlen-cockpit, um die erfassten Daten entsprechend zu auszuwerten: Dazu gehören beispielsweise Reports über Auslastung, Effektivität, Störgründe sowie eine Zeitstrahl-darstellung der Haupt- und Nebenzeiten.
Die fertigungstechnische und ablauforganisatorische Besonderheit im Schneider Werk: Am selben Tag werden wechselnd große, mittlere sowie kleine Produkte gefertigt. Für die Herstellung und Bearbeitung der einzelnen Bauteile benötigen Anlagen und Mitarbeiter unterschiedlich lange. Die Herausforderung besteht nun darin, die Arbeitsschritte so zu koordinieren, dass sie möglichst optimal ineinandergreifen.
Eine werkstattorientierte Feinplanung, die da beginnt, wo SAP aufhört, wäre durchaus sinnvoll, gibt Valentin Hoffmann zu: „In den zwei Jahren seit der Schritt-fürschritt-einführung haben wir bereits gesehen, dass sich MDE, BDE sowie Mes-monitoring und -Controlling von Proxia bei uns bewährt haben. Ich denke, dass wir mit einer Feinplanung zukünftig unsere komplexe Fertigung noch besser abbilden können. Ein Leitstand würde uns einen Überblick über die Ressourcen an Mitarbeitern, Maschinen oder Material geben und verschiedene Fertigungsszenarien im Vorfeld simulieren, also die klassischen „Was wäre wenn…?“-fragen in Bezug auf Liefertermine oder andere Parameter beantworten. Auf Terminverschiebungen oder Materialengpässe bei Zulieferern könnten wir dann flexibler reagieren.“
Volle Kompatibilität mit SAP
Die Gründe, warum sich Schneider Electric für die Mes-software aus Oberbayern entschieden hat, sind zunächst in der guten Kompatibilität mit SAP zu suchen, wie Hoffmann feststellt: „Wir haben recht schnell gemerkt, dass sich Proxia nicht nur in der Produktion und mit MES, sondern auch mit SAP sehr gut auskennt. Für uns war es dadurch ziemlich einfach, die Konnektivität zwischen SAP und den Mes-modulen einzurichten.“
Dazu kommt, dass das System aufgrund seiner Modularität mit den Anforderungen von Schneider Electric mitwächst. Nach über zwei Jahren Erfahrung mit der Mes-software konnten Valentin Hoffmann und sein Team entscheidende Verbesserungen im
Produktionsablauf feststellen: „Die grüne Zeit, also die Zeit, in der die Anlagen produktiv arbeiten, hat spürbar zugenommen. Das sehen wir nun auf einen Blick“, berichtet Fertigungsleiter. „und außerdem“, führt er fort, „können wir die Gründe für unproduktive Zeiten schneller und sicherer identifizieren und somit auch beseitigen. So haben sich die Zeiten fürs Rüsten, für Wartung oder den Werkzeugwechsel seit der Implementierung deutlich verkürzt.“
„MES statt .xls – das war bei uns der Schlüssel zum Produktivitätserfolg, darum werden wir das System auch weiter ausbauen“, so das Fazit des Fertigungsleiters. Hoffmann und seine Kollegen sehen im MES von Proxia das ideale, praxisorientierte Tool, um die Digitalisierung im Shopfloor und Industrie 4.0 auf der gesamten Prozesskette umzusetzen. In naher Zukunft sollen Maschinen- und Betriebsdatenerfassung durch ein Feinplanungsmodul erweitert werden. Damit bleibt Schneider Electric auch weiterhin auf Erfolgskurs.
Dr. Bernhard D. Valnion ist Fachjournalist in München.