Additive Fertigung
Den Spielfiguren auf der Spur
Der Maschinenbauer Arburg hat sich auf die Herstellung von Allrounder-spritzgießmaschinen für die industrielle Fertigung spezialisiert. Am Beispiel eines Schachspiels zeigt das Unternehmen, wie sich Serienteile mittels industrieller additiver Fertigung vollautomatisiert individualisieren und ihre Fertigung lückenlos rückverfolgen lassen.
DIE RÜCKVERFOLGUNG wird in der Fertigung bereits seit längerem eingesetzt, um Störungen frühzeitig zu erkennen, Fehler in der Produktion aufzudecken oder Optimierungspotenziale zu erschließen. Mithilfe von Tracking – so der englische Fachbegriff – lässt sich aber auch ganz direkt die Fertigung steuern. Der Hersteller von Spritzgießanlagen Arburg in Loßburg zeigt in einem Praxisbeispiel, wie das funktioniert. Ein Freeformer, das heißt eine Maschine zur industriellen Herstellung von Kunststoffbauteilen, soll Vakuumgreifer für Schachfiguren nach Kundenwunsch mit funktionalen Konturen aus weichem Kunststoff veredeln. Die komplette Handhabung inklusive der Funktionsprüfung des neu erstellten Greifers übernimmt ein Sechsachs-roboter. Das Besondere dabei: Mithilfe des Scada-systems Arburg Turnkey Control Module (ATCM) lässt sich jeder einzelne Greifer in Bezug auf seine Entstehung zu 100 Prozent rückverfolgen.
Der Ansatz des Maschinenbauers Arburg, Serienteile mittels industrieller additiver Fertigung vollautomatisiert und rückverfolgbar funktional zu individualisieren und so einen Mehrwert zu schaffen, ist bislang einzigartig in der Welt des Additive Manufacturing (AM). Dazu gehört auch die Integration weiterer Prozessschritte. Als Demonstrationsbeispiel produziert die Turnkey-anlage individualisierte Vakuumgreifer-grundplatten für Schachfiguren. Der Kunde legt am Terminal fest, welche Schachfigur des in der Fertigungszelle aufgebauten Schachspiels behandelt werden soll. Der Freeformer trägt die funktionale Tpu-kontur passend zur jeweiligen Figur auf die Greiferplatte auf: Für Dame, König, Läufer, Springer, Turm oder Bauer gilt es, die passende Geometrie zu ergänzen, um die Figur damit per Vakuum „greifen“und bewegen zu können.
Greifer mit funktionaler Kontur individualisiert
Der Sechs-achs-roboter entnimmt zunächst eine Greiferplatte aus Aluminium aus dem Schachtmagazin und führt sie der Laserbeschriftungs-station zu. Dort wird sie mit einem Dm-code gekennzeichnet und ist somit eindeutig rückverfolgbar.
Das Einlegeteil wird nun auf einem Werkstückträger platziert. Dann wech
selt der Roboter seinen Greifer, um den Werkstückträger aufzunehmen und der nächsten Station zuzuführen. Dort wird die Grundplatte plasmabehandelt und vor dem Einlegen in den Bauraum gescannt, um den 3D-druck-auftrag an den Freeformer 300-3X zu übergeben. Für das Öffnen und Schließen der Bauraumtür, zum Bestücken und Entnehmen der Bauteile kommunizieren Sechsachs-roboter und Freeformer über eine Euromap-67-schnittstelle.
Der Freeformer fertigt daraufhin entsprechend des hinterlegten Auftrags in rund drei bis vier Minuten Bauzeit die gewünschte funktionale Kontur aus dem elastischen Kunststoff TPU (Desmopan 9370). Der Werkstückträger wird entnommen und das Bauteil erneut gescannt. Dadurch erhält der Roboter die Information, mit welcher Schachfigur er die Greiferplatte funktional prüfen soll.
Funktionsprüfung in der Fertigungszelle
Der Roboter legt den Werkstückträger ab und wechselt erneut zum Greifer für die Handhabung der Grundplatte. Damit führt er das individualisierte Bauteil noch in der Fertigungszelle einer taktilen Funktionsprüfung zu. Dazu wird die gewünschte Spielfigur mit Vakuum angesaugt und auf ein anderes Feld des Schachbretts gesetzt. Das ist nur möglich, wenn die additiv aufgetragene Kontur exakt zur Figur passt. Die Schachfiguren selbst wurden vorab von einem Freeformer 200-3X aus ABS additiv gefertigt.
Das Scada-system ATCM ist für neue Turnkey-anlagen von Arburg erhältlich und verfügt über eine anlagenspezifische Oberfläche. Voraussetzung zur Implementierung und Datentransfer ist eine Opc-ua-schnittstelle. Jedes Bauteil erhält im ATCM automatisch eine eigene Nummer (ID) und wird mit einem Code gekennzeichnet. Die Hauptaufgabe des Scada-systems ist es, teilespezifische Prozessparameter und Prüfergebnisse zu erfassen und zusammenzuführen. Darüber hinaus visualisiert es über das zugehörige Bedienterminal mit Touch-panel die wichtigen Funktionen der kompletten Fertigungszelle. Für die Maschine und die Automation werden Zustände, Störungen, Alarme und Bedienereingaben übersichtlich angezeigt.
Die einzelnen Datensätze werden über das Kommunikations-protokoll OPC UA in festgelegten Intervallen einem auswertenden System bereitgestellt. Auf diese Weise lässt sich jedes Teil vom Spritzgieß- oder additiven Fertigungsprozess über die Qualitätssicherung bis zum Ausschleusen aus der Fertigungszelle lückenlos dokumentieren.
Vollständige Rückverfolgbarkeit der Greiferplatten
Über ihren Dm-code ist jede Greiferplatte zu 100 Prozent rückverfolgbar. Auf einer individuellen Website werden nach Scannen des Codes Fertigungsdaten wie Bauzeit, Material, Druckverlauf und Bauraumtemperatur dargestellt. Darüber hinaus kommt bei der „AM Factory“eine modulare und skalierbare Sicherheitssteuerung zum Einsatz, die Arburg speziell für komplexe Turnkey-anlagen entwickelt hat, um den kontinuierlich steigenden Sicherheitsanforderungen Rechnung zu tragen. Dr. Bettina Keck ist zuständig für Public Relations bei der Arburg Gmbh + Co KG.