Digitalisierung und Nachhaltigkeit
Die Fertigung fit machen
Digitalisierung und Energiewende – das sind zwei Themen, die die Fertigungsindustrie aktuell beschäftigen. Über diese haben wir mit Jürgen Knörrich, Director Innovation Germany bei Actemium, gesprochen, einem Unternehmen, das in diesen Feldern ein besonderes Profil vorweisen kann.
Digital Manufacturing (DM): Wo liegen die Schwerpunkte von Actemium Bereich der Fertigungsindustrie? Jürgen Knörrich: Die Unternehmensgruppe Actemium deckt mit seinen Industriedienstleistungen die gesamte Bandbreite der Fertigungsindustrie ab. Von der Förder- und Montagetechnik in der Automobilindustrie über das Engineering und die Montage in der Chemie und Petrochemie bis hin zur Projektierung aller bekannten Automatisierungs-systeme. Speziell in der Fertigungstechnik liegt unser Schwerpunkt auf der Standardisierung von Handling
und Transportsystemen sowie Verpackungslinien.
DM: Was sind für Sie derzeit die wichtigsten Herausforderungen in der Industrie?
Jürgen Knörrich: Die Industrie ist in einem Umbruch, der nur vergleichbar ist mit der Erfindung der Dampfmaschine oder der Einführung der Massenproduktion. Wir haben es mit zwei Herausforderungen gleichzeitig zu tun: Die digitale Transformation und die Energiewende. Weltweit müssen wir in den nächsten
Jahrzehnten Millionen von Maschinen und Anlagen fit machen für die Digitalisierung und zeitgleich müssen wir alle damit verbundenen Prozesse so gestalten, dass eine ökologisch nachhaltige und damit Co2-freie Industrieproduktion möglich ist.
DM: Was bieten Sie Industrie-kunden dafür an?
Jürgen Knörrich: Generell bieten wir Services für den gesamten Anlagenlebenszyklus, also Planung, Umsetzung und Instandhaltung von Industrieanlagen
und -prozessen. Im Detail umfasst das alle Prozesse des Engineerings, die Montage und Inbetriebnahme, Überwachung und Analyse mit allen anschließenden Maintenance-aufgaben. Dazu gehören auch Schulungsangebote für die Mitarbeiter der Kunden, damit diese selbst den Betrieb der Anlagen effizient leisten können.
Daneben bieten wir aber auch Zusatzangebote für die Energietechnik im Niederund Mittelspannungsbereich und umfangreiche Audits zur Verbesserung der Energieeffizienz an. Eine Besonderheit sind unsere Lösungen als Eigenentwicklungen wie die Sps-bibliothek Process Device Library (PDL), das Prozessleitsystem Autecs speziell für die Getränkeund Lebensmittelindustrie oder unsere Iot-lösung Viewstar X, mit dem sich Systemlandschaften vollständig einbinden, visualisieren, analysieren und optimieren lassen.
DM: …und speziell für den Bereich Smart Industry?
Jürgen Knörrich: In Sachen Smart Industry verfolgen wir einen Ansatz, der drei verknüpfte Bereiche umfasst: Smart Process, Smart Energy und Smart Maintenance. Wir helfen unseren Kunden dabei, Daten zu erfassen, zu speichern, vorzuhalten, auszuwerten und zu guter Letzt in Form von Anwendungen in der Praxis zu nutzen. Wir ermöglichen unter anderem lückenlose Mes-lösungen, Virtual/augmented-reality-anwendungen, Audits zur Optimierung des Energieverbrauchs und verschiedene mobile Tools. Wir fokussieren besonders auf diese mobilen Lösungen, um Mitarbeitern die Arbeit vor Ort einerseits zu erleichtern und andererseits ihre Effizienz zu steigern. Letztendlich verfolgen wir mit Smart Industry drei Ziele: alle Industrieprozesse vernetzen und an den Bedürfnissen des Menschen ausrichten; eine auf Nachhaltigkeit getrimmte und verantwortungsvoll handelnde Industrie schaffen; und schließlich Produktionsanlagen kontinuierlich optimieren und damit effizienter machen.
DM: Gibt es da eine Blaupause zur Integration von Smart-industry-lösungen und -Services?
Jürgen Knörrich: Wir sprechen nicht direkt von Blaupausen. Aber zur Integration von Smart-industry-anwendungen nutzen wir eine standardisierte Vorgehensweise. Sie besteht aus vier Schritten: Zunächst erfolgt ein sogenannter „Quick Scan“, bei dem wir Best-practice-lösungen vorstellen, die die Anforderungen des Kunden berücksichtigen, um praktische Anwendungsfälle zu identifizieren. Danach erfolgt ein sogenannter „Deep Scan“zusammen mit Experten aus Produktion, Instandhaltung, Engineering und der IT unseres Kunden. Wir identifizieren dabei gemeinsam Anwendungsfälle im Detail, um dann einen konkreten Business-plan zu erstellen. Anschließend – Punkt 3 – findet ein Rapid Prototyping statt, bei dem die angestrebte Lösung in einem frühen Stadium durch eine erste lauffähige Programmversion überprüft wird. Zum Schluss erfolgt dann der Rollout in Form der flächendeckenden Implementierung
und Inbetriebnahme einer finalen Lösung.
DM: Wie gelingt es Ihnen, die Produktionsund Geschäftsprozesse Ihrer Kunden zu optimieren?
Jürgen Knörrich: Um die Prozesse optimieren zu können, müssen wir uns die bestehenden Prozesse innerhalb der Betriebsführung zunächst genau ansehen; auch hier arbeiten wir mit Quick Scan und Deep Scan. Produktionsabläufe bilden wir meist in Manufacturing Execution Systems (MES) ab, mit denen wir auch verschiedene Prozessdaten automatisch erfassen und aufbereiten können, um anschließend etwa Stillstandzeiten, die Verfügbarkeit von Anlagen oder Störungen analysieren zu können. Wenn wir Produktionsdaten in Erp-systeme integrieren, erhalten Kunden nicht nur eine lückenlose Real-time-übersicht, sondern auch die Möglichkeit, ihre Ressourcen optimal einzusetzen. Sie können damit die Produktqualität oder den Output steigern und gleichzeitig bei den Produktionskosten sparen. Unser Vorteil ist, dass wir herstellerunabhängig sind. Das heißt, wir können problemlos auch bei unterschiedlichen Systemplattformen die Produktions-it mit der betriebswirtschaftlichen IT verbinden.
Bei der Anbindung der Fertigungs-it an die Business-it arbeiten wir innerhalb VINCI Energies eng mit Axians zusammen.“
JÜRGEN KNÖRRICH,
DIRECTOR INNOVATION GERMANY BEI ACTEMIUM
DM: Mit welchen Systemplattformen im Bereich PIMS, MES und Qualitätsmanagement können sie das?
Jürgen Knörrich: Wie erwähnt, sind wir herstellerunabhängig. Um nur ein paar Plattformen zu nennen, mit denen wir häufig zu tun haben: Simatic IT R&D Suite oder Preactor APS von Siemens, genauso wie die Cpgsuite von Rockwell oder das Pi-system von Osisoft.
DM: …und wie sieht deren Anbindung an die betriebswirtschaftliche IT aus? Jürgen Knörrich: Auch hier sind wir grundsätzlich unabhängig. Wir nutzen hier insbesondere Software von Herstellern wie SAP oder Microsoft, aber nicht ausschließlich. Bei diesen Leistungen arbeiten wir – Actemium – innerhalb von VINCI Energies eng mit Axians zusammen. Axians bietet It-dienstleistungen aller Art an.
DM: Actemium ist ja Teil des Vincikonzerns – was macht dieser Konzern und Ihre Sparte VINCI Energies? Jürgen Knörrich: Nun, VINCI S.A. an sich ist unser französischer Mutterkonzern. Er ist weltweit im Bereich Konzession und Bau tätig. Die Holding VINCI Energies, zu der wir und Axians gehören, hat ihren Fokus mit 1.800 Business Units in 56 Ländern auf Dienstleistungen rund um Netzwerke, Leistung, Energieeffizienz und Daten. In Deutschland tritt VINCI Energies über seine vier Dachmarken in den Bereichen Industrie (Actemium), ICT (Axians), Energie & Stromversorgung (Omexom) und dem Gebäudemanagement
(VINCI Facilities) auf. Die übergreifenden Themen sind hier die Energiewende und die digitale Transformation.
DM: Energiewende heißt, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit: worauf sollten Industrieunternehmen dabei insbesondere achten?
Jürgen Knörrich: Es geht hier zum einen schon lange nicht mehr um das„ob“, sondern eigentlich nur noch um das „Wie“. Das heißt, die Idee, Kosten einzusparen, sollte nur ein Teil der Motivation sein. Denn Industrieunternehmen stehen angesichts des Klimawandels in der Pflicht, eine energieeffiziente und nachhaltige Produktion anzustreben. Die Verantwortlichen sollten sich vergegenwärtigen, dass zwei Drittel des Verbrauchs einer Produktionsanlage allein auf die Prozesstechnik zurückzuführen ist. Das zeigt, welches Potenzial an Einsparungen an Energie und Ressourcen sich aus der Verbesserung von Prozessen ergeben kann. Durch umfangreiche Energie-audits lassen sich Energiefresser identifizieren und durch sparsamere Anlagen und gezielte Prozessoptimierungen der Verbrauch herunterschrauben. Aber auch die Energierückgewinnung etwa aus Abwärme sollten die Unternehmen verstärkt ins Auge fassen, um das Optimum herauszuholen. Ein wichtiger Schritt ist aber auch, alle beteiligten Mitarbeiter aktiv für das Thema zu sensibilisieren.
DM: Bei der IT arbeiten Sie mit Axians zusammen. können Kunden von Ihnen von weiteren Synergien innerhalb des Vinci-konzerns profitieren?
Jürgen Knörrich: Durch die Vernetzung innerhalb des Netzwerks von VINCI Energies können wir unsere Kunden immer wieder überraschen. Wir können Dinge erreichen, die in dieser Form einzigartig im Markt sind. Alleine durch die 400 Business Units innerhalb der Unternehmenssparte Actemium haben wir Zugriff auf ein Industriebranchen-übergreifendes Know-how. Hinzu kommen die anderen Marken, die ihre ganz eigene Expertise einbringen können – von Energie-infrastrukturen über das Gebäudemanagement bis hin zu It-lösungen. Das gilt auch für die Manpower. Allein Actemium beschäftigt weltweit rund 22.000 Mitarbeiter. Beim VINCI Energies-netzwerk insgesamt sind es 82.500 Mitarbeiter, auf die wir bei Bedarf zurückgreifen können.
DM: Wie funktioniert diese Zusammenarbeit untereinander?
Jürgen Knörrich: Wir arbeiten zwischen den Business Units insbesondere über unsere sogenannten „Clubs“zusammen. Die Clubs, die etwa auf Technik/technologie, einzelne Kunden oder eine Branche fokussiert sind, dienen dem Transfer von Know-how und dazu, die Zusammenarbeit sowohl national als auch international zu ermöglichen.
Vielen Dank, Herr Knörrich, für dieses Gespräch.
Die Fragen stellte Digital-manufacturingchefredakteur Rainer Trummer.