Digitalisierung
FEM as-a-service – zwischen Tradition und Datenökonomie
Vernetzung und Digitalisierung ermöglichen in der Fertigungstechnik neue Methoden der datengetriebenen Analyse und Optimierung von Prozessen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Erzeugung von digitalen Zwillingen, mit denen sich Produkte und Prozesse vertikal, also im eigenen Unternehmen und horizontal, über die Firmengrenzen hinaus, nutzbar machen lassen.
DIE VERTIKALE Bereitstellung der Daten ermöglicht die Optimierung von internen Abläufen, die nur geringfügig durch äußere Stellgrößen beeinflusst werden. Die horizontale Bereitstellung der Daten hingegen dient der Optimierung von vollständigen Wertschöpfungsketten und ist die Grundlage für neue Geschäftsmodelle mit Netzwerkeffekt. Hierfür werden vollkommen neuartige Technologien und Methoden benötigt, welche die Monetarisierung der Daten ermöglichen.
Nicht alle für einen digitalen Zwilling relevanten Daten können messtechnisch erfasst werden. Es werden daher zusätzliche Methoden benötigt, welche die Erfassung von im Fertigungsprozess schwer oder nicht messbaren physikalischen Größen, wie Spannungen, Dehnungen, Temperatur) ermöglichen. Eine solche Methode ist die sogenannte Finite-elemente-methode (FEM). In vielen Unternehmen ist jedoch weder das Know-how noch die notwendige Itinfrastruktur für eine Implementierung oder Durchführung einer Fe-simulation vorhanden.
Externe Beauftragungsprozesse sind ebenfalls häufig nicht geeignet, um die mit der Digitalisierung und Vernetzung der Fertigung verfolgten Ziele einer höheren Produktivität und Agilität zu erreichen. Am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen wurde daher eine Architektur entwickelt, welche die vollkommen automatisierte Nutzung der FEM as-a-service durch den Einsatz von Technologien wie Cloud Computing und Blockchain ermöglicht. Die Architektur wurde am Beispiel eines industriellen Feinschneidprozesses entwickelt.
Blechverarbeitung als Baseline für As-a-service-modelle
Das Feinschneiden ist ein Fertigungsverfahren für die Großserienproduktion von sicherheitskritischen Bauteilen aus Blechwerkstoff mit besonders hohen Qualitätsanforderungen. Erreicht wird die im Vergleich zu ähnlichen Verfahren besonders hohe Bauteilqualität durch das dreifach wirkende Prinzip der Feinschneidpressen und sehr geringe Werkzeugtoleranzen. Durch zusätzliche Sensorik in den Werkzeugen können der
Feinschneidprozess und seine Reaktionsgrößen optimal auf messtechnische Weise erfasst werden. Immer noch eine Herausforderung ist jedoch die Erfassung der Eigenschaften des gefertigten Bauteils. Diese sind messtechnisch nur schwer zugänglich und teilweise nicht zerstörungsfrei erfassbar.
Cloud-modell kombiniert mit dem As-a-service-prinzip
Mithilfe der FEM können diese Eigenschaften allerdings numerisch präzise bestimmt werden. Nachteil ist dabei, dass diese Methode nicht allen Unternehmen zur Verfügung steht und einen hohen personellen Aufwand sowie leis
tungsfähige Hardware benötigt. Ein neuartiger Lösungsansatz liegt in der Verwendung des Cloud-computing-modells und As-a-serviceprinzips. Durch dieses Prinzip kann eine einfache und kosteneffiziente Bereitstellung der FEM bewirkt werden, weil Investitionen in Hardware und Personal wegfallen und nur das bezahlt werden muss, was auch genutzt wird.
Durch die Nutzung dieser Technologien wird die Digitalisierung besonders für kleine und mittlere Unternehmen zugänglich. Es können ohne Investitionskosten Methoden wie die FEM genutzt werden, um bislang ungenutzte Potenziale der Produktivitätsund Effizienzsteigerung auszuschöpfen. Durch den Pay-per-use-ansatz sind die Kosten sehr gut kalkulierbar. Da die Itinfrastruktur außerhalb des eigenen Unternehmens liegt, können keine plötzlichen unvorhergesehenen Kosten durch Ausfälle und Wartungsintervalle der Hardware entstehen. Die Verantwortung der Funktionsfähigkeit liegt beim Service-anbieter.
Blockchain stellt Vertrauen und Datensouveränität sicher
Um eine für das Feinschneiden geeignete Architektur für die FEM as-a-service zu entwickeln, wurde zuerst eine Anforderungsanalyse der zu schaffenden Architektur durchgeführt. Die Architektur für eine FEM as-a-service muss ein monetäres Transaktionsmittel umfassen, damit die Bereitstellung des Service durch den Auftraggeber vergütet werden kann. Das monetäre Transaktionsmittel muss dabei besondere Voraussetzungen erfüllen. Da der Service in Form einer Machine-to-machine-kommunikation
genutzt werden soll, muss das monetäre Transaktionsmittel auch maschinell nutzbar sein. Des Weiteren müssen die Transaktionen gebührenfrei sein und dürfen keine Verzögerung verursachen, da sonst nicht eine Steigerung der Produktivität und Agilität erreicht werden kann, was jedoch das Ziel der Digitalisierung per se darstellt. Darüber hinaus muss die Sicherheit des Transaktionsmittels ebenfalls gewährleistet sein.
Außerdem wird eine Methode benötigt, mit der sich die Datenintegrität sicherstellen und überprüfen lässt, weil eine datengetriebene Produktion und Wertschöpfungskette nur funktionieren kann, wenn sichergestellt ist, dass die Daten unverfälscht sind. Diese Anforderungen können Unternehmen durch den Einsatz von Distributed-ledger-technologies (DLT, auch als Blockchain bekannt) erfüllen.
Manipulationssichere Dokumentation mithilfe der Blockchain
Der Zweck von DLT ist das manipulationssichere Dokumentieren von Transaktionen. Erreicht wird dies dadurch, dass in dieser Technologie keine zentrale Autorität existiert, die über die Richtigkeit einer Transaktion entscheidet. Stattdessen gibt es ein Netzwerk aus Teilnehmern, die gemeinsam über alle Transaktionen buchführen und neue Transaktionen erst nach Erreichen des Konsenses zwischen den Teilnehmern hinzugefügt werden. Die bekannteste Form der DLT ist die Blockchainbasierte Kryptowährung Bitcoin.
Die Bitcoin-blockchain ist jedoch für einige Anwendungen in der Fertigungstechnik nur bedingt geeignet, weil die Transaktionskosten und die Bearbeitungszeit der Transaktionen zu hoch sind. Konzeptionell bietet die Blockchain-technik auch keine Skalierbarkeit, daher kann die Geschwindigkeit der Transaktionen und die maximal mögliche Anzahl der Transaktionen nicht durch zusätzliche Netzwerkteilnehmer erhöht werden. Das zu entwickelnde Konzept sollte jedoch eine skalierbare Lösung für die Fertigungstechnik darstellen, um eine Übertragbarkeit auf die Vielzahl an fertigungstechnischen Prozessen zu gewährleisten.
Die von der IOTA Foundation in Berlin entwickelte Tangle-technologie ist eine Weiterentwicklung der Blockchain-technik, welche versucht, die Nachteile der Blockchain zu umgehen. Durch den Wandel von einem linearen Aufbau der Blockchain zu einem Directed-acyclic-graph wird eine Skalierbarkeit der maximal möglichen Transaktionen pro Zeiteinheit ermöglicht. Darüber hinaus sind Transaktionen mit IOTA gebührenfrei und haben eine geringere Transaktionsdauer. IOTA ist speziell für Internet-of-things-anwendungen entwickelt worden und damit auch besonders gut für die Entwicklung einer vernetzten Fertigung geeignet.
Eine Brücke zwischen Shop Floor, Cloud und Blockchain
Basierend auf dem Ergebnis der Anforderungsanalyse wurde mithilfe von IOTA eine Cloud-basierte Architektur geschaffen, durch die die FEM as-a-service direkt von einem Feinschneidprozess aus vollständig automatisiert genutzt werden kann. Konzeptionell lässt sich die geschaffene Architektur in eine Feinschneidpresse, das Service-management und einen Fe-simulationsserver unterteilen. An der Feinschneidpresse ist eine Edge-computing Hardware installiert, an der kontinuierlich die Prozesskräfte und die Kinematik des Werkzeugs aufgezeichnet werden.
Die kontinuierlich erzeugten Daten werden mit durch den Benutzer eingegebenen Metadaten des Prozesses aggregiert, zum Beispiel dem feingeschnittenen Werkstoff. Zusammen bilden diese Daten die Prozessparameter. Die Edge-computing Hardware erkennt automatisch, wenn ein Feinschneidhub durchgeführt wurde. Bei Eintreten dieses Ereignisses wird zuerst verglichen, ob sich Prozessparameter signifikant geändert haben oder ob zu den Prozessparametern bereits Simulationsergebnisse existieren. Liegen zu den Prozessparametern noch keine Simulationsergebnisse vor, wird ein neuer Simulationsauftrag an den entwickelten Fem-cloud-service geschickt. Hierfür ist die Edge-computing-hardware mit dem Internet verbunden, die Anfrage läuft dabei über das Service-management.
Das Service-management kann mithilfe von serverlosen Applikationen bei einem Cloud-anbieter wie Amazon Web Services (AWS) implementiert werden. Dadurch weist der Service eine hohe Skalierbarkeit und Verfügbarkeit auf und ist zugleich kosteneffizient. Der Simulationsauftrag wird an einen Http-endpoint von der Edge-computing-hardware der Feinschneidpresse zum Service-management übertragen. Dort findet dann ein Datenaustausch mit der integrierten Datenbank des Service-managements statt.
Transfer der Prozessparameter
Anschließend werden die Transaktionsbedingungen an die Edge-computing-hardware zurückgesendet. Diese beinhalten unter anderem die für die Nutzung des Fem-service zu transferierenden Gebühren an die IOTA. Von der Edgecomputing-hardware der Feinschneidpresse wird anschließend diese Menge transferiert. Der Transfer wird im Service-management registriert und der Simulationsauftrag wird danach freigeschaltet. Nach der Freischaltung werden die Prozessparameter des Simulationsauftrags an einen dedizierten Fe-simulationsserver übertragen und die Simulation durchgeführt. Nach Abschluss der Simulation werden die Ergebnisse in einer Datenbank abgespeichert und eine Signatur der Ergebnisse erstellt. Die
Signatur wird wiederum in einer Iota-transaktion festgehalten. Dadurch kann das Simulationsergebnis von dem Auftraggeber abgerufen und die Validität der Daten verifiziert werden.
Vollständig automatisierte Simulation mittels FEM
Durch die neu entwickelte Architektur ist es erstmals möglich, eine vollständig automatisierte Simulation mittels FEM durch im Prozess real gemessene Online-daten in Auftrag zu geben. Durch die spezifischen Eigenschaften ist die Architektur besonders für die Bildung von digitalen Zwillingen beim Feinschneiden und weiteren Fertigungstechnologien im Serienbetrieb geeignet. Die Architektur wird in weiteren Arbeiten um verschiedene Services erweitert. Einer dieser Services ist das Machine-learning as-a-service, mit dem echtzeitfähige Modelle für die Prozessoptimierung geschaffen werden können.
Joachim Stanke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gruppe Datengetriebene Modellierung am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen.