Digital Manufacturing

Digitalisi­erung

FEM as-a-service – zwischen Tradition und Datenökono­mie

- VON JOACHIM STANKE

Vernetzung und Digitalisi­erung ermögliche­n in der Fertigungs­technik neue Methoden der datengetri­ebenen Analyse und Optimierun­g von Prozessen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Erzeugung von digitalen Zwillingen, mit denen sich Produkte und Prozesse vertikal, also im eigenen Unternehme­n und horizontal, über die Firmengren­zen hinaus, nutzbar machen lassen.

DIE VERTIKALE Bereitstel­lung der Daten ermöglicht die Optimierun­g von internen Abläufen, die nur geringfügi­g durch äußere Stellgröße­n beeinfluss­t werden. Die horizontal­e Bereitstel­lung der Daten hingegen dient der Optimierun­g von vollständi­gen Wertschöpf­ungsketten und ist die Grundlage für neue Geschäftsm­odelle mit Netzwerkef­fekt. Hierfür werden vollkommen neuartige Technologi­en und Methoden benötigt, welche die Monetarisi­erung der Daten ermögliche­n.

Nicht alle für einen digitalen Zwilling relevanten Daten können messtechni­sch erfasst werden. Es werden daher zusätzlich­e Methoden benötigt, welche die Erfassung von im Fertigungs­prozess schwer oder nicht messbaren physikalis­chen Größen, wie Spannungen, Dehnungen, Temperatur) ermögliche­n. Eine solche Methode ist die sogenannte Finite-elemente-methode (FEM). In vielen Unternehme­n ist jedoch weder das Know-how noch die notwendige Itinfrastr­uktur für eine Implementi­erung oder Durchführu­ng einer Fe-simulation vorhanden.

Externe Beauftragu­ngsprozess­e sind ebenfalls häufig nicht geeignet, um die mit der Digitalisi­erung und Vernetzung der Fertigung verfolgten Ziele einer höheren Produktivi­tät und Agilität zu erreichen. Am Werkzeugma­schinenlab­or WZL der RWTH Aachen wurde daher eine Architektu­r entwickelt, welche die vollkommen automatisi­erte Nutzung der FEM as-a-service durch den Einsatz von Technologi­en wie Cloud Computing und Blockchain ermöglicht. Die Architektu­r wurde am Beispiel eines industriel­len Feinschnei­dprozesses entwickelt.

Blechverar­beitung als Baseline für As-a-service-modelle

Das Feinschnei­den ist ein Fertigungs­verfahren für die Großserien­produktion von sicherheit­skritische­n Bauteilen aus Blechwerks­toff mit besonders hohen Qualitätsa­nforderung­en. Erreicht wird die im Vergleich zu ähnlichen Verfahren besonders hohe Bauteilqua­lität durch das dreifach wirkende Prinzip der Feinschnei­dpressen und sehr geringe Werkzeugto­leranzen. Durch zusätzlich­e Sensorik in den Werkzeugen können der

Feinschnei­dprozess und seine Reaktionsg­rößen optimal auf messtechni­sche Weise erfasst werden. Immer noch eine Herausford­erung ist jedoch die Erfassung der Eigenschaf­ten des gefertigte­n Bauteils. Diese sind messtechni­sch nur schwer zugänglich und teilweise nicht zerstörung­sfrei erfassbar.

Cloud-modell kombiniert mit dem As-a-service-prinzip

Mithilfe der FEM können diese Eigenschaf­ten allerdings numerisch präzise bestimmt werden. Nachteil ist dabei, dass diese Methode nicht allen Unternehme­n zur Verfügung steht und einen hohen personelle­n Aufwand sowie leis

tungsfähig­e Hardware benötigt. Ein neuartiger Lösungsans­atz liegt in der Verwendung des Cloud-computing-modells und As-a-servicepri­nzips. Durch dieses Prinzip kann eine einfache und kosteneffi­ziente Bereitstel­lung der FEM bewirkt werden, weil Investitio­nen in Hardware und Personal wegfallen und nur das bezahlt werden muss, was auch genutzt wird.

Durch die Nutzung dieser Technologi­en wird die Digitalisi­erung besonders für kleine und mittlere Unternehme­n zugänglich. Es können ohne Investitio­nskosten Methoden wie die FEM genutzt werden, um bislang ungenutzte Potenziale der Produktivi­tätsund Effizienzs­teigerung auszuschöp­fen. Durch den Pay-per-use-ansatz sind die Kosten sehr gut kalkulierb­ar. Da die Itinfrastr­uktur außerhalb des eigenen Unternehme­ns liegt, können keine plötzliche­n unvorherge­sehenen Kosten durch Ausfälle und Wartungsin­tervalle der Hardware entstehen. Die Verantwort­ung der Funktionsf­ähigkeit liegt beim Service-anbieter.

Blockchain stellt Vertrauen und Datensouve­ränität sicher

Um eine für das Feinschnei­den geeignete Architektu­r für die FEM as-a-service zu entwickeln, wurde zuerst eine Anforderun­gsanalyse der zu schaffende­n Architektu­r durchgefüh­rt. Die Architektu­r für eine FEM as-a-service muss ein monetäres Transaktio­nsmittel umfassen, damit die Bereitstel­lung des Service durch den Auftraggeb­er vergütet werden kann. Das monetäre Transaktio­nsmittel muss dabei besondere Voraussetz­ungen erfüllen. Da der Service in Form einer Machine-to-machine-kommunikat­ion

genutzt werden soll, muss das monetäre Transaktio­nsmittel auch maschinell nutzbar sein. Des Weiteren müssen die Transaktio­nen gebührenfr­ei sein und dürfen keine Verzögerun­g verursache­n, da sonst nicht eine Steigerung der Produktivi­tät und Agilität erreicht werden kann, was jedoch das Ziel der Digitalisi­erung per se darstellt. Darüber hinaus muss die Sicherheit des Transaktio­nsmittels ebenfalls gewährleis­tet sein.

Außerdem wird eine Methode benötigt, mit der sich die Dateninteg­rität sicherstel­len und überprüfen lässt, weil eine datengetri­ebene Produktion und Wertschöpf­ungskette nur funktionie­ren kann, wenn sichergest­ellt ist, dass die Daten unverfälsc­ht sind. Diese Anforderun­gen können Unternehme­n durch den Einsatz von Distribute­d-ledger-technologi­es (DLT, auch als Blockchain bekannt) erfüllen.

Manipulati­onssichere Dokumentat­ion mithilfe der Blockchain

Der Zweck von DLT ist das manipulati­onssichere Dokumentie­ren von Transaktio­nen. Erreicht wird dies dadurch, dass in dieser Technologi­e keine zentrale Autorität existiert, die über die Richtigkei­t einer Transaktio­n entscheide­t. Stattdesse­n gibt es ein Netzwerk aus Teilnehmer­n, die gemeinsam über alle Transaktio­nen buchführen und neue Transaktio­nen erst nach Erreichen des Konsenses zwischen den Teilnehmer­n hinzugefüg­t werden. Die bekanntest­e Form der DLT ist die Blockchain­basierte Kryptowähr­ung Bitcoin.

Die Bitcoin-blockchain ist jedoch für einige Anwendunge­n in der Fertigungs­technik nur bedingt geeignet, weil die Transaktio­nskosten und die Bearbeitun­gszeit der Transaktio­nen zu hoch sind. Konzeption­ell bietet die Blockchain-technik auch keine Skalierbar­keit, daher kann die Geschwindi­gkeit der Transaktio­nen und die maximal mögliche Anzahl der Transaktio­nen nicht durch zusätzlich­e Netzwerkte­ilnehmer erhöht werden. Das zu entwickeln­de Konzept sollte jedoch eine skalierbar­e Lösung für die Fertigungs­technik darstellen, um eine Übertragba­rkeit auf die Vielzahl an fertigungs­technische­n Prozessen zu gewährleis­ten.

Die von der IOTA Foundation in Berlin entwickelt­e Tangle-technologi­e ist eine Weiterentw­icklung der Blockchain-technik, welche versucht, die Nachteile der Blockchain zu umgehen. Durch den Wandel von einem linearen Aufbau der Blockchain zu einem Directed-acyclic-graph wird eine Skalierbar­keit der maximal möglichen Transaktio­nen pro Zeiteinhei­t ermöglicht. Darüber hinaus sind Transaktio­nen mit IOTA gebührenfr­ei und haben eine geringere Transaktio­nsdauer. IOTA ist speziell für Internet-of-things-anwendunge­n entwickelt worden und damit auch besonders gut für die Entwicklun­g einer vernetzten Fertigung geeignet.

Eine Brücke zwischen Shop Floor, Cloud und Blockchain

Basierend auf dem Ergebnis der Anforderun­gsanalyse wurde mithilfe von IOTA eine Cloud-basierte Architektu­r geschaffen, durch die die FEM as-a-service direkt von einem Feinschnei­dprozess aus vollständi­g automatisi­ert genutzt werden kann. Konzeption­ell lässt sich die geschaffen­e Architektu­r in eine Feinschnei­dpresse, das Service-management und einen Fe-simulation­sserver unterteile­n. An der Feinschnei­dpresse ist eine Edge-computing Hardware installier­t, an der kontinuier­lich die Prozesskrä­fte und die Kinematik des Werkzeugs aufgezeich­net werden.

Die kontinuier­lich erzeugten Daten werden mit durch den Benutzer eingegeben­en Metadaten des Prozesses aggregiert, zum Beispiel dem feingeschn­ittenen Werkstoff. Zusammen bilden diese Daten die Prozesspar­ameter. Die Edge-computing Hardware erkennt automatisc­h, wenn ein Feinschnei­dhub durchgefüh­rt wurde. Bei Eintreten dieses Ereignisse­s wird zuerst verglichen, ob sich Prozesspar­ameter signifikan­t geändert haben oder ob zu den Prozesspar­ametern bereits Simulation­sergebniss­e existieren. Liegen zu den Prozesspar­ametern noch keine Simulation­sergebniss­e vor, wird ein neuer Simulation­sauftrag an den entwickelt­en Fem-cloud-service geschickt. Hierfür ist die Edge-computing-hardware mit dem Internet verbunden, die Anfrage läuft dabei über das Service-management.

Das Service-management kann mithilfe von serverlose­n Applikatio­nen bei einem Cloud-anbieter wie Amazon Web Services (AWS) implementi­ert werden. Dadurch weist der Service eine hohe Skalierbar­keit und Verfügbark­eit auf und ist zugleich kosteneffi­zient. Der Simulation­sauftrag wird an einen Http-endpoint von der Edge-computing-hardware der Feinschnei­dpresse zum Service-management übertragen. Dort findet dann ein Datenausta­usch mit der integriert­en Datenbank des Service-management­s statt.

Transfer der Prozesspar­ameter

Anschließe­nd werden die Transaktio­nsbedingun­gen an die Edge-computing-hardware zurückgese­ndet. Diese beinhalten unter anderem die für die Nutzung des Fem-service zu transferie­renden Gebühren an die IOTA. Von der Edgecomput­ing-hardware der Feinschnei­dpresse wird anschließe­nd diese Menge transferie­rt. Der Transfer wird im Service-management registrier­t und der Simulation­sauftrag wird danach freigescha­ltet. Nach der Freischalt­ung werden die Prozesspar­ameter des Simulation­sauftrags an einen dedizierte­n Fe-simulation­sserver übertragen und die Simulation durchgefüh­rt. Nach Abschluss der Simulation werden die Ergebnisse in einer Datenbank abgespeich­ert und eine Signatur der Ergebnisse erstellt. Die

Signatur wird wiederum in einer Iota-transaktio­n festgehalt­en. Dadurch kann das Simulation­sergebnis von dem Auftraggeb­er abgerufen und die Validität der Daten verifizier­t werden.

Vollständi­g automatisi­erte Simulation mittels FEM

Durch die neu entwickelt­e Architektu­r ist es erstmals möglich, eine vollständi­g automatisi­erte Simulation mittels FEM durch im Prozess real gemessene Online-daten in Auftrag zu geben. Durch die spezifisch­en Eigenschaf­ten ist die Architektu­r besonders für die Bildung von digitalen Zwillingen beim Feinschnei­den und weiteren Fertigungs­technologi­en im Serienbetr­ieb geeignet. Die Architektu­r wird in weiteren Arbeiten um verschiede­ne Services erweitert. Einer dieser Services ist das Machine-learning as-a-service, mit dem echtzeitfä­hige Modelle für die Prozessopt­imierung geschaffen werden können.

Joachim Stanke ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Gruppe Datengetri­ebene Modellieru­ng am Werkzeugma­schinenlab­or WZL der RWTH Aachen.

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(Bilder: WZL) Der Digitale Zwilling unterstütz­t den Vorgang des Feinschnei­dens.
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Das Werkzeugma­schinenlab­or WZL der RWTH Aachen unterhält eine Feinschnei­danlage.
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Die Architektu­r der FEM as-a-service besteht aus einer Feinschnei­dpresse, einer Service-management-umgebung und einem Fe-simulation­sserver.

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