Werkzeuge: Planfräser für Nickelbasislegierungen
93 Prozent günstiger schruppen
NICKEL-CHROM-LEGIERUNGEN zeichnen sich durch hohe Festigkeit und extreme Wärmebeständigkeit bis rund 750 Grad Celsius aus. Die Superlegierungen finden sich deshalb überall, wo sehr hohe Temperaturen entstehen: in Gasturbinen, Raketentriebwerken, Bauteilen von Raumschiffen, Kernkraftreaktoren oder Pumpen. Aber nicht nur in der Luft- und Raumfahrt, auch in anderen Bereichen geht der Trend zu heißstabilen Teilen: Maschinen zur Krafterzeugung müssen überall wirtschaftlicher werden und mit möglichst wenig Kühlung auskommen.
Höheres Zeitspanvolumen mit keramischen Schneidstoffen
Die hohe Temperaturstabilität der Nickelbasislegierung stellt Prozessverantwortliche in der Zerspanung oftmals vor Herausforderungen, auch weil es noch vergleichsweise wenige Erfahrungswerte gibt. Werden warmfeste Superlegierungen mit Wendeschneidplatten aus Hartmetall gefräst, beträgt die Schnittgeschwindigkeit
(Vc) nur etwa 45 m/min. Rund 20-fach höhere Schnittwerte beim Schruppen erreichen Fräser mit keramischen Schneidstoffen: Mit Schnittgeschwindigkeiten bis zu 1.000 m/min erreichen sie ein deutlich höheres Zeitspanvolumen (Q). Die bei keramischen Schneiden grundsätzlich geringere Schnitttiefe (ap) als bei Hartmetallschneiden gleicht die höhere Vorschubgeschwindigkeit (Vf) mehr als aus: In konkreten Anwendungsfällen ist das Zeitspanvolumen beim Schruppen von Inconel 718 mit Keramikschneiden mehr als zehnmal so hoch.
Rund 90 Prozent geringere Bearbeitungszeiten sind ein wichtiges Argument für die Produktionsplanung, insbesondere wenn, wie in der Luftfahrtbranche, die Auftragsbücher voll und die Maschinenkapazität knapp sind.
Knackpunkt Temperatur
Das Fräsen mit Keramikschneiden stellt hohe Anforderungen an Maschine, Schneidstoff und Prozess. Der größte Unterschied zur Hartmetallschneide ist die extrem hohe Temperatur in der Schneidzone: Durch Drehzahlen von über 10.000 U/min an der Spindel wird die gewünscht hohe Reibungshitze erzeugt, die den Werkstoff aufschmilzt und aus der Schneidzone abführt.
Bei Temperaturen von rund 1.200 Grad Celsius ist die Energie zwischen Werkzeug und Bauteil so hoch, dass ein helloranger Funkenstrahl zu sehen ist – ähnlich wie beim Schleifen.
Schruppbearbeitung von Triebwerksteilen
Für einen Hersteller von Triebwerksteilen hat Walter für die Schruppbearbeitung eines neuen Bauteils aus Inconel 718 vorhandene Planfräser mit Keramik-wendeschneidplatten sowie die entsprechenden Fräsprozesse optimiert. Als kritische Bearbeitungsstufe des konischen Drehteils mit über einem Meter Durchmesser wurde die Schruppbearbeitung der Facetten identifiziert. An zwölf Flächen beträgt die Gesamttiefe der Bearbeitung rund 25 Millimeter. Mit klassischen Werkzeugen würde diese Bearbeitung rund 50 Minuten dauern.
Walter hat einen bestehenden Werkzeugkörper mit fünf Schneiden und acht Schneidkanten pro Wendeplatte für diese Anwendung angepasst sowie den kompletten Bearbeitungsprozess in mehreren Versuchsreihen optimiert.
Sicherheit trotz Beschleunigung und Hitze
Grundvoraussetzung für das Fräsen mit Keramikschneiden sind Hochgeschwindigkeits-fräsmaschinen, die in der Lage sind, die Spindel auf teils über 10.000 U/ min zu beschleunigen. Im Laufe des Prozesses wurden daher der Plattensitz und die Geometrie des Fräsers optimiert, um für mehr Laufruhe zu sorgen.
Durch die Hitze in der Bearbeitungszone bilden sich Metalldämpfe, die sich auf dem Werkzeug niederschlagen und dessen bewegliche Teile und verkleben. Walter hat deshalb die Einbauteile der Keilklemmung mit einer Pvd-beschichtung überzogen, die einen höheren Schmelzpunkt als der Grundwerkstoff hat, was die Aufklebungen am Spannsystem minimiert.
Eine Besonderheit von Inconel: Beim Fräsen von Bauteilen kann das Material bei der Bearbeitung nachfedern oder es dehnt sich aus. In Versuchen wurde herausgefunden, dass ein geringer Sturzwinkel der Standzeit entgegenkommt. Für einen weichen Schnitt sind die Platten mit einem bestimmten Winkel in zwei Ebenen eingeschwenkt. Die verbesserte Werkzeuggeometrie sorgt für weniger Geräuschentwicklung und Vibration.
Werkzeug und Werkstück schonen
Es erfordert besondere Anpassungen, die Hitze durch Reibung im Fräsprozess gering zu halten: Einfahrweg, Drehzahl, Vorschub und Schnitttiefe müssen jeweils optimal gewählt werden. Keramikschneidstoffe kommen ursprünglich aus der Drehbearbeitung – dabei bleibt die thermische Belastung in der Regel relativ konstant. Beim Fräsen hingegen variiert die Temperatur an der Schneide, weil der Schnitt unterbrochen wird.
Dieser abrupte Wechsel von Reibungshitze und Abkühlung belastet die
Schneide zusätzlich. Daher hat man im konkreten Fall die Werkzeugwege so geplant, dass ein möglichst kontinuierlicher Schnitt gewährleistet ist.
Um einen Thermoschock durch Abkühlung des Werkzeugs zu verhindern, wird beim Fräsen mit Keramikschneiden ohne Kühlschmierstoffe gearbeitet. Die Temperatur des Prozesses wird vorzugsweise mit dem Span abgeführt und nicht hauptsächlich in das Bauteil eingebracht.
Walter hat den Fräskörpers mit Bohrungen versehen, über die während der Bearbeitung von Kavitäten Pressluft in den Bearbeitungsbereich geblasen wird. Späne lassen sich so zuverlässig evakuieren.
Der Triebwerksteile-lieferant hatte ursprünglich Bedenken, dass die enorme Temperatur von fast 1.200 Grad Celsius zu Verzug des Bauteils oder zu Oberflächenaufhärtung führen könnte, wie es beim Schleifen vorkommen kann.
Um das zu verhindern, werden die äußeren Seiten des Turbinengehäuses nicht in einem Zug gefräst. Das Bauteil wird nach jedem Abschnitt auf die gegenüberliegende Seite gedreht, um es weiter zu bearbeiten. Die Toleranzen liegen bei einem zehntel Millimeter und konnten problemlos eingehalten werden. In Versuchen wurde festgestellt, dass die Teile erstaunlicher Weise selbst unmittelbar nach dem Fräsen nur handwarm waren.
Werkzeugstandzeit dezimiert, aber Teile 93 Prozent günstiger
Der Großteil der bei der Bearbeitung entstehenden Wärme wird von der Schneidkante und vom Span absorbiert. Diese extreme Belastung durch Wärme und Geschwindigkeit macht sich auch an den vergleichsweise harten Keramikschneidplatten schnell bemerkbar. Temperaturbedingter chemischer Verschleiß und Adhäsion sind relativ schnell zu erkennen.
Davon sollte sich der Anwender aber nicht verunsichern lassen: Auch wenn das Werkzeug verschlissen aussieht, kann es trotzdem sehr gute Schnittwerte liefern. Die Verschleißmarkenbreite beim Schruppen lag bei zwei Millimetern.
Beim Keramikfräsen kann es vorkommen, dass Wendeschneidplatten weniger als zehn Minuten auf der Maschine sind, bevor sie verschlissen sind. Wenn dabei aber 20-mal schneller gearbeitet werden, zahlen sich die hohen Werkzeugkosten trotz allem aus.
Mit keramischen Wendeschneidplatten und dem für diese Anwendung optimierten Fräskörper reduzieren sich die Bearbeitungszeiten bei dem konkreten Anwendungsfall drastisch.
Im Vergleich zu einem Planfräser mit sieben Schneiden (Durchmesser 80 mm) reduzierte sich die Lebensdauer des Werkzeugs von 29 Minuten auf sieben Minuten pro Bestückung. Die Bearbeitungszeit ging jedoch gleichzeitig um 92 Prozent zurück. Die Bearbeitungskosten pro Bauteil (Cost per Part) für diese Schruppoperation sanken auf nur noch sieben Prozent des früheren Wertes.
Auch für andere Anwendungen gut
Ergebnis dieses Projektes ist ein Planfräser mit Keramikschneidplatten für einen ganz konkreten Prozess, aber die Erkenntnisse sind leicht übertragbar auf weitere Fälle. Bauteile aus Nickelbasislegierungen werden immer beliebter und aktuell laufen schon die Planungen, um den Fräskörper auch für andere Produktionsprozesse zu übernehmen.