Roboterschweißen im Mittelstand
Ab Losgröße 1 wirtschaftlich
ETWA EIN FÜNFTEL der weltweit eingesetzten Industrieroboter führt Schweißaufgaben aus. Das ist nach dem Handling die zweithäufigste Aufgabe von Industrierobotern überhaupt. Das belegen die Zahlen der„international Federation of Robotics“aus dem Jahr 2018. Allerdings: Bisher Schweißen Roboter eher hohe Stückzahlen und sorgen in Serie für robuste Prozesse.
Kleinere Stückzahlen rechnen sich deshalb nicht, weil die Programmierung, das Einrichten der Roboterzelle und das Nachteachen, also die Anpassung des offline erstellten Programms an die reale Anwendung, viel Zeit kosten. Kleine Losgrößen und eine variantenreiche Produktion jedoch ist für den Mittelstand typisch. Entsprechend hoch ist die Hürde für die Mittelständler auf dem Weg zum Schweißroboter.
Fachkräftemangel treibt Automatisierung
Dabei ist der Bedarf nach Schweißrobotern gerade im Mittelstand besonders hoch. Das zeigte sich auch im Technologieseminar „Schweißroboter für kleine Losgrößen 2019“des Fraunhofer-instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA im vergangenen Herbst. Jährlich lädt das Institut zu Vorträgen aus Forschung und Anwendung, die Besuchern sowohl den Stand der Technik als auch realisierte Anwendungen aus erster Hand nahebringen.
Ein häufiges Thema ist dabei der Mangel an qualifizierten Schweißfachkräften. Nahezu alle Referenten gingen auf diesen Punkt ein. Oft sind genug Aufträge da, aber nicht genug Schweißer, um die Aufträge abzuarbeiten. Bei Schweißrobotik geht es daher nicht um Rationalisierung, sondern darum, Produktionskapazitäten zu halten oder gar zu erhöhen. Auch wollen viele Unternehmen ihren erfahrenen Schweißern anspruchsvolle Aufgaben geben, die ihren Expertisen entsprechen, um die Fachkräfte zu halten. Dabei müssen sie heute auch oft vergleichsweise simple Schweiß-aufgaben erledigen.
Weitere Treiber für mehr Roboter sind: Wettbewerbsposition verbessern, sich unabhängiger machen von Zulieferern und individuellere Kundenbedarfe bedienen können.
Programmierung vereinfachen
Was kann man nun machen, um das Roboterschweißen kleiner Losgrößen wirtschaftlich zu machen? Erster Ansatz ist die Programmierung. Denn die gängige Teach-in-programmierung, bei der manuell jeder Punkt der Roboterbahn eingegeben wird, benötigt viele Iterationen. Die Mitarbeiter zu schulen ist aufwendig und die Roboterzelle ist während der Programmierung blockiert.
Dem gegenüber erlaubt eine Offlineprogrammierung, die Roboterzelle weiter zu nutzen. Allerdings sind dies meist aufwendige Expertensysteme, die erst erlernt werden müssen, und bei der Inbetriebnahme sind manuelle Anpassungen des Programms in der Zelle nötig. Mehrere Referenten haben im Ipa-seminar gezeigt, wie sich die Offline-programmierung verbessern und vereinfachen lässt, sodass Programme schneller fertig werden.
Eine Idee ist das parametrisierte Programmieren: Einzelne Programmteile lassen sich je nach Bedarf auswählen. Das ist sinnvoll, wenn die Anzahl möglicher Bauteile überschaubar ist. Dabei wird quasi das Bauteil programmiert, nicht der Roboter. Und: Hochwertige Simulationssysteme können die Programmierung großteils übernehmen.
Andere Referenten berichteten vom erfolgreichen Einsatz von Cobots für einfache Schweißprozesse. Der Vorteil: Diese leichten Roboter sind oft ortsflexibel und bringen in der Regel eine einfache Programmieroberfläche mit. Ergebnis ist ein halbautomatisiertes Schweißen, das die Qualität und Produktivität verbessern kann.
Schlaue Funktionen für Schweißroboter
Auch das Fraunhofer IPA selbst arbeitet gemeinsam mit Anwendern an Lösungen. In diesem Zug hat das Institut das „3D-sensor-toolkit“samt Auswertungssoftware und einen automatischen Bahnplaner entwickelt. Das 3D-sensor-toolkit lässt sich in bestehende Schweißrobotersysteme integrieren und verleiht ihnen die Fähigkeit zu „sehen“. Der Sensor vermisst das Bauteil kontaktlos. Bauteilposition und -toleranzen werden erkannt und automatisch abgeglichen. Über Schnittstellen zur Offline-programmiersoftware werden die einzelnen Messungen in Form von Punktewolken übermittelt und das Cad-modell aktualisiert.
Auf Grundlage der Cad-daten programmiert der Schweißexperte beispielsweise in der Offline-programmier-oberfläche von Delfoi Arc das Robotersystem. Die Ipa-softwarekomponente des 3Dsensor-toolkits ist dort als Plug-in integriert. Der 3D-sensor samt Software ermöglicht so eine auf 0,2 Millimeter genaue 3D-lagevermessung des Bauteils, erkennt geometrische Bauteilabweichungen und passt die Cad-daten in der Offline-simulation an die tatsächlichen Gegebenheiten an. Ein weiterer Algorithmus reagiert auf die erkannten Abweichungen und verändert die ursprüngliche Programmierung der Schweißnähte. Nachteachen entfällt oder wird zumindest auf ein Minimum reduziert.
Die Software-komponente für die automatische Bahnplanung adaptiert die Schweißbahn, um Kollisionen mit der Vorrichtung, dem Bauteil oder der Roboterzelle zu vermeiden. Dabei berücksichtigt sie optimierte Prozessparameter. In die Planung fließen auch mögliche Freiheitsgrade wie Eigenrotation der Schweißpistole ein. So ausgeführte Offline-programmierung ist nicht nur effizient, sondern auch prozessstabil.
In der Praxis
3D-sensor-toolkit und Softwarekomponenten stehen für Beta-tests zur Verfügung. Sie stammen unter anderem aus den Eu-forschungsprojekten Smerobotics und Robott-net. Letzteres hat die Technologien des Pilotprojekts Autoweld in die Praxis gebracht. In diesem hat das IPA die Softwarekomponenten in die Offline-programmiersoftware Delfoi Arc 4 integriert.
Anwendungsbeispiel: In die Praxis geht es zur Firma Piccolo K+L Behältertechnik Gmbh. Das Unternehmen stellt Gitterund Transportboxen für die Autoindustrie her, die in relativ kleinen Stückzahlen und hoher Varianz gefertigt werden. Daher schweißen Fachkräfte die Boxen heute von Hand. Im Zuge von Autoweld wurde bereits ein Roboter in der Piccolo-produktion getestet, dessen Programmierung mithilfe der Projektergebnisse deutlich leichter von der Hand geht und nur geringe Roboterkenntnisse voraussetzt.
Auch beim Mittelständler Cedis Components Gmbh wurden die Technologiekomponenten bereits getestet. Dort konnte die Programmierzeit des Schweißroboters in einem ersten Szenario ebenfalls signifikant reduziert werden.
Die KI programmiert
Maschinelles Lernen (ML) hat Potenzial, die Programmiereffizienz weiter zu steigern. Grundsätzlich geht es beim ML darum, Muster in Daten zu erkennen und dieses Wissen zur Problemlösung einzusetzen. Das verändert sich mit Blick auf die traditionelle Datenverarbeitung: Bisher war es nötig, ein Programm zu schreiben, das mithilfe von Eingaben Ausgaben für das Schweißroboterprogramm erzeugt. Mithilfe von ML soll das Programm nun komplett automatisch erzeugt werden. Hierfür erhält der Algorithmus Eingabedaten und, je nach Ml-methode, auch Ausgabedaten und erzeugt darauf basierend das erforderliche Programm anhand von Abschätzungen.
Das derzeit erfolgreichste Ml-verfahren ist Deep Learning. „Deep“, weil es tiefe künstliche neuronale Netze nutzt, die in mehreren Schichten arbeiten, um Erkenntnisse aus Daten zu gewinnen und Entscheidungen zu treffen. Ein neuronales Netz muss jedoch mit realen Daten trainiert werden, bis es eigenständig richtige Ausgaben erzeugen kann.
Eine andere Machine-learning-methode ist die des Reinforcement Learnings: Hier erhält der Algorithmus bei korrekter Ausgabe ein Belohnungssignal und wird so schrittweise besser. Übertragen auf die Programmgenerierung beim Roboterschweißen heißt das: Der Algorithmus erhält als Eingabedaten den Start- und Zielpunkt sowie die Position eines Hindernisses. Die Ausgabe besteht aus dem nächsten Punkt auf der Roboterbahn. Ist die Lage des Roboters kollisionsfrei und erfüllt sie weitere Kriterien, gibt es während der Trainingsphase eine Belohnung. Diese Lernphase kann in einer Simulationsumgebung erfolgen.
Künftig könnten also Programme mit einem noch höheren Autonomiegrad erzeugt werden. Neben den erwähnten Ansätzen bietet das IPA weitere Dienstleistungen an, um Schweißroboter bei kleinen Losgrößen effizient zu nutzen: Untersuchungen zur Genauigkeit von Robotersystemen, zur cloudbasierten Vernetzung, Machbarkeitsuntersuchungen, Konzepte und Realisierungen.
Dipl.-ing. Johannes Stoll leitet am Fraunhofer IPA die Gruppe „Roboterprozesse und Kinematiken“.