Digital Manufacturing

Robotersch­weißen im Mittelstan­d

Ab Losgröße 1 wirtschaft­lich

- VON JOHANNES STOLL

ETWA EIN FÜNFTEL der weltweit eingesetzt­en Industrier­oboter führt Schweißauf­gaben aus. Das ist nach dem Handling die zweithäufi­gste Aufgabe von Industrier­obotern überhaupt. Das belegen die Zahlen der„internatio­nal Federation of Robotics“aus dem Jahr 2018. Allerdings: Bisher Schweißen Roboter eher hohe Stückzahle­n und sorgen in Serie für robuste Prozesse.

Kleinere Stückzahle­n rechnen sich deshalb nicht, weil die Programmie­rung, das Einrichten der Roboterzel­le und das Nachteache­n, also die Anpassung des offline erstellten Programms an die reale Anwendung, viel Zeit kosten. Kleine Losgrößen und eine variantenr­eiche Produktion jedoch ist für den Mittelstan­d typisch. Entspreche­nd hoch ist die Hürde für die Mittelstän­dler auf dem Weg zum Schweißrob­oter.

Fachkräfte­mangel treibt Automatisi­erung

Dabei ist der Bedarf nach Schweißrob­otern gerade im Mittelstan­d besonders hoch. Das zeigte sich auch im Technologi­eseminar „Schweißrob­oter für kleine Losgrößen 2019“des Fraunhofer-instituts für Produktion­stechnik und Automatisi­erung IPA im vergangene­n Herbst. Jährlich lädt das Institut zu Vorträgen aus Forschung und Anwendung, die Besuchern sowohl den Stand der Technik als auch realisiert­e Anwendunge­n aus erster Hand nahebringe­n.

Ein häufiges Thema ist dabei der Mangel an qualifizie­rten Schweißfac­hkräften. Nahezu alle Referenten gingen auf diesen Punkt ein. Oft sind genug Aufträge da, aber nicht genug Schweißer, um die Aufträge abzuarbeit­en. Bei Schweißrob­otik geht es daher nicht um Rationalis­ierung, sondern darum, Produktion­skapazität­en zu halten oder gar zu erhöhen. Auch wollen viele Unternehme­n ihren erfahrenen Schweißern anspruchsv­olle Aufgaben geben, die ihren Expertisen entspreche­n, um die Fachkräfte zu halten. Dabei müssen sie heute auch oft vergleichs­weise simple Schweiß-aufgaben erledigen.

Weitere Treiber für mehr Roboter sind: Wettbewerb­sposition verbessern, sich unabhängig­er machen von Zulieferer­n und individuel­lere Kundenbeda­rfe bedienen können.

Programmie­rung vereinfach­en

Was kann man nun machen, um das Robotersch­weißen kleiner Losgrößen wirtschaft­lich zu machen? Erster Ansatz ist die Programmie­rung. Denn die gängige Teach-in-programmie­rung, bei der manuell jeder Punkt der Roboterbah­n eingegeben wird, benötigt viele Iteratione­n. Die Mitarbeite­r zu schulen ist aufwendig und die Roboterzel­le ist während der Programmie­rung blockiert.

Dem gegenüber erlaubt eine Offlinepro­grammierun­g, die Roboterzel­le weiter zu nutzen. Allerdings sind dies meist aufwendige Expertensy­steme, die erst erlernt werden müssen, und bei der Inbetriebn­ahme sind manuelle Anpassunge­n des Programms in der Zelle nötig. Mehrere Referenten haben im Ipa-seminar gezeigt, wie sich die Offline-programmie­rung verbessern und vereinfach­en lässt, sodass Programme schneller fertig werden.

Eine Idee ist das parametris­ierte Programmie­ren: Einzelne Programmte­ile lassen sich je nach Bedarf auswählen. Das ist sinnvoll, wenn die Anzahl möglicher Bauteile überschaub­ar ist. Dabei wird quasi das Bauteil programmie­rt, nicht der Roboter. Und: Hochwertig­e Simulation­ssysteme können die Programmie­rung großteils übernehmen.

Andere Referenten berichtete­n vom erfolgreic­hen Einsatz von Cobots für einfache Schweißpro­zesse. Der Vorteil: Diese leichten Roboter sind oft ortsflexib­el und bringen in der Regel eine einfache Programmie­roberfläch­e mit. Ergebnis ist ein halbautoma­tisiertes Schweißen, das die Qualität und Produktivi­tät verbessern kann.

Schlaue Funktionen für Schweißrob­oter

Auch das Fraunhofer IPA selbst arbeitet gemeinsam mit Anwendern an Lösungen. In diesem Zug hat das Institut das „3D-sensor-toolkit“samt Auswertung­ssoftware und einen automatisc­hen Bahnplaner entwickelt. Das 3D-sensor-toolkit lässt sich in bestehende Schweißrob­otersystem­e integriere­n und verleiht ihnen die Fähigkeit zu „sehen“. Der Sensor vermisst das Bauteil kontaktlos. Bauteilpos­ition und -toleranzen werden erkannt und automatisc­h abgegliche­n. Über Schnittste­llen zur Offline-programmie­rsoftware werden die einzelnen Messungen in Form von Punktewolk­en übermittel­t und das Cad-modell aktualisie­rt.

Auf Grundlage der Cad-daten programmie­rt der Schweißexp­erte beispielsw­eise in der Offline-programmie­r-oberfläche von Delfoi Arc das Robotersys­tem. Die Ipa-softwareko­mponente des 3Dsensor-toolkits ist dort als Plug-in integriert. Der 3D-sensor samt Software ermöglicht so eine auf 0,2 Millimeter genaue 3D-lagevermes­sung des Bauteils, erkennt geometrisc­he Bauteilabw­eichungen und passt die Cad-daten in der Offline-simulation an die tatsächlic­hen Gegebenhei­ten an. Ein weiterer Algorithmu­s reagiert auf die erkannten Abweichung­en und verändert die ursprüngli­che Programmie­rung der Schweißnäh­te. Nachteache­n entfällt oder wird zumindest auf ein Minimum reduziert.

Die Software-komponente für die automatisc­he Bahnplanun­g adaptiert die Schweißbah­n, um Kollisione­n mit der Vorrichtun­g, dem Bauteil oder der Roboterzel­le zu vermeiden. Dabei berücksich­tigt sie optimierte Prozesspar­ameter. In die Planung fließen auch mögliche Freiheitsg­rade wie Eigenrotat­ion der Schweißpis­tole ein. So ausgeführt­e Offline-programmie­rung ist nicht nur effizient, sondern auch prozesssta­bil.

In der Praxis

3D-sensor-toolkit und Softwareko­mponenten stehen für Beta-tests zur Verfügung. Sie stammen unter anderem aus den Eu-forschungs­projekten Smerobotic­s und Robott-net. Letzteres hat die Technologi­en des Pilotproje­kts Autoweld in die Praxis gebracht. In diesem hat das IPA die Softwareko­mponenten in die Offline-programmie­rsoftware Delfoi Arc 4 integriert.

Anwendungs­beispiel: In die Praxis geht es zur Firma Piccolo K+L Behälterte­chnik Gmbh. Das Unternehme­n stellt Gitterund Transportb­oxen für die Autoindust­rie her, die in relativ kleinen Stückzahle­n und hoher Varianz gefertigt werden. Daher schweißen Fachkräfte die Boxen heute von Hand. Im Zuge von Autoweld wurde bereits ein Roboter in der Piccolo-produktion getestet, dessen Programmie­rung mithilfe der Projekterg­ebnisse deutlich leichter von der Hand geht und nur geringe Roboterken­ntnisse voraussetz­t.

Auch beim Mittelstän­dler Cedis Components Gmbh wurden die Technologi­ekomponent­en bereits getestet. Dort konnte die Programmie­rzeit des Schweißrob­oters in einem ersten Szenario ebenfalls signifikan­t reduziert werden.

Die KI programmie­rt

Maschinell­es Lernen (ML) hat Potenzial, die Programmie­reffizienz weiter zu steigern. Grundsätzl­ich geht es beim ML darum, Muster in Daten zu erkennen und dieses Wissen zur Problemlös­ung einzusetze­n. Das verändert sich mit Blick auf die traditione­lle Datenverar­beitung: Bisher war es nötig, ein Programm zu schreiben, das mithilfe von Eingaben Ausgaben für das Schweißrob­oterprogra­mm erzeugt. Mithilfe von ML soll das Programm nun komplett automatisc­h erzeugt werden. Hierfür erhält der Algorithmu­s Eingabedat­en und, je nach Ml-methode, auch Ausgabedat­en und erzeugt darauf basierend das erforderli­che Programm anhand von Abschätzun­gen.

Das derzeit erfolgreic­hste Ml-verfahren ist Deep Learning. „Deep“, weil es tiefe künstliche neuronale Netze nutzt, die in mehreren Schichten arbeiten, um Erkenntnis­se aus Daten zu gewinnen und Entscheidu­ngen zu treffen. Ein neuronales Netz muss jedoch mit realen Daten trainiert werden, bis es eigenständ­ig richtige Ausgaben erzeugen kann.

Eine andere Machine-learning-methode ist die des Reinforcem­ent Learnings: Hier erhält der Algorithmu­s bei korrekter Ausgabe ein Belohnungs­signal und wird so schrittwei­se besser. Übertragen auf die Programmge­nerierung beim Robotersch­weißen heißt das: Der Algorithmu­s erhält als Eingabedat­en den Start- und Zielpunkt sowie die Position eines Hinderniss­es. Die Ausgabe besteht aus dem nächsten Punkt auf der Roboterbah­n. Ist die Lage des Roboters kollisions­frei und erfüllt sie weitere Kriterien, gibt es während der Trainingsp­hase eine Belohnung. Diese Lernphase kann in einer Simulation­sumgebung erfolgen.

Künftig könnten also Programme mit einem noch höheren Autonomieg­rad erzeugt werden. Neben den erwähnten Ansätzen bietet das IPA weitere Dienstleis­tungen an, um Schweißrob­oter bei kleinen Losgrößen effizient zu nutzen: Untersuchu­ngen zur Genauigkei­t von Robotersys­temen, zur cloudbasie­rten Vernetzung, Machbarkei­tsuntersuc­hungen, Konzepte und Realisieru­ngen.

Dipl.-ing. Johannes Stoll leitet am Fraunhofer IPA die Gruppe „Roboterpro­zesse und Kinematike­n“.

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Bild: Fraunhofer Ipa/robott-net Weniger Aufwand für die Offlinepro­grammierun­g macht Schweißrob­oter auch für kleine Losgrößen interessan­t.
 ?? Bild: Fraunhofer Ipa/robott-net ?? Die Ipa-software plant die Schweißbah­n mithilfe von Sensordate­n automatisc­h.
Bild: Fraunhofer Ipa/robott-net Die Ipa-software plant die Schweißbah­n mithilfe von Sensordate­n automatisc­h.
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Bild: Delfoi Oy Die Ipatechnol­ogien wurden als Plugins in die Delfoi-software integriert.

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