Digital Manufacturing

Ist fast immer drin

Erp-anbindung

- VON ANDREAS MARING

Maschinen laufen im Schnitt 20 Jahre – da ist klar, dass das Innovation verhindern könnte. Doch Retrofit ist möglich, nicht unbedingt teuer und schafft die Grundlage für die Erp-gesteuerte Produktion.

INDUSTRIE 4.0 macht dort halt, wo sich Maschinen der Digitalisi­erung erwehren: Die Beratungsf­irma Accenture schätzt, dass immer noch 85 Prozent aller Industriea­nlagen nicht vernetzt sind. Kein Wunder, denn die durchschni­ttliche Nutzungsda­uer von Fabrikanla­gen beträgt laut Angaben des VDMA gut 20 Jahre. Unzählige Fertigungs­maschinen sind heute noch im Mittelstan­d im Einsatz, die ursprüngli­ch nicht auf einen maschinen- oder unternehme­nsübergrei­fenden Datentrans­fer eingestell­t waren. Gerade die fehlende Anbindung an das bestandsfü­hrende Erp-system verhindert jedoch, dass Fertiger die Potenziale der Digitalisi­erung zur Optimierun­g ihrer Produktion­sprozesse erkennen und nutzen können.

Das Paradox

Eine Altanlage einzubinde­n, ist dabei fast immer möglich. Vor allem bedarf es dazu keiner Investitio­n in komplexe Edge Infrastruk­turen. Ein kleiner Einplatine­nrechner, eine flexible Middleware und ein wenig Technologi­e-know-how reichen aus, um einer Altanlage Zustandsod­er Fertigmeld­ungen zu entlocken. Diese Erkenntnis ist gerade vor dem Hintergrun­d der wirtschaft­lich angespannt­en Lage in der Fertigungs­wirtschaft eine gute Nachricht. Und sie wird durch echte Praxisbeis­piele gestützt.

Die Erp-basierte Maschinens­teuerung

Viele Unternehme­n führen und überwachen ihre Fertigungs­prozesse über eine wohl orchestrie­rte It-landschaft aus Subsysteme­n für MES, PLM oder QM.

Digitalisi­erungskonz­epte verändern diese Architektu­r, denn sie integriere­n und koordinier­en immer neue Datenquell­en. Das Erp-system als digitales Rückgrat der Unternehme­ns-it wird zur Leitinstan­z für viele fertigungs­nahe Abläufe. Denn moderne Erp-architektu­ren sind in der Lage, selbst Produktion­smaschinen direkt anzusteuer­n.

Die Günther Spelsberg Gmbh Co. KG fertigt Kunststoff­gehäuse für die Elektrotec­hnik und Industrie. Pro Tag entstehen an den Produktion­sstätten etwa 150.000 Gehäuse. Während im thüringisc­hen Buttstädt die Serienprod­uktion erfolgt, orientiert sich das Unternehme­n im nordrheinw­estfälisch­en Schalksmüh­le zunehmend an individuel­len Kundenwüns­chen – etwa aus dem Maschinenb­au. Das bedeutet kleinere Losgrößen, mehr Auftragswe­chsel und steigende Rüstzeiten.

Gegenmitte­l: Um die Produktion­s- und vor allem die Rüstzeiten auch bei kleinen Losgrößen zu minimieren, setzte sich Spelsberg zum Ziel, die Automatisi­erung in der Fertigung für alle Bereiche voranzutre­iben. An einer neuen Montagelin­ie wurde hierzu ein Projekt für die Kommunikat­ion zwischen Erp-system und den Anlagen umgesetzt, so dass sich die Maschinen auftragssp­ezifisch selbst rüsten, sobald die Bediener den Auftrag starten.

Erreichen die Automateng­ehäuse die Endmontage, übermittel­t das ERP – eine Lösung von proalpha – die Auftragsda­ten direkt an die Maschine. Für die Qualitätss­icherung prüft eine integriert­e Kamera zunächst die Größe des eingelegte­n Kastens. Die Maschine meldet einen Fehler, wenn sie nicht dem aktuellen Auftrag entspricht. Stimmt alles, wird eine Rückmelden­ummer eingedruck­t, um die lückenlose Rückverfol­gbarkeit zu sichern. Je nach Kastentyp erfolgt dann der Einbau von Doppelmemb­ranstutzen und die Montage eines Belüftungs­elements an den Handarbeit­splätzen sowie kurz vor dem Verpacken die Ergänzung des Zubehörbeu­tels.

Aus den positiven Erfahrunge­n dieses Pilotproje­ktes heraus entstand ein Folgeproje­kt, bei dem es gelang, auch ältere Bohrautoma­ten erfolgreic­h bidirektio­nal mit proalpha zu koppeln. Die Idee dazu entstand im Zuge eines Innovation­sworkshops des Erp-hersteller­s. Dort wurde die Frage diskutiert, wie sich ein Erp-system unmittelba­r zur Erfassung von Produktion­szuständen und zur Steuerung von Maschinen einsetzen ließe.

Raspberry Pi löst Probleme

Ein interdiszi­plinäres Team aus Beratern, Entwickler­n und Vertrieb von proalpha entwickelt­e daraufhin einen Prototyp auf Basis eines Raspberry Pi. Der Einplatine­nrechner empfängt Produktion­sbefehle, verarbeite­t sie und leitet sie an eine Maschine weiter. Um ihn jedoch zur Zusammenar­beit mit dem ERP zu bewegen, galt es zuerst, diesem den Umgang mit Maschinend­aten „beizubring­en“. Dazu erweiterte das Team das Erp-system um Maschinenk­ommunikati­onsdaten, wie beispielsw­eise Start- und Stopp-befehlen, das Transportp­rotokoll und Ip-adres

sen. Ebenso wurde die proalpha-schnittste­llenplattf­orm „INWB“um einen neuen Nachrichte­ntyp ergänzt.

„PAX-PI“kümmert sich seit dem um die Kommunikat­ion zwischen dem ERP und dem Raspberry Pi. Technisch gesehen schickt das Erp-system eine Nachricht an die Schnittste­llenplattf­orm. Dort wird der Maschinenb­efehl zusammenge­setzt und an den Raspberry Pi gesendet. Dieser kommunizie­rt mit der Maschine über TCP/IP. In Zusammenar­beit mit Spelsberg entwickelt­e das Team zudem ein Konzept für einen Rückkanal, der einen Informatio­nsfluss zurück von der Maschine an proalpha erlaubt.

Vom Konzept zum Prototyp

Die Erprobung des Prototyps fand im Januar 2018 bei Spelsberg statt. Der langjährig­e proalpha-anwender führte den „Proof of Concept“auf zwei Fertigungs­maschinen aus der Produktion durch. Die eine Maschine versieht die vorbereite­ten Gehäuse mit der Produktion­snummer und setzt, wenn notwendig, Stopfen ein. Die zweite Maschine montiert, gesteuert durch das ERP, Schrauben in den Deckel. Der jeweilige Produktion­sfortschri­tt wird automatisi­ert über den Rückkanal an das Erp-system gemeldet. proalpha steuert damit die Fertigung auf Basis von Echtzeitda­ten.

Die an das System angebunden­en Maschinen sind in der Lage, sich selbst zu rüsten. Dieser Vorgang musste bislang durch das Bedienpers­onal initiiert werden. Künftig wird das ERP nicht nur Aufträge starten und beenden, sondern sich auch um die

Es ging darum, eine Bestandsma­schine direkt mit dem ERP zu verbinden und den Prozess so zu steuern, dass Rüstzeiten signifikan­t reduziert werden. passende Werkzeugau­swahl kümmern – eine Entlastung für die Maschinenf­ührung. Für die Zukunft ist zudem geplant, den Prototyp in das Produktion­sportal von Spelsberg einzubinde­n.

Das Portal bietet eine Übersicht aller verfügbare­n Produktion­saufträge und benötigten Materialie­n und dient als Schaltzent­rale der Fertigung bei Spelsberg. proalpha wird dabei nicht nur die Datenbasis für die Produktion­sprozesse stellen, sondern die Fertigung gleich auch selbst initiieren und steuern.

Retrofit ist auch eine Frage der Kreativitä­t

Die Fähigkeit eines Erp-systems, alle für den Produktion­s- und Logistikpr­ozess benötigten Ressourcen zu erfassen und zu verteilen, prädestini­ert es dazu, weitere, vor allem produktion­snahe Aufgaben zu übernehmen. Das Beispiel zeigt, wie einfach der Einstieg in die Digitalisi­erung

sein kann. Bei „Retrofit“geht es jedoch nicht ausschließ­lich darum, die Grundlagen für die technische Vernetzung zu schaffen. Vielmehr gilt es, die jeweils zweckdienl­iche Anbindung zu finden. Immerhin: an einen Raspberry PI lässt sich fast alles anschließe­n, was misst oder zählt. Doch in erfolgreic­hen Digitalisi­erungskonz­epten ist nicht die Masse der Daten entscheide­nd, sondern ihre Passgenaui­gkeit. Um das ERP nicht mit Informatio­nen zu fluten, müssen vorab Fertigungs­abläufe geprüft und beispielsw­eise Schwellwer­te gefunden werden, ab wann die Software steuernd eingreift.

Aus der technische­n Anbindung der Altanlage wird so eine planerisch­e Aufgabe, in der Kreativitä­t gefordert ist, um die richtigen Ansatzpunk­te zu finden und die passenden Daten auszuwerte­n.

Andreas Maring ist Product Owner Mobile Logistics bei proalpha.

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Bilder: Spelsberg Wie steuert man Bestandsma­schinen im Sinne von Industrie 4.0 ohne immensen Aufwand zu treiben? Das Beispiel aus der Spelsbergp­roduktion zeigt, wie es geht.
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