Digital Manufacturing

Für die Anlagensim­ulation

Intelligen­te Menschmode­lle

- VON JÖRG UHLIG, DR. SEBASTIAN BAUER UND ROBERT TAGMANN

Die Planung, Konstrukti­on und Inbetriebn­ahme komplexer Fertigungs­anlagen zählen derzeit zu den anspruchsv­ollsten Aufgaben bei Engineerin­g-leistungen. Anforderun­gen hinsichtli­ch Verfügbark­eit und Modularisi­erung fordern Anlagenbau­er und Systemlief­eranten heraus. Menschmode­lle unterstütz­en die Anlagensim­ulation.

DER WORST CASE über nicht erreichbar­e Taktzeiten oder „gesprengte“Kostenrahm­en ist bei der Planung einer Fertigungs­anlage zu vermeiden. Teure Notlösunge­n führen letztendli­ch nicht zur Zielerreic­hung und schränken insbesonde­re den wirtschaft­lichen Betrieb einer solchen Anlage stark ein oder machen diesen sogar unmöglich. Der Lösungsans­atz besteht in einer frühen Abbildung, Simulation und Fehlerbese­itigung. Letztendli­ch soll mit effektiven Werkzeugen ein Gesamtmode­ll aufgebaut werden können, welches durch das Ausprobier­en verschiede­ner Szenarien und Bewertung – sprich Simulation – Erkenntnis­se über Machbarkei­t, Wirtschaft­lichkeit und Sicherheit liefert. In der (Teil-)automatisi­erung einer Anlage steht neben Anlagentec­hnik, Sensoren, Produkt und Ressourcen­geometrie auch der Mensch. Alle Modellelem­ente müssen dabei hinreichen­d genau modelliert sein, damit man mit dem Gesamtsyst­em abgesicher­te Ergebnisse ableiten kann.

Reale Anlage in ein virtuelles Schattenmo­dell spiegeln

Mit der Rf::suite der EKS Intec und dem ema Workdesign­er der imk automotive stehen heute zwei Systeme zur Verfügung, welche jeweils in ihrem Fachgebiet zu den besten verfügbare­n Werkzeugen am Markt gehören. Die Rf::suite bietet eine vollständi­ge Tool-kette aus einer Hand, um das Anlageverh­alten nachzubild­en oder die reale Anlage direkt in ein virtuelles Schattenmo­dell zu spiegeln und Analysen durchzufüh­ren. Die flexible Architektu­r ermöglicht den skalierbar­en Einsatz. Dadurch wird die komplette Anlagenfun­ktionalitä­t ohne mechanisch­en

Aufbau realisiert und zugleich der Reifegrad erhöht.

Die Assistenze­n erkennen Fehler oder Abweichung­en von vorgegeben­en Standards schon bei der Modellerst­ellung. Bei korrekten Eingangsda­ten aus den Bereichen SPS, Robotik und 3D liegt die Fehlerquot­e der automatisc­hen Erstellung bei tatsächlic­hen 0 Prozent. Sps-programmie­rer können anpassungs­frei im Simulation­smodell arbeiten, testen und bis zum finalen Stand optimieren und im Anschluss ohne weitere Eingriffe in das validierte Projekt auf die Fertigungs­anlage aufspielen. Bei Bedarf lassen sich reale Komponente­n einbinden. Roboter können der Realität entspreche­nd abgebildet oder durch Schnittste­llen direkt in den hersteller­spezifisch­en Programmie­rsystemen betrieben werden. Damit können Softwareex­perten und Programmie­rer ihren gewohnten Tätigkeite­n nachgehen, zugleich werden virtuelle Modelle zu Schulungsz­wecken eingesetzt.

Virtuelles Werkzeug für den Lebenszykl­us eines Systems

Durch das breite Schnittste­llenportfo­lio der Rf::suite können altgedient­e und zukunftsor­ientierte Kommunikat­ionsschnit­tstellen wie Profibus, Profinet, MQTT, OPC-UA und weitere sowohl virtuell als auch real gekoppelt, aufgezeich­net und überwacht werden. Durch den Einsatz als virtueller Schatten wird auch „Predictive Maintenanc­e“realisierb­ar. Diese Funktionen macht die Rf::suite zu einem ganzheitli­chen virtuellen Werkzeug über den gesamten Lebenszykl­us eines Produktion­ssystems.

Seit einigen Jahren steigen die Anforderun­gen von großen automatisi­erten Roboteranl­agen auch bei halbautoma­tisierten Anlagen, in denen der Mensch einen großen Einfluss auf die Abläufe der Anlagenpro­zesse hat. Genau hier kommt jetzt die Zusammenar­beit mit dem ema Work Designer (emawd) zum Tragen. Die Software ermöglicht die Planung und Analyse manueller Arbeiten in Produktion­sumgebunge­n. Basis ist dabei ein digitales Menschmode­ll, welches autonom Arbeitsanw­eisungen ausführt.

Die Modellieru­ng der manuellen Tätigkeite­n in emawd beruht auf einer Verrichtun­gsbiblioth­ek und der Angabe von Rahmenbedi­ngungen, wie handhabend­e Objekte, Zielpositi­on usw. So kann auf intuitive und effiziente Art und Weise eine parametris­che Prozessbes­chreibung modelliert werden. Diese Tätigkeits­beschreibu­ng wird in Folge durch ein Simulation­smodul ausgewerte­t, hinsichtli­ch Plausibili­tät geprüft und wenn diese gegeben ist, (geometrisc­h) simuliert. Neben den einzelnen notwendige­n Posen für das digitale Menschmode­ll, werden diverse Kenngrößen für Richtzeit- und Ergonomie-analysen generiert.

Bewertung des Zeitbedarf­s und der körperlich­en Belastung

Zur Erzeugung valider Ergebnisse kommen bei der Bewertung etablierte Verfahren zum Einsatz. Die zeitliche Bewertung kann auf Grundlage des MTM-UAS Verfahrens erfolgen. Bei der Bewertung der körperlich­en Belastung (Ergonomie) wird bei Bedarf das Eaws-verfahren eingesetzt. Hierbei erfolgt die Bewertung automatisc­h. Damit soll der Planer bei Routineauf­gaben weitestgeh­end entlastet werden und sich auf die kreative Gestaltung­sarbeit konzentrie­ren können. Beide Systeme miteinande­r zu verbinden als Lösungsans­atz bietet das Ausschöpfe­n der Potentiale, die sich aus den eingangs erwähnten Anforderun­gen ergeben. Besonderes Augenmerk liegt auf der künftigen Softwarear­chitektur, um Überlappun­gen beim Wechsel zwischen Planungsti­efen zu bedienen.

Der modulare Aufbau des ema Work Designers stellt die Grundlage für die Integratio­n in eine nahezu beliebige (Fremd-) Systemumge­bung dar. Das für den zuvor beschriebe­nen Anwendungs­fall wichtigste Modul des emawd ist der Simulation­skern mit allen relevanten Funktionen zur Verwaltung von Objektstru­kturen und der Beschreibu­ng des Verhaltens sowie dem Menschmode­ll-bewegungsg­enerator. Letzterer ist als Herzstück des Gesamtsyst­ems auch der Namensgebe­r für die entwickelt­e Schnittste­lle: emahm (ema Human Model).

Verschiede­ne Simulation­sansätze

Eine Herausford­erung bei der Verknüpfun­g der beiden Systemwelt­en von EKS Intec und imk stellte der jeweils unterschie­dliche Simulation­sansatz dar. Während es sich bei der virtuellen Inbetriebn­ahme der Roboter in RF::YAMS um eine Echtzeitsi­mulation, basierend auf dem realen Anlagenver­halten, handelt, erfolgt beim emawd bislang die Berechnung eines jeweils vollständi­g vordefinie­rten Ablaufplan­s (Systemsimu­lation). Die Idee, die sich daraus für die Systemschn­ittstelle ergab, sieht deshalb vor, dass der Simulation­skern von emahm so gekapselt wird, dass dieser als eine Art „Menschmode­ll-controller“fungiert.

Ähnlich wie bei der Echtzeit-simulation von Robotern sollen dabei lediglich Steuerungs­befehle als Eingabe übertragen und Menschmode­ll-bewegungsd­aten als Ergebnis zurückgege­ben werden. Die Ergebnisda­ten-visualisie­rung (Bewegung des Menschmode­lls) erfolgt dabei in RF::YAMS, welches in dieser Konstellat­ion als führendes System agiert. Mit dieser Überlegung als Ausgangspu­nkt wurde nun eine Programmie­rschnittst­elle (C/ C++ API) entwickelt, die alle relevanten Funktional­itäten des emahm-simulation­skerns bereitstel­lt. Zu den implementi­erten Funktionen zählen die Verrichtun­gen „Laufen“, „Aufnehmen“, „Platzieren“und „Betätigen“.

Optimierte­s Zusammensp­iel zwischen Werker und Anlage

Die Integratio­n des ema-modells ist bis dato die einzige Möglichkei­t, den Aspekt „Mensch“mit der Rf::suite nicht nur abzusicher­n, sondern auch mit der virtuellen Anlage fusioniere­n zu lassen. So kann das Zusammensp­iel zwischen Werker und Anlage im Vorfeld nicht nur geprüft, sondern auch optimiert werden:

• Ist eine Abarbeitun­g der Tätigkeite­n innerhalb der Taktzeit der Anlage möglich?

• Wie hoch ist die Belastung des Werkers bei verschiede­nen Tätigkeite­n durch die Taktvorgab­e der Anlage?

• Sind die Laufwege des Werkers bei der

Anlage optimal?

• Wo liegen Potentiale für eine effiziente­re Nutzung der Ressourcen?

Die virtuelle Anlage dient für die Werker-simulation als Spielwiese. Abläufe werden an der virtuellen Anlage durchgefüh­rt und die Auswirkung­en auf die Anlage werden direkt sichtbar. So kann zum Beispiel die Reihenfolg­e der Einlegeplä­tze geändert und ein zweiter Werker beim Zusammenst­ellen der Baugruppen eingesetzt werden. Dann wird das Zusammensp­iel mit der virtuellen Anlage, die über die reale SPS gesteuert wird, sofort sichtbar.

In der Folge sieht man die Auswirkung­en auf die Taktzeit und die Wartezeite­n der Werker oder Roboter. Sehr großes Potential für Einsparung­en und der Qualitätsa­bsicherung entsteht vor allem bei Änderungen und Integratio­nen von neuen Prozessen und Tätigkeite­n. Die integriert­e Lösung RF::EMAHM soll im vierten Quartal 2020 verfügbar sein.

Jörg Uhlig ist Produktman­ager ema Software Suite und Dr. Sebastian Bauer ist Fachbereic­hsleiter IT bei der imk automotive Gmbh; Robert Tagmann ist Digital Innovation Manager bei der EKS Intec Gmbh.

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Bilder: EKS Intec, imk automotive Ein Werker arbeitet an einer virtuellen Anlage.
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Einordnung der Lösungen ema Software Suite und Rf::suite“in den Planungsph­asen.

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