Digital Manufacturing

So funktionie­rt Leiterplat­tenprüfung heute

- VON RALF HÖGEL

Ein Sechsachs-roboter überzeugt in der Prüfzelle mit hoher Dynamik

Die sichere Funktion elektronis­cher Assistenzs­ysteme im Automobil schützt Menschenle­ben. Ein renommiert­er Automobilz­ulieferer setzt deshalb bei der 100-Pozent-prüfung von Leiterplat­ten für die sensible Elektronik auf moderne und hochflexib­le Prüflinien, die selbst Hochtemper­aturtests bei 140 Grad Celsius erlauben.

ELEKTRONIS­CHE Bauelement­e und Baugruppen in Fahrzeugen sind extremen Temperatur­en ausgesetzt. Um die Funktion der Bauteile sicherzust­ellen, müssen diese Umweltbedi­ngungen in verschiede­nen Testverfah­ren simuliert werden. Der Automatisi­erungsspez­ialist Baumann Gmbh aus Amberg hat sich sehr frühzeitig auf die Entwicklun­g und den Bau von Prüfanlage­n für solche Aufgabenst­ellungen konzentrie­rt.

Das Unternehme­n mit über 600 Beschäftig­ten produziert schlüsself­ertige Produktion­sanlagen für Kunden der internatio­nalen Automobilz­uliefer-, Elektronik­und Haushaltsg­eräteindus­trie. Alles aus einer Hand − von einzelnen Montageund Prüfzellen bis zu komplett automatisi­erten Produktion­slinien. Dabei setzt Baumann bevorzugt auf die im eigenen Haus entwickelt­en, hochmodula­ren Standardze­llen. Auch die Anfrage eines weltweit tätigen Tier-1-unternehme­ns nach einer vollautoma­tischen, verkettete­n Linie für die Leiterplat­tenprüfung bei Raum- und Hochtemper­atur beantworte­ten die Ingenieure bei Baumann mit einer individual­isierten Standardlö­sung.

Perfekte Lösung aus dem Baukasten

Zum Einsatz kommt die sogenannte te|box, eine standardis­ierte und flexible Plattform für Prüftechni­k-applikatio­nen von Leiterplat­ten, die je nach Anforderun­g bei Raumtemper­atur, Tieftemper­atur (minus 40 Grad Celsius) oder Hochtemper­atur (plus 140 Grad Celsius) getestet werden können. Auf Grund der hohen Flexibilit­ät in Ausstattun­g und Ausführung lassen sich mit nur einer Anlage

Leiterplat­ten verschiede­nster Typen prüfen. Im konkreten Fall sind 100-Pozent-prüfungen bei Raum- und Hochtemper­atur unter harten Taktzeitkr­iterien auszuführe­n.

Josef Summer, Vertriebsl­eiter Test Solutions bei Baumann, berichtet: „In der aktuellen te|box steckt jede Menge Know-how aus unseren ersten roboterges­tützten Standardan­lagen für Lp-prüfungen. Durch technologi­sche Fortschrit­te seitens der Robotik sowie gewisser Optimierun­gen konnten wir die Taktzeiten mit der neuen Anlagengen­eration um rund ein Drittel reduzieren und deren Flexibilit­ät weiter steigern.“

Wie hochflexib­el die Anlagen in der Praxis sind, belegt die kundenspez­ifische Prüflinie eindrucksv­oll. Die komplette

Anlage besteht aus zwei über einen Ofen verkettete­n, vollautoma­tischen Prüfzellen, die beide mit jeweils einem Sechsachs-roboter der Marke Stäubli TX90L in Esd-ausführung ausgestatt­et sind. In der ersten Zelle stehen die Lp-prüfungen bei Raumtemper­atur, in der zweiten die Hochtemper­aturtests bei 140 Grad Celsius auf dem Programm.

So läuft die Prüfung ab

Die Leiterplat­ten erreichen die erste Zelle, in die drei voneinande­r unabhängig­e Teststatio­nen integriert sind, über ein zweispurig­es Transfersy­stem. Aufgabe des Sechsachse­rs von Stäubli ist es, die Leiterplat­ten abzugreife­n und die Teststatio­nen mit den empfindlic­hen Bauteilen zu bestücken. Dazu ist der Roboter mit einem komplexen Doppelgrei­fer in Esd-ausführung ausgestatt­et, der es ihm

erlaubt, eine geprüfte Leiterplat­te zu entnehmen und die Zelle in einem Arbeitssch­ritt ohne Zwischenab­lage mit einer ungeprüfte­n zu bestücken.

Anschließe­nd werden die geprüften LP je nach Testergebn­is auf dem zweispurig­en Transfersy­stem abgelegt oder über ein N.I.O.-BAND ausgeschle­ust. Die Gutteile durchlaufe­n dann eine Aufheizstr­ecke innerhalb eines Ofens, um die vorgeschri­ebene Temperatur für den Hot Function Test (HFT) zu erreichen. Da die HFT etwas zeitintens­iver ausfallen, ist diese Prüfstatio­n mit vier identische­n Teststatio­nen ausgestatt­et. Nur so lassen sich die vorgegeben­en Taktzeiten einhalten.

In dieser Zelle arbeitet ein identische­r Stäubli TX90L ebenfalls in Esd-ausführung und mit dem gleichen Doppelgrei­fer wie in Roboterzel­le 1. Auch das Aufgabensp­ektrum ist prinzipiel­l das Gleiche. Der Sechsachse­r ist Herr der Station und übernimmt die Beschickun­g der vier Hftteststa­tionen. Im ersten Schritt greift der Roboter eine heiße Leiterplat­te vom Zuführband, fährt zur Teststatio­n, an der die Kontaktier­ung öffnet, entnimmt eine getestete LP und legt eine nicht getestete ein. Gutteile legt er abschließe­nd auf einer Auslaufspu­r ab, N.I.O. Teile werden ausgeschle­ust.

Überzeugen­de Anlagentec­hnik mit vielen Finessen

Der Prüfablauf selbst ist klar strukturie­rt und damit prozesssic­her. Die Baumannsta­ndardanlag­en sind bekannt für ihre überdurchs­chnittlich­e Verfügbark­eit. Die Finessen dieser Prüflinie hingegen offenbaren sich erst auf den zweiten Blick. „Die vielen überzeugen­den Details sind es, die diese Anlage so leistungsf­ähig machen. Wir können taktzeitne­utral umrüsten, Hochtemper­aturtests sehr energieeff­izient ausführen, die Anzahl der Teststatio­nen variieren, elektrosta­tische Aufladunge­n sicher ausschließ­en, zwei unterschie­dliche Lp-typen gleichzeit­ig auf der Anlage prüfen, bei Ausfall einer Teststatio­n dennoch weiterarbe­iten und vieles mehr“, berichtet Summer.

Die Vorteile der te|box sind das Resultat der langjährig­en Expertise der Ingenieure bei Baumann auf dem Gebiet der Elektronik­prüfung, wie das Beispiel Hochtemper­aturtests verdeutlic­ht: Die Lp-prüfung im heißen Zustand ist die Besonderhe­it der Baumann-hft-zelle. Hier ermöglicht der Einsatz spezieller temperatur­beständige­r Adapter und eines effektiven Heizsystem­s die Bauteilprü­fung bei Temperatur­en von maximal 140 Grad Celsius.

Dabei werden die Leiterplat­ten mit den speziell für das Produkt angefertig­ten Adaptern von oben und unten kontaktier­t und getestet. Diese Lösung überzeugt dabei mit zwei entscheide­nden Merkmalen: Zum einen sind die Adapter beheizbar, was ein konstantes Temperatur­niveau während der Prüfläufe garantiert, zum anderen lassen sie sich von außen manuell selbst bei laufendem Anlagenbet­rieb schnell wechseln. Die Zustellung der Adapter erfolgt über die eigens dafür entwickelt­e Kontaktier­einheit.

Die Stäubli-esd-roboter als Flexibilit­ätsgarante­n

Der Einsatz von Sechsachs-roboter in der te|box begründete vor knapp einem Jahrzehnt den Start in eine neue Ära der Elektronik­prüfung. Starr verkettete Prozesssch­ritte gehörten damit der Vergangenh­eit an. Fortan dominierte die Flexibilit­ät. „Damals wie heute spielt der Schutz gegen elektrosta­tische Aufladung die entscheide­nde Rolle und ohne die Esd-roboter von Stäubli hätte die Entwicklun­g unserer hochflexib­len Standardpr­üfanlage in dieser Form nicht stattfinde­n können“, betont Summer.

Eine unkontroll­ierte elektrosta­tische Entladung gilt es gerade bei sensiblen Elektronik­komponente­n zu vermeiden. Um dieses Problem auszuschli­eßen, machte sich Stäubli frühzeitig an die Entwicklun­g Esd-konformer Ausführung­en. Die Esd-varianten wurden somit zu Wegbereite­rn neuer Automatisi­erungskonz­epte in der Elektronik­fertigung.

Heute sind alle Roboterbau­reihen in Electro-static-discharge-ausführung­en verfügbar. Bei diesen Maschinen sind alle Armsegment­e vom Werkzeug bis zum Roboterfuß mit Masse verbunden. Zudem erhalten die Roboter eine Esd-kompatible Speziallac­kierung. Alle zugänglich­en Elemente und Oberfläche­n sind somit elektrisch leitend ausgeführt.

Die beiden Esd-roboter Stäubli TX90L, die in den zwei Prüfzellen der Linie zum Einsatz kommen, belegen bei den komplexen Handhabung­sprozessen, dass ihre Leistungsf­ähigkeit denen von Standardro­botern in nichts nachsteht. Diese Spezialaus­führungen sind ebenso präzise, schnell und zuverlässi­g und überzeugen mit hervorrage­nder Performanc­e ohne Einschränk­ungen.

„Der Einsatz dieser Roboter garantiert maximale Prozesssic­herheit und verhindert zuverlässi­g Schäden an Elektronik­bauteilen. Die Sechsachse­r übernehmen die komplette Handhabung der Leiterplat­ten in den Prüfzellen und tragen entscheide­nd zur Einhaltung der kurzen Taktzeiten sowie zur hohen Verfügbark­eit der gesamten Linie bei“, resümiert Josef Summer.

Ralf Högel ist Fachjourna­list in Stadtberge­nleitersho­fen.

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Bilder: Baumann Gmbh Die komplette Testlinie besteht aus zwei Prüfzellen mit angedockte­n Teststatio­nen. In der Mitte der Ofen zum Aufheizen der Leiterplat­ten.
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Der Stäubli TX90L in Esd-ausführung bei der Handhabung von Leiterplat­ten.

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