So funktioniert Leiterplattenprüfung heute
Ein Sechsachs-roboter überzeugt in der Prüfzelle mit hoher Dynamik
Die sichere Funktion elektronischer Assistenzsysteme im Automobil schützt Menschenleben. Ein renommierter Automobilzulieferer setzt deshalb bei der 100-Pozent-prüfung von Leiterplatten für die sensible Elektronik auf moderne und hochflexible Prüflinien, die selbst Hochtemperaturtests bei 140 Grad Celsius erlauben.
ELEKTRONISCHE Bauelemente und Baugruppen in Fahrzeugen sind extremen Temperaturen ausgesetzt. Um die Funktion der Bauteile sicherzustellen, müssen diese Umweltbedingungen in verschiedenen Testverfahren simuliert werden. Der Automatisierungsspezialist Baumann Gmbh aus Amberg hat sich sehr frühzeitig auf die Entwicklung und den Bau von Prüfanlagen für solche Aufgabenstellungen konzentriert.
Das Unternehmen mit über 600 Beschäftigten produziert schlüsselfertige Produktionsanlagen für Kunden der internationalen Automobilzuliefer-, Elektronikund Haushaltsgeräteindustrie. Alles aus einer Hand − von einzelnen Montageund Prüfzellen bis zu komplett automatisierten Produktionslinien. Dabei setzt Baumann bevorzugt auf die im eigenen Haus entwickelten, hochmodularen Standardzellen. Auch die Anfrage eines weltweit tätigen Tier-1-unternehmens nach einer vollautomatischen, verketteten Linie für die Leiterplattenprüfung bei Raum- und Hochtemperatur beantworteten die Ingenieure bei Baumann mit einer individualisierten Standardlösung.
Perfekte Lösung aus dem Baukasten
Zum Einsatz kommt die sogenannte te|box, eine standardisierte und flexible Plattform für Prüftechnik-applikationen von Leiterplatten, die je nach Anforderung bei Raumtemperatur, Tieftemperatur (minus 40 Grad Celsius) oder Hochtemperatur (plus 140 Grad Celsius) getestet werden können. Auf Grund der hohen Flexibilität in Ausstattung und Ausführung lassen sich mit nur einer Anlage
Leiterplatten verschiedenster Typen prüfen. Im konkreten Fall sind 100-Pozent-prüfungen bei Raum- und Hochtemperatur unter harten Taktzeitkriterien auszuführen.
Josef Summer, Vertriebsleiter Test Solutions bei Baumann, berichtet: „In der aktuellen te|box steckt jede Menge Know-how aus unseren ersten robotergestützten Standardanlagen für Lp-prüfungen. Durch technologische Fortschritte seitens der Robotik sowie gewisser Optimierungen konnten wir die Taktzeiten mit der neuen Anlagengeneration um rund ein Drittel reduzieren und deren Flexibilität weiter steigern.“
Wie hochflexibel die Anlagen in der Praxis sind, belegt die kundenspezifische Prüflinie eindrucksvoll. Die komplette
Anlage besteht aus zwei über einen Ofen verketteten, vollautomatischen Prüfzellen, die beide mit jeweils einem Sechsachs-roboter der Marke Stäubli TX90L in Esd-ausführung ausgestattet sind. In der ersten Zelle stehen die Lp-prüfungen bei Raumtemperatur, in der zweiten die Hochtemperaturtests bei 140 Grad Celsius auf dem Programm.
So läuft die Prüfung ab
Die Leiterplatten erreichen die erste Zelle, in die drei voneinander unabhängige Teststationen integriert sind, über ein zweispuriges Transfersystem. Aufgabe des Sechsachsers von Stäubli ist es, die Leiterplatten abzugreifen und die Teststationen mit den empfindlichen Bauteilen zu bestücken. Dazu ist der Roboter mit einem komplexen Doppelgreifer in Esd-ausführung ausgestattet, der es ihm
erlaubt, eine geprüfte Leiterplatte zu entnehmen und die Zelle in einem Arbeitsschritt ohne Zwischenablage mit einer ungeprüften zu bestücken.
Anschließend werden die geprüften LP je nach Testergebnis auf dem zweispurigen Transfersystem abgelegt oder über ein N.I.O.-BAND ausgeschleust. Die Gutteile durchlaufen dann eine Aufheizstrecke innerhalb eines Ofens, um die vorgeschriebene Temperatur für den Hot Function Test (HFT) zu erreichen. Da die HFT etwas zeitintensiver ausfallen, ist diese Prüfstation mit vier identischen Teststationen ausgestattet. Nur so lassen sich die vorgegebenen Taktzeiten einhalten.
In dieser Zelle arbeitet ein identischer Stäubli TX90L ebenfalls in Esd-ausführung und mit dem gleichen Doppelgreifer wie in Roboterzelle 1. Auch das Aufgabenspektrum ist prinzipiell das Gleiche. Der Sechsachser ist Herr der Station und übernimmt die Beschickung der vier Hftteststationen. Im ersten Schritt greift der Roboter eine heiße Leiterplatte vom Zuführband, fährt zur Teststation, an der die Kontaktierung öffnet, entnimmt eine getestete LP und legt eine nicht getestete ein. Gutteile legt er abschließend auf einer Auslaufspur ab, N.I.O. Teile werden ausgeschleust.
Überzeugende Anlagentechnik mit vielen Finessen
Der Prüfablauf selbst ist klar strukturiert und damit prozesssicher. Die Baumannstandardanlagen sind bekannt für ihre überdurchschnittliche Verfügbarkeit. Die Finessen dieser Prüflinie hingegen offenbaren sich erst auf den zweiten Blick. „Die vielen überzeugenden Details sind es, die diese Anlage so leistungsfähig machen. Wir können taktzeitneutral umrüsten, Hochtemperaturtests sehr energieeffizient ausführen, die Anzahl der Teststationen variieren, elektrostatische Aufladungen sicher ausschließen, zwei unterschiedliche Lp-typen gleichzeitig auf der Anlage prüfen, bei Ausfall einer Teststation dennoch weiterarbeiten und vieles mehr“, berichtet Summer.
Die Vorteile der te|box sind das Resultat der langjährigen Expertise der Ingenieure bei Baumann auf dem Gebiet der Elektronikprüfung, wie das Beispiel Hochtemperaturtests verdeutlicht: Die Lp-prüfung im heißen Zustand ist die Besonderheit der Baumann-hft-zelle. Hier ermöglicht der Einsatz spezieller temperaturbeständiger Adapter und eines effektiven Heizsystems die Bauteilprüfung bei Temperaturen von maximal 140 Grad Celsius.
Dabei werden die Leiterplatten mit den speziell für das Produkt angefertigten Adaptern von oben und unten kontaktiert und getestet. Diese Lösung überzeugt dabei mit zwei entscheidenden Merkmalen: Zum einen sind die Adapter beheizbar, was ein konstantes Temperaturniveau während der Prüfläufe garantiert, zum anderen lassen sie sich von außen manuell selbst bei laufendem Anlagenbetrieb schnell wechseln. Die Zustellung der Adapter erfolgt über die eigens dafür entwickelte Kontaktiereinheit.
Die Stäubli-esd-roboter als Flexibilitätsgaranten
Der Einsatz von Sechsachs-roboter in der te|box begründete vor knapp einem Jahrzehnt den Start in eine neue Ära der Elektronikprüfung. Starr verkettete Prozessschritte gehörten damit der Vergangenheit an. Fortan dominierte die Flexibilität. „Damals wie heute spielt der Schutz gegen elektrostatische Aufladung die entscheidende Rolle und ohne die Esd-roboter von Stäubli hätte die Entwicklung unserer hochflexiblen Standardprüfanlage in dieser Form nicht stattfinden können“, betont Summer.
Eine unkontrollierte elektrostatische Entladung gilt es gerade bei sensiblen Elektronikkomponenten zu vermeiden. Um dieses Problem auszuschließen, machte sich Stäubli frühzeitig an die Entwicklung Esd-konformer Ausführungen. Die Esd-varianten wurden somit zu Wegbereitern neuer Automatisierungskonzepte in der Elektronikfertigung.
Heute sind alle Roboterbaureihen in Electro-static-discharge-ausführungen verfügbar. Bei diesen Maschinen sind alle Armsegmente vom Werkzeug bis zum Roboterfuß mit Masse verbunden. Zudem erhalten die Roboter eine Esd-kompatible Speziallackierung. Alle zugänglichen Elemente und Oberflächen sind somit elektrisch leitend ausgeführt.
Die beiden Esd-roboter Stäubli TX90L, die in den zwei Prüfzellen der Linie zum Einsatz kommen, belegen bei den komplexen Handhabungsprozessen, dass ihre Leistungsfähigkeit denen von Standardrobotern in nichts nachsteht. Diese Spezialausführungen sind ebenso präzise, schnell und zuverlässig und überzeugen mit hervorragender Performance ohne Einschränkungen.
„Der Einsatz dieser Roboter garantiert maximale Prozesssicherheit und verhindert zuverlässig Schäden an Elektronikbauteilen. Die Sechsachser übernehmen die komplette Handhabung der Leiterplatten in den Prüfzellen und tragen entscheidend zur Einhaltung der kurzen Taktzeiten sowie zur hohen Verfügbarkeit der gesamten Linie bei“, resümiert Josef Summer.
Ralf Högel ist Fachjournalist in Stadtbergenleitershofen.