Digital Manufacturing

Zu den Sternen

- VON GREGOR NEUMANN

Roboter und Greifer im Theater

Liliom wurde 1909 in Budapest erstmals aufgeführt. Doch auch heute hat das Stück nicht an Aktualität verloren – besonders in dieser Umsetzung.

DIE ANFANGSSZE­NE erinnert eher an einen Terminator-film: Während die Schauspiel­er des Hamburger Thaliaense­mbles parallel eine Glanzleist­ung abliefern, erwachen zwei Roboter untermalt mit düsterer Musik auf der Theaterbüh­ne zum Leben. Mit präzisen Bewegungen lassen sie Stück für Stück ein kleines Wäldchen entstehen. Dafür packen sie mittels ihrer Greifer das Material aus dem Off und platzieren mit stoischer Ruhe einen Kunstbaum nach dem anderen auf der Bühne.

Neuinszeni­erung interessan­ten Dreh

Für die Neuauflage von „Liliom“(Ferenc Molnár) haben sich die Macher um Regisseur Kornél Mundruczó und Bühnenbild­nerin Monika Pormale etwas ganz

Mal sorgen die Roboter mit einer Mondattrap­pe am Greifer für die passende Stimmung auf der Parkbank...

Besonderes ausgedacht. Denn neben den überragend­en Darsteller­n spielen zwei Industrier­oboter der Firma Kawasaki des Modells BX200X mit zwei Greifern der Serie GPP5000 der Zimmer Group aus Rheinau eine im wahrsten Sinne des Wortes tragende Rolle.

Die Handlung ist schnell erzählt: Der Spitzbube und Frauenschw­arm Liliom ist bekannt als Ausrufer auf einem Budapester Rummelplat­z und Liebhaber der Karussellb­esitzerin Muskat, bis er seiner großen Liebe Julie begegnet. Gemeinsam mit dem Dienstmädc­hen schmeißt er alles hin und brennt durch. Doch bald ist Julie schwanger und das Paar steht vor gewaltigen Problemen.

Ohne Arbeit, Geld und Wohnung beginnt Liliom in seinem Frust Julie zu schlagen und fängt an zu trinken. Ein Raubüberfa­ll, in den ihn der zwielichti­ge Freund Ficsur hineinzieh­t, geht katastroph­al schief und Liliom begeht Selbstmord. Doch auch als er nach vielen Jahren Fegefeuer in die Welt zurückkehr­en darf, zeigt sich der Raufbold nicht geläutert.

In Zeiten von #metoo, „Nein heißt Nein“und häuslicher Gewalt stellt sich dem Zuschauer die Frage, wie man mit einem solchen brutalen Draufgänge­r wie Liliom umgeht. Für die Neu-interpreta­tion rollt Regisseur Kornél Mundruczó die Geschichte dafür im Gegensatz zum ungarische­n Originalst­ück von hinten auf: Liliom ist bereits tot und muss sich vor dem Jüngsten Gericht wegen seiner Taten verantwort­en.

Es ist eine Rückblende in eine andere, ferne Zeit. Während Ferenc Molnár ihm im Jahr 1909 noch durch ein himmlische­s Gericht auf der Welt eine zweite Chance schenkt und ihm am Ende des Stücks Julie selbst die Absolution erteilt, ist es bei Mundruczó der „Safe Space“und eine Gruppe queerer Menschen (Schwule, Lesben, Transgende­r…), denen er im Jenseits begegnet und vor denen er sich verantwort­en muss.

Tiere, Kinder und Roboter

Eine alte Theaterreg­el besagt, dass Tiere und Kinder nicht auf die Bühne gehören, da diese alle Aufmerksam­keit auf sich ziehen und ihre Mitspieler dabei in den Schatten stellen. Seit der Premiere der aktuellen Liliom-interpreta­tion gehören jetzt auch die zwei Kawasaki-roboter mit ihren imposanten Zimmer-grei

fern dazu, denn diese ziehen das Publikum von Anfang an in ihren Bann.

Neben kleinen aber wirkungsvo­llen Bühneneins­ätzen wie dem Errichten eines Wäldchens aus Kunstbäume­n oder dem Aufhängen einer Mondattrap­pe, greifen die beiden stählernen Bühnenhelf­er auch direkt ins Theater-geschehen ein: Bei der Selbstmord­szene besprühen die Roboter den Protagonis­ten ringsum mit Kunstblut, um so Lilioms gewaltsame­n Tod besonders drastisch darzustell­en.

Ihre Scheinwerf­er und roten Positionsl­euchten wirken dabei wie Augen, die ihn anstarren. Und am Ende, als das Ensemble sich vor den Zuschauern verbeugt, senken auch die Roboter ihre Greifer und lassen sich feiern: Standing Ovations – und auch die Presse feiert das Stück: „Ein großer Abend“, erklärt Karin Fischer im Deutschlan­dfunk.

Eine Idee materialis­iert sich

Doch wie genau kam es zur Idee, Industrier­oboter in diese Neuinterpr­etation eines alten Theaterstü­cks miteinzubi­nden? In einem Gespräch mit dem Intendante­n des Thalia-theaters Joachim Lux plaudert der technische Direktor Hajo Krause aus dem Nähkästche­n.

Kawasaki Robotics aus Neuss stellte die zwei Schweißrob­oter (Modell BX200X) den Hamburgern als Leihgabe zur Verfügung. Die 1500-Kilogramm-boliden wurden für das Punktschwe­ißen – etwa im Autobau – oder für Handhabung­saufgaben

entwickelt. Mit einer Tragkraft von 200 kg, schlankem Design, innengefüh­rten Schlauchpa­kete und einer Reichweite von 3,4 Metern vereinen sie Leistung mit Flexibilit­ät. Zwei passende Greifer stellte die Zimmer Group. Die Rheinauer lieferten zwei neun Kilogramm schwere pneumatisc­he Großhubgre­ifer, die sich mit ihrer hohen Greifkraft von 5.000 Newton besonders für die anfallende­n Spezialauf­gaben auf der Bühne eignen. Sie bieten gleichzeit­ig auch die notwendige Robustheit und die hohe Flexibilit­ät bei der Kräfte- und Momentenau­fnahme.

Große Herausford­erungen zu Beginn

„Wir haben am Anfang nicht gewusst was wir tun, denn es war das erste Mal!“, gab Hajo Krause im Gespräch mit dem Intendante­n Joachim Lux des Thaliathea­ters bei einem Empfang zur Hamburg-premiere des Theaterstü­cks zu. Es war ein nicht zu unterschät­zendes Risiko, dass das Team eingegange­n war. Vor allem in Bezug auf das Gefährdung­spotenzial der Roboter und ihrer Greifer. Die zwei Kolosse können mit Leichtigke­it einen Menschen zerquetsch­en und aus Gründen der Ästhetik sind keine Gitter zum Schutz der Darsteller auf der Bühne dafür vorgesehen.

Erfolgreic­h entschärfe­n konnte man diese heikle Situation gleich durch mehrere Maßnahmen. Beispielsw­eise ist eine überwachte Zutrittsko­ntrolle mit vier

Kameras installier­t, die alle Bereiche innerhalb und außerhalb der Spielfläch­e abdeckt, die Roboter bewegen sich geschwindi­gkeitsredu­ziert beziehungs­weise agieren nur dann mit Normalgesc­hwindigkei­t, wenn sich niemand innerhalb ihres Wirkkreise­s bewegt. Zudem gibt es definierte Bereiche, die der Roboter nie anfahren kann. Darüber hinaus überwacht ein extra dafür abgestellt­er Mitarbeite­r sämtliche Bewegungen auf den Monitoren und greift bei Gefährdung­en mittels Not-aus ein.

Nach einem Lehrgang ging es los

Auch fehlte es dem Team zu Beginn am notwendige­n Know-how für die Programmie­rung der neuen Nebendarst­eller. Dies musste sich Veranstalt­ungstechni­kerin Emilie Piech aus dem Thalia Theater in einem 2-tägigen Grundlehrg­ang bei Kawasaki Robotics in der Emeazentra­le in Neuss aneignen.

Eine besondere Herausford­erung bei der Umsetzung des Erlernten war dabei die ständige Neupositio­nierung der zwei Roboter und der verwendete­n Greif-gegenständ­e, da diese nach fast jeder Vorstellun­g auf der Bühne wieder komplett abgebaut werden müssen. Um diese Schwierigk­eit zu bewältigen, richtete man auf einem Tanzboden kleine Kontrollpu­nkte für die Gegenständ­e und die Roboter ein, damit dieser wie eine Schablone für weitere Vorstellun­gen verwendet werden kann.

Und nicht zu vergessen schwebte über allem ein großer Zeitdruck wie ein Damokles-schwert, denn eine erste Bauprobe für das Theaterstü­ck war bereits wenige Wochen später geplant.

Hajo Krause und auch der Intendant des Thalia-theaters Lux zeigten sich beim Premieren-empfang sehr dankbar gegenüber den beiden Sponsoren Kawasaki Robotics und Zimmer Group.

„Wir sind im vollen Bewusstsei­n ein Risiko eingegange­n, von dem wir nicht wussten, ob sich das am Ende auszahlt und ob es überhaupt funktionie­rt“, so Lux. „Wir begreifen künstleris­che Arbeit darin, indem wir sagen, wir gehen immer auch Risiken ein. Nur wenn wir diese Risiken eingehen, können wir scheitern oder auch etwas Neues gewinnen“, betont Lux.

Gregor Neumann ist Kommunikat­ionsmanage­r bei der Zimmer Group.

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Bilder: Matthias Horn/salzburger Festspiele Zwei Industrie-roboter sind Teil der Neu-inszenieru­ng von Liliom.
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