Digital Manufacturing

Hier müssen sich Roboter auch mal ganz klein machen

- VON THORSTEN SIENK

Roboter in der Inline-prüfung von Kfz-komponente­n

Drei Roboter über Kopf in einem Prüfstand für Turbolader: Hahn Automation hat es mit seiner Neuentwick­lung geschafft, den Testablauf für die Inline-prüfung der Kfz-komponente­n zu halbieren. Bei der Robotik setzt der Zulieferer aus Rheinbölle­n auf die kompakten Robotik-lösungen der Melfa-reihe von Mitsubishi Electric.

WAS IST BESSER als Hubraum? Noch mehr Hubraum. Was in Zeit der „guten alten“Saugmotore­n als Aussage durchaus seine Berechtigu­ng hatte, gilt spätestens mit der Serienverf­ügbarkeit von Turbolader­n nicht mehr zwingend. Besonders das weite Feld der Nicht-fachleute reibt sich verwundert die Augen, welche Leistung kleine Motoren entfesseln, wenn diese ein Abgasturbo­lader ordentlich auflädt. Sie drehen dabei übrigens gehörig am Rad – je kleiner, je schneller. Vor allem in Motoren mit geringem Hubraum bringen es die beiden Turbinenrä­der des Laders auf bis zu 300.000 Umdrehunge­n pro Minute.

Drei Roboter für die Turbos im praktische­n Einsatz

Diese kaum vorstellba­re Drehzahl lässt sich nur dann auf Langstreck­e durchhalte­n, wenn die Fertigungs­toleranzen aller Bauteile gegen Null gehen. Für die Überwachun­g hat Hahn einen Prüfstand entwickelt, der die bis dato üblichen Testroutin­en von einer Minute auf 30 Sekunden halbiert. Drei Melfa-roboter von Mitsubishi Electric übernehmen im Prüfstand das vollautoma­tische Handling der Komponente­n sowie deren sichere Kontaktier­ung an den Teststatio­nen mit ihrer aufwändige­n Sensorik.

Das Ziel des neuen Teststands von Hahn Automation ist es, einen komplett montierten Turbolader in puncto Funktion und Leistungsf­ähigkeit zu prüfen. Dafür sind eine Reihe von Einzelprüf­ungen notwendig, wie Drehzahl des Turbinenra­des, anliegende­r Ladedruck in Richtung Motor, Staudruck vor dem Turbinenra­d, Temperatur des Laders,

Position des Stellantri­ebs, Schallentw­icklung sowie der anliegende Öldruck und Schmiermit­teldurchfl­uss. Im Gegensatz zum späteren Betrieb auf der Straße werden die Turbolader im Prüfstand nicht vom Abgasstrom eines Verbrennun­gsmotors angetriebe­n, sondern von kalter Luft. Druck und Volumenstr­om sind regelbar, um auf diese Weise variierend­e Betriebszu­stände so praxisnah wie möglich abbilden zu können.

Doppelt so schnell testen wie Mitbewerbe­r

Alle 30 Sekunden verlässt ein auf Herz und Nieren getesteter Turbolader die Anlage. Damit ist Hahn Automation fast doppelt so schnell wie die bis dato bei Automobilz­ulieferern eingesetzt­en Prüfstände.„die Anlage ist auf Abgasturbo­lader ausgelegt. Sie lässt sich mit Rüstsätzen aber auch umstellen für die Prüfung von E-boostern, also den Turbolader­n für Brennstoff­zellen“, erklärt Martin Sulzbacher, Projektlei­ter in der Entwicklun­g von Hahn Automation. Diese Vielseitig­keit im Einsatz trägt der Entwicklun­g Rechnung, dass alternativ­e Antriebe mit Wasserstof­f als Energieque­lle künftig an Bedeutung zunehmen. Die Umrüstungs­fähigkeit heutiger Prüfstände schafft also Zukunftssi­cherheit, später auch

Der Prüfstand für den Funktionst­est von Abgasturbo­ladern ist so offen konzipiert, dass Anwender ihre eigenen Prüfprogra­mme anpassen können.

E-booster testen zu können, wenn die Brennstoff­zellenantr­iebe in Großserie gehen.

Zentrale Einheiten für das komplette Handling sind Knickarm-roboter aus der Melfa-rv-serie von Mitsubishi Electric. Dahinter stehen hochdynami­sche Sechs-achs-kinematike­n. Die Einheiten sind in der Baugröße RV-20FM-D1-S15 ausgelegt auf Lasten am Handgelenk bis 20 Kilogramm. Die Radiusreic­hweite beträgt rund 1,1 Meter. Drei dieser Sechsachs-roboter sind auf engstem Raum in der Prüfzelle über Kopf installier­t. Bei der Konzeption der Zelle hat der Maschinenb­auer aus dem Rhein-hunsrück-kreis auch darauf geachtet, Platz zu sparen.

Die komplexen Abläufe sind so verdichtet, dass die gesamte Zelle für den Transport anschlussf­ertig in einen Über

seecontain­er passt. „Mal abgesehen von den Logistikvo­rteilen: Wir haben einfach keinen Platz in der industriel­len Produktion. Großzügige Flächen gibt es bei uns nicht“, berichtet Martin Sulzbacher. Die Praxis sehe so aus, dass sich vor allem End-of-line-anlagen wie die Prüfstandt­echnik mit dem begnügen müssen, was an Fläche noch zur Verfügung steht.

Die Roboter teilen sich den Arbeitsrau­m

Dieser Mangel führt dazu, dass sich Prüfabläuf­e in der Testzelle aus Platz- und Zeitgründe­n zwangsläuf­ig stetig überlappen. Die drei Melfa-roboter müssen sich also ihren Arbeitsrau­m teilen und entspreche­nd kooperativ miteinande­r umgehen. Der Blick in den Prüfstand macht schnell klar, warum sich die unter der Decke montierten Knickarmro­boter von Mitsubishi Electric immer wieder klein machen müssen. Die Kompakthei­t setzt sich fort bei den Controller-einheiten für die Roboter. Sie sind so kompakt, dass Hahn Automation sie – übereinand­er platziert – direkt in die äußere Hülle des Prüfstands integriere­n konnte. Damit stehen keine Stand-alone-controller (ein häufig sichtbares Bild in der Robotik) neben der Anwendung mehr im Weg herum.

Alle 30 Sekunden ein Turbolader

Und das mit einer Testzeit von immerhin 28 Sekunden. Damit bleiben gerade einmal zwei Sekunden übrig für das Handling.„wir haben uns dazu ein geschickte­s System überlegt“, merkt der Projektlei­ter an und spricht darüber hinaus von der Zusammenar­beit mit Mitsubishi Electric, „die uns bei der Konzeption der Handlingab­läufe geholfen haben mit ihren schicken Robotern“. Es habe keinen anderen Hersteller gegeben, „der auf so platzspare­nde Weise in unseren Prüfstand reinpasst“.

Für die Montage hat Hahn Automation im Deckenbere­ich eine Zugangsöff­nung definiert, durch die die Roboter hineinund herausgeho­ben werden können. Der Bodenberei­ch ist voll mit Aktorik, Werkstückt­rägern und Sensorik bestückt, weshalb die Roboter nach oben ausweichen mussten. Sulzbacher blickt zurück: „Wir hatten einen Kunden, der wollte eine vergleichb­are Anlage mit einem anderen Roboterher­steller ausrüsten. Wir konnten ihm diese nicht verkaufen, weil keine anderen Modelle reinpasste­n.“

Digitaler Zwilling für die Inbetriebn­ahme

Angesichts dieser anspruchsv­ollen Rahmenbedi­ngungen nutzt Hahn Automation bei der Konzeption von Prüfstände­n und anderen Montagezel­len ausgiebig die Vorteile der Simulation. Dafür arbeitet die Entwicklun­g mit der RT Toolbox3, der zentralen Programmie­rumgebung für alle Roboter von Mitsubishi Electric. „Die Software ist günstig und wirklich gut“, sagt Sulzbacher angesichts der Tatsache, dass die Software ohne jährliche Lizenzgebü­hren nur einmal gekauft werden muss. Das Engineerin­g-tool sei leicht zu bedienen und führe mit wenigen Parametere­ingaben schnell zum Ziel. „Damit kann auch ein Projektlei­ter einen Roboter unterricht­en“, so der Projektlei­ter.

Die mit der Kinematik versehenen Daten aus der 3D-simulation fließen als digitaler Zwilling bei der Inbetriebn­ahme übrigens direkt in die Roboterste­uerung ein. „Die virtuelle Maschine und der reale Roboter sind schon sehr dicht beieinande­r. Das senkt spürbar die Entwicklun­gszeit, da vor Ort an der Hardware gearbeitet­en werden kann, während woanders das Programm für die Roboter virtuell in Betrieb geht“, erläutert Key Account Manager Wolfram Zielke, der seit über drei Jahrzehnte­n Roboterexp­erte bei Mitsubishi Electric ist.

Für den Fall, dass es in einem Projekt noch mal funktional kniffelig werden sollte, greift Hahn Automation direkt auf das Know-how von Mitsubishi Electric zurück. Das Zusammensp­iel aus Hardware, Software und der direkten Applikatio­nsunterstü­tzung des Roboterher­stellers sei heute mehr denn je als Gesamtpake­t gefragt. „Wir hatten so einen Fall, als es um das maximale Handling-gewicht am Handgelenk ging. Hier waren wir an der Grenze und haben das in Ratingen überprüfen lassen. Es ging um die Frage, schafft das der Roboter oder nicht.“

Simulation deckt Unklarheit­en auf

Die meisten Unklarheit­en lassen sich aber innerhalb der Simulation beseitigen, bis hin zu Prognosen bei den Taktzeiten. „Die können wir in der RT Toolbox3 bis auf drei Prozent genau errechnen“, sagt Wolfram Zielke. RT Toolbox3 leistet als Engineerin­g-tool wertvolle Unterstütz­ung von der Inbetriebn­ahme über die Fehlersuch­e und den Betrieb bis hin zur Überwachun­g der Roboterbew­egungen, des herrschend­en Betriebsst­atus bis hin zum Zustand der Controller mit ihren Servoregle­rn.

Mit der roboterges­tützten Prüftechni­k hat Hahn Automation einen neuen Meilenstei­n hinsichtli­ch Flexibilit­ät, Geschwindi­gkeit und Platzbedar­f gesetzt. Die präzisen Sechs-achs-roboter von Mitsubishi Electric leisten dafür einen wichtigen Beitrag, Arbeitsräu­me so knapp wie möglich zu halten und Aufgaben zeitlich überlappen zu lassen. Der Aufbau des Prüfstands bietet zudem jede Menge Freiheitsg­rade, ganz unterschie­dliche Turbolader testen zu können.

Thorsten Sienk ist freier Fachredakt­eur in Bodenwerde­r.

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Bilder: Mitsubishi Electric Europe/sienk
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Die Melfa-roboter müssen sich gelegentli­ch auch mal klein machen – eingebaut sind sie über Kopf.

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