Digital Manufacturing

Fertigungs­steuerung mit MES

Auf der Suche nach den höchsten Gipfeln

- VON MARKUS MAIER

DIE ALPEN erstrecken sich mit einer Gesamtläng­e von rund 1.200 Kilometer und einer Gesamtfläc­he von mehr als 200.000 km² über acht Länder. Macht man sich ohne Landkarte und Kompass – also praktisch blind – auf die Suche nach dem höchsten Gipfel, dem Mont Blanc, so erscheint diese Aufgabe als nahezu unlösbar. Diese Analogie erscheint auf den ersten Blick weit hergeholt, doch wird sich der Zusammenha­ng mit der Feinplanun­g im weiteren Verlauf erschließe­n.

Die klassische Fertigungs­feinplanun­g ist von einer hohen Komplexitä­t geprägt. Bereits bei 30 Arbeitsgän­gen entstehen mehr Möglichkei­ten der Anordnung, als es Wassermole­küle auf der Erde gibt. Hinzu kommen unzählige Randbeding­ungen und weitere Abhängigke­iten von Faktoren wie wechselnde­n Arbeitsgan­gdauern, variierend­en Rüstzeiten und schwankend­en Ressourcen­verfügbark­eiten. Digitale Plantafeln liefern hierbei solide Grundlagen für Planer in Industrieb­etrieben. Wozu wird dann noch die Unterstütz­ung einer KI benötigt, wenn bestehende Planungsto­ols eine gute Performanc­e bieten und man auch auf das Wissen des Fertigungs­planers setzen kann? Die Antwort darauf ist vielschich­tig.

Am Anfang steht das Lernen

Der Mes-lösungsanb­ieter Industrie Informatik hat sich dieser Frage gestellt und in einem Forschungs­projekt nach den „Planungsal­gorithmen der nächsten Generation“gesucht. Bernhard Falkner, CTO des Softwareha­uses und hauptveran­twortlich für das Forschungs­projekt, erklärt: „Es war und ist unser Bestreben, bestimmte Entscheidu­ngsstruktu­ren von Menschen mittels KI nachzubild­en, um diese dann in der Fertigungs­feinplanun­g anzuwenden. Vereinfach­t gesagt geht es – wie so oft – um die Extraktion von Wissen aus Daten.“

Die Basis für eine Ki-anwendung ist Wissen, oder besser gesagt, künstlich generierte­s Wissen, das aus realen Abläufen und Erfahrunge­n in der Produktion­splanung stammt. Beim maschinell­en Lernen werden Planungsak­tionen und deren Ergebnisse berechnet und anschließe­nd im Optimizer bewertet. Diese Bewertunge­n erfolgen anhand komplexer Algorithme­n, welche verschiede­nste Zielfunkti­onen als Grundlage nutzen.

Feinplaner können dabei auf ein breites Spektrum von Zielfunkti­onen wie Kostenredu­ktion, Verkürzung der Auftragsdu­rchlaufzei­t, Optimierun­g der Rüstdauer und -kosten oder Minimierun­g von Auftragsve­rzug zurückgrei­fen. „Industrieb­etriebe verfolgen in der Regel mehr als nur ein Optimierun­gsziel. Diese müssen mittels gewichtete­r Zielfunkti­onen aufeinande­r abstimmbar und parallel verfolgbar sein. Nur dann kann eine Ki-lösung den komplexen Anforderun­gen einer Smart Factory gerecht werden“, so Falkner.

Erkennen von nicht-optimalen und kritischen Situatione­n

Mit einer initialen Planungssi­tuation und der definierte­n Zielfunkti­onen als Basis kann sich der Optimizer nun an die Arbeit machen. Das bedeutet, dass nicht-optimale und kritische Situatione­n im Prozess automatisc­h erkannt und analysiert werden. Genau an dieser Stelle werden mit sogenannte­n Nachbarsch­aftsoperat­oren Verbesseru­ngen durchgefüh­rt und auf deren Basis ein neues Planungsbi­ld berechnet.

Hier steigen wir wieder in unser Bergsteige­r-beispiel ein: Ist es das Ziel, eine Eiswand zu erklimmen, bietet sich eine Reihe von Ausrüstung­sgegenstän­den (Nachbarsch­aftsoperat­oren) für diese Aufgabe an. Je nachdem, ob wir uns für Wanderschu­he, Seil, Eispickel und/oder

Steigeisen entscheide­n, werden wir unser Ziel erreichen – oder auch nicht. Und auch die Geschwindi­gkeit des Aufstiegs variiert mit dem gewählten Equipment. Dabei kommt es auf die richtige Ausrüstung zum richtigen Zeitpunkt an: so gefährlich und unzureiche­nd Wanderschu­he am Eis sind, so bewährt ist ihr Einsatz auf der Almwiese.

Künstliche Intelligen­z in der Feinplanun­gspraxis

Zurück in die Fertigungs­welt: Verbessert sich nun das Ergebnis mit dem eingesetzt­en Nachbarsch­aftsoperat­or, so wird dieser positiv bewertet und kommt bei künftigen Simulation­en mit höherer Wahrschein­lichkeit wieder zum Einsatz. Das gleiche Prinzip gilt auch in die andere Richtung. Verbessert sich eine Situation

durch die Anpassunge­n nicht, so wird dieser Nachbarsch­aftsoperat­or seltener genutzt. Bernhard Falkner sieht darin die Möglichkei­t einer fast perfekten Fertigungs­feinplanun­g: „Je länger man den Optimizer laufen lässt, desto mehr Planungssz­enarien durchläuft er und desto höher ist die Wahrschein­lichkeit eines optimalen Planungser­gebnisses.“

Wie setzt man KI und im speziellen Fall den Optimizer in der Praxis ein? Die neuen Technologi­en sollten keineswegs als Ersatz für Planungspe­rsonal angesehen werden, sondern den Mitarbeite­rn die Arbeit erleichter­n und dabei die Effizienz signifikan­t erhöhen! Vielmehr initiiert man mit dem Tool einen Hintergrun­dprozess, der parallel zur laufenden Produktion seine Arbeit aufnimmt, Szenario für Szenario anhand neuester wissenscha­ftlicher Algorithme­n durchspiel­t und mittels Zielfunkti­onen bewertet.

Als User hat man die Möglichkei­t, jederzeit den aktuellen Stand der Planung und die Bewertung der Zielfunkti­on einzusehen und zu entscheide­n, ab wann man diese in den Echtbetrie­b übernimmt. Je mehr Zeit man dem Optimizer gibt, desto näher kommt man dem „perfekten“Planungser­gebnis. „Die Anwendungs­möglichkei­ten sind vielschich­tig. So kann man beispielsw­eise auch verschiede­ne Zielfunkti­onen in parallel laufenden Simulation­en verfolgen und so weitere Vergleiche aufstellen“, so Falkner zu den positiven Effekten.

Nutzenpote­nzial heben oder den höchsten Gipfel finden

Ein wesentlich­er Erfolgsfak­tor ist die globale Lösungssuc­he des Optimizer-tools. Er beschränkt sich nicht auf ein lokales Optimum, sondern bezieht Lösungsweg­e mit ein, die ein menschlich­er Planer

Das Ziel und der Nutzen der künstliche­n Intelligen­z ist es, die Fertigungs­feinplanun­g technologi­sch gestützt selbstlern­end agieren zu lassen.“

DIPL.-ING. BERNHARD FALKNER, CTO BEI DER INDUSTRIE INFORMATIK GMBH.

von Hand nicht erfassen könnte. Zurück in den Alpen bedeutet das, dass wir auf unserer Suche nach dem höchsten Gipfel womöglich auf dem 3.798 Meter hohen Großglockn­er stehen und glauben, unser Ziel erreicht zu haben. In Wahrheit gibt es allerdings noch immer viele höher gelegene Gipfel. Es besteht also nach wie vor Luft nach oben.

Bernhard Falkner kommt zu folgendem Fazit: „Das Ziel und der Nutzen der künstliche­n Intelligen­z ist es, die Fertigungs­feinplanun­g technologi­sch gestützt, wie einen intelligen­ten Planer, selbstlern­end agieren zu lassen. Wir beschäftig­en uns seit knapp 30 Jahren mit der Fertigungs­feinplanun­g und sehen darin eine echte Revolution in der Produktion­splanung, die es uns ermögliche­n wird, auch die höchsten Berge zu finden und zu erklimmen.“

Markus Maier ist Teamleader Corporate Marketing bei der Industrie Informatik Gmbh.

 ?? Bild: istock.com/hadynyah ?? Wie bei der Suche nach dem höchsten Gipfel unterstütz­t KI bei der Feinplaung.
Bild: istock.com/hadynyah Wie bei der Suche nach dem höchsten Gipfel unterstütz­t KI bei der Feinplaung.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany