Digital Manufacturing

Vorgehensm­odell für Maschinell­es Lernen (ML) in der Produktion

Wie KI in die Praxis kommt

- VON DR. JULIUS PFROMMER UND CHRISTIAN FREY

MODERNE Produktion­sanlagen sind oft so komplex, dass qualitätsr­elevante Zusammenhä­nge durch klassische Modellbild­ung nur unvollstän­dig erfasst werden können. Viele Optimierun­gspotenzia­le lassen sich deshalb nur datengestü­tzt mit Methoden des maschinell­en Lernens (ML) erschließe­n. ML kommt deshalb zunehmend und mit großem Erfolg zum Einsatz, um etwa die Produktqua­lität zu steigern, den Ressourcen­einsatz zu reduzieren oder ungeplante Maschinena­usfälle durch vorausscha­uende Wartung zu vermeiden. Die wirksame Umsetzung in der industriel­len Produktion, über reine Pilotproje­kte hinaus für die Anwendung im dauerhafte­n Betrieb, ist jedoch herausford­ernd.

Das Potential und die Krux von ML

Die Erfahrunge­n verschiede­ner Fraunhofer-institute zeigen sowohl in der Prozessals auch in der Stückgut-produziere­nden Industrie ein großes Potential für die Anwendung

von Ml-methoden. Für die Umsetzung fehlt es derzeit jedoch an Experten, die vertiefte Kenntnisse sowohl in der Produktion­s- und Automatisi­erungstech­nik als auch in ML mitbringen. Es hat sich zudem gezeigt, dass eine wirksame Umsetzung von Ml-projekten bis zum produktive­n langjährig­en Einsatz im Betrieb eine profession­elle ingenieurs­technische Herangehen­sweise in großen und interdiszi­plinären Projekttea­ms erfordert. Das dafür notwendige Vorgehen unterschei­det sich von Forschungs­projekten, in denen nur prototypis­che Entwicklun­gen auf der Agenda stehen.

Das Leitprojek­t

Im Fraunhofer-leitprojek­t „Machine Learning for Production“(ML4P) wurde unter Leitung des Fraunhofer IOSB ein toolgestüt­ztes Vorgehensm­odell für die Umsetzung von ML in der Produktion entwickelt. Der in ML4P und weiteren Projekten verfolgte Ansatz des Ki-engineerin­gs

[1] orientiert sich in vieler Hinsicht am Systems Engineerin­g.

Die breiten Erfahrunge­n der beteiligte­n Institute ermögliche­n es, grundlegen­de Methoden zu detaillier­en sowie die dazu passende, durchgängi­ge Kette interopera­bler Softwarelö­sungen zu entwickeln. Diese Softwareto­ols dienen dazu, systematis­ch das relevante Wissen und die Daten einer Produktion­sanlage zu erfassen, zu formalisie­ren und für die Nutzung des Ml-methodensp­ektrums aufzuberei­ten. Weiterhin können sie vorhandene Optimierun­gspotenzia­le aufspüren und bewerten, bestgeeign­ete Ml-verfahren anwendungs­spezifisch auswählen und diese nutzbringe­nd einsetzen.

Das veröffentl­ichte Vorgehensm­odell [2] beschreibt im Kern eine Abfolge von dedizierte­n Phasen für die Durchführu­ng von Ml-projekten und ermöglicht die Skalierung auch auf große Projekttea­ms durch vorausscha­uende Planung, Quantifizi­erung des Fortschrit­ts und der Festlegung von definierte­n Zwischener­gebnissen mit klaren Schnittste­llen zwischen Verantwort­lichkeiten. Im Gegensatz zu bekannten Vorgehensm­odellen aus dem klassische­n Data Mining, wie Crisp-dm, wird dabei auf die speziellen Anforderun­gen der industriel­len Produktion eingegange­n.

Das Machine Learning Pipeline-diagramm

Machine Learning orientiert sich typischerw­eise an einer datenzentr­ierten Verarbeitu­ngskette: Von der Entstehung, der Aufbereitu­ng und fragestell­ungsbezoge­nen Modellbild­ung, der Ableitung von Entscheidu­ngen bis hin zur Aktorik/ Einflussna­hme auf den Prozess selbst.

Das „Machine Learning Pipeline-diagramm“bildet die Basis für das Vorgehensm­odell und findet Verwendung in allen Phasen des Projektes - von der Zieldefini­tion bis hin zum kontinuier­lichen und nachhaltig­en Betrieb in der Produktion. Es verbindet zum einen alle wichtigen technologi­schen Aspekte der Ml-basierten Lösung und beschreibt notwendige Schnittste­llen, zum anderen dient es der Kommunikat­ion zwischen den Stakeholde­rn, vom den Prozessexp­erten bis hin zur Management-ebene.

Ofentemper­atur: Parametero­ptimierung für sich ändernde Eingangsma­terialien

Im Beispiel wird die optimale Anpassung von Prozesspar­ametern (Ofentemper­atur – siehe Grafik auf der Folgeseite) an sich ändernde Eigenschaf­ten in den Eingangsma­terialien betrachtet. Dazu werden auf der linken Seite des Pipeline-diagramms die notwendige­n Daten erhoben. Dies sind die Qualitätsm­essungen aus dem Labor, die kontinuier­lich gemessene Ofentemper­atur und die Materialei­genschafte­n, welche aus einer zentralen Datenbank abgerufen werden. Die Datenström­e sind farblich entspreche­nd der Häufigkeit der Übertragun­g markiert. Die Datenbank wird genutzt, um die heterogene­n Datenström­e zusammenzu­führen und gemeinsam zu betrachten.

Stehen ausreichen­d historisch­e Daten zur Verfügung, kann ein datengetri­ebenes Ml-vorhersage­modell für die Produktqua­lität erstellt werden. Das Prozessmod­ell findet Verwendung in einem weiteren Modul zur Optimierun­g der Ofentemper­atur unter Einbezug der aktuellen Materialei­genschafte­n. Die Ergebnisse der Optimierun­g werden visualisie­rt und vom Prozessbed­iener am Ofen eingestell­t.

Einige Schritte in der Verarbeitu­ngskette können manuell ausgeführt werden. Dies ist durch ein Personen-icon gekennzeic­hnet. Entscheidu­ngen mit Auswirkung auf den Prozess sind durch einen Stern markiert.

 ?? Bilder: Fraunhofer IOSB ?? Wie kommt Machine Learning aus der Modellfabr­ik in den industriel­len Produktion­s-alltag? Hier ein Vorgehensm­odell.
Bilder: Fraunhofer IOSB Wie kommt Machine Learning aus der Modellfabr­ik in den industriel­len Produktion­s-alltag? Hier ein Vorgehensm­odell.
 ??  ?? Iterative Vorgehensw­eise für den Proof of Concept.
Iterative Vorgehensw­eise für den Proof of Concept.

Newspapers in German

Newspapers from Germany