Vorgehensmodell für Maschinelles Lernen (ML) in der Produktion
Wie KI in die Praxis kommt
MODERNE Produktionsanlagen sind oft so komplex, dass qualitätsrelevante Zusammenhänge durch klassische Modellbildung nur unvollständig erfasst werden können. Viele Optimierungspotenziale lassen sich deshalb nur datengestützt mit Methoden des maschinellen Lernens (ML) erschließen. ML kommt deshalb zunehmend und mit großem Erfolg zum Einsatz, um etwa die Produktqualität zu steigern, den Ressourceneinsatz zu reduzieren oder ungeplante Maschinenausfälle durch vorausschauende Wartung zu vermeiden. Die wirksame Umsetzung in der industriellen Produktion, über reine Pilotprojekte hinaus für die Anwendung im dauerhaften Betrieb, ist jedoch herausfordernd.
Das Potential und die Krux von ML
Die Erfahrungen verschiedener Fraunhofer-institute zeigen sowohl in der Prozessals auch in der Stückgut-produzierenden Industrie ein großes Potential für die Anwendung
von Ml-methoden. Für die Umsetzung fehlt es derzeit jedoch an Experten, die vertiefte Kenntnisse sowohl in der Produktions- und Automatisierungstechnik als auch in ML mitbringen. Es hat sich zudem gezeigt, dass eine wirksame Umsetzung von Ml-projekten bis zum produktiven langjährigen Einsatz im Betrieb eine professionelle ingenieurstechnische Herangehensweise in großen und interdisziplinären Projektteams erfordert. Das dafür notwendige Vorgehen unterscheidet sich von Forschungsprojekten, in denen nur prototypische Entwicklungen auf der Agenda stehen.
Das Leitprojekt
Im Fraunhofer-leitprojekt „Machine Learning for Production“(ML4P) wurde unter Leitung des Fraunhofer IOSB ein toolgestütztes Vorgehensmodell für die Umsetzung von ML in der Produktion entwickelt. Der in ML4P und weiteren Projekten verfolgte Ansatz des Ki-engineerings
[1] orientiert sich in vieler Hinsicht am Systems Engineering.
Die breiten Erfahrungen der beteiligten Institute ermöglichen es, grundlegende Methoden zu detaillieren sowie die dazu passende, durchgängige Kette interoperabler Softwarelösungen zu entwickeln. Diese Softwaretools dienen dazu, systematisch das relevante Wissen und die Daten einer Produktionsanlage zu erfassen, zu formalisieren und für die Nutzung des Ml-methodenspektrums aufzubereiten. Weiterhin können sie vorhandene Optimierungspotenziale aufspüren und bewerten, bestgeeignete Ml-verfahren anwendungsspezifisch auswählen und diese nutzbringend einsetzen.
Das veröffentlichte Vorgehensmodell [2] beschreibt im Kern eine Abfolge von dedizierten Phasen für die Durchführung von Ml-projekten und ermöglicht die Skalierung auch auf große Projektteams durch vorausschauende Planung, Quantifizierung des Fortschritts und der Festlegung von definierten Zwischenergebnissen mit klaren Schnittstellen zwischen Verantwortlichkeiten. Im Gegensatz zu bekannten Vorgehensmodellen aus dem klassischen Data Mining, wie Crisp-dm, wird dabei auf die speziellen Anforderungen der industriellen Produktion eingegangen.
Das Machine Learning Pipeline-diagramm
Machine Learning orientiert sich typischerweise an einer datenzentrierten Verarbeitungskette: Von der Entstehung, der Aufbereitung und fragestellungsbezogenen Modellbildung, der Ableitung von Entscheidungen bis hin zur Aktorik/ Einflussnahme auf den Prozess selbst.
Das „Machine Learning Pipeline-diagramm“bildet die Basis für das Vorgehensmodell und findet Verwendung in allen Phasen des Projektes - von der Zieldefinition bis hin zum kontinuierlichen und nachhaltigen Betrieb in der Produktion. Es verbindet zum einen alle wichtigen technologischen Aspekte der Ml-basierten Lösung und beschreibt notwendige Schnittstellen, zum anderen dient es der Kommunikation zwischen den Stakeholdern, vom den Prozessexperten bis hin zur Management-ebene.
Ofentemperatur: Parameteroptimierung für sich ändernde Eingangsmaterialien
Im Beispiel wird die optimale Anpassung von Prozessparametern (Ofentemperatur – siehe Grafik auf der Folgeseite) an sich ändernde Eigenschaften in den Eingangsmaterialien betrachtet. Dazu werden auf der linken Seite des Pipeline-diagramms die notwendigen Daten erhoben. Dies sind die Qualitätsmessungen aus dem Labor, die kontinuierlich gemessene Ofentemperatur und die Materialeigenschaften, welche aus einer zentralen Datenbank abgerufen werden. Die Datenströme sind farblich entsprechend der Häufigkeit der Übertragung markiert. Die Datenbank wird genutzt, um die heterogenen Datenströme zusammenzuführen und gemeinsam zu betrachten.
Stehen ausreichend historische Daten zur Verfügung, kann ein datengetriebenes Ml-vorhersagemodell für die Produktqualität erstellt werden. Das Prozessmodell findet Verwendung in einem weiteren Modul zur Optimierung der Ofentemperatur unter Einbezug der aktuellen Materialeigenschaften. Die Ergebnisse der Optimierung werden visualisiert und vom Prozessbediener am Ofen eingestellt.
Einige Schritte in der Verarbeitungskette können manuell ausgeführt werden. Dies ist durch ein Personen-icon gekennzeichnet. Entscheidungen mit Auswirkung auf den Prozess sind durch einen Stern markiert.