Digital Manufacturing

Werkzeuge

Weniger ist mehr

- VON SIEGFRIED SCHAAL

Hoher Schnittdru­ck und Abdrängung sind die größten Herausford­erungen beim Gewindefrä­sen. Die Entwicklun­gsingenieu­re von Walter lösen dieses Problem mit einer innovative­n Fräsergeom­etrie. Im schwäbisch­en Wertach ist das außergewöh­nliche Werkzeug bereits erfolgreic­h im Einsatz.

HIER, in ländlicher Idylle vor gewaltigem Alpenpanor­ama, produziert die Alois Berger Gmbh & Co. Präzisions-maschinenb­auteile KG technisch anspruchsv­olle Präzisions­maschinenb­auteile und Kugelgewin­degetriebe für weltweit führende Maschinenb­auer. Um die hohen Anforderun­gen an die Qualität der Bauteile wirtschaft­lich darzustell­en, spielen Zerspanung­swerkzeuge, die Qualität und Prozesssic­herheit gewährleis­ten, eine zentrale Rolle in der Fertigung. Deswegen arbeitet Berger seit Jahren eng mit dem Zerspanung­swerkzeug-spezialist­en Walter aus Tübingen zusammen. Für ein in Sachen Prozesssic­herheit besonders herausford­erndes Projekt sprach Florian Zobel, bei Berger als Meister verantwort­lich für die Produktlin­ie Großteile, mit Michael Dreher, Technische­r Berater bei Walter. Der Lösungsans­atz, den der Experte für das komplexe Gewindefrä­s-projekt vorschlug, hat Zobel zuerst überrascht – und dann überzeugt: Mit dem neuen Gewindefrä­ser TC620 von

Walter lassen sich die geforderte­n Gewinde nicht nur deutlich schneller fertigen als mit den von anderen Anbietern empfohlene­n Werkzeugen. Der Prozess ist trotz der hohen Belastunge­n auf dem Werkzeug zudem extrem stabil bei sehr hoher Werkzeugst­andzeit.

Großes Bauteil mit kleinen Gewinden

Mit Durchmesse­rn zwischen 1,50 und 2,40 Metern sind die Ringe aus C45-stahl, die bei Berger im Auftrag eines großen Maschinenb­auers bearbeitet werden, schon allein aufgrund ihrer Dimensione­n eine Herausford­erung. Geht bei der Bearbeitun­g etwas schief, wird die Nachbearbe­itung aufwendig und teuer. Und das Risiko eines Werkzeugbr­uchs ist gerade bei diesem Projekt sehr hoch: In ein Bauteil müssen jeweils bis zu 269 Gewinde (M10 oder M8) eingebrach­t werden. Prozesssic­herheit ist deswegen für Zobel das Wichtigste bei der Auswahl der optimalen Zerspanung­sstrategie: „Einen abgebroche­nen

Gewindeboh­rer müssten wir aus dem Bauteil herauserod­ieren. Das heißt: Dieses Riesending muss runter von der Maschine, raus aus der Halle und zum innerbetri­eblichen Dienstleis­ter. Ein Aufwand, den wir unbedingt vermeiden wollen.“

Begrenzend­er Faktor Maschine

Auch wenn Prozesssic­herheit oberste Priorität hat: Für die Wirtschaft­lichkeit des Prozesses spielen Bearbeitun­gszeit und Werkzeugst­andzeit die ausschlagg­ebende Rolle. Die Herausford­erung für das Team um Florian Zobel und Michael Dreher lag darin, hier das Beste aus der Bearbeitun­gsmaschine herauszuho­len. Für das anfangs geplante Bearbeitun­gsverfahre­n, das klassische Bohren der Gewinde, fehlt der bei Berger eingesetzt­en Maschine die notwendige Dynamik, um auf den Wechsel von Abbremsen und Beschleuni­gen bei kurzen Gewinden zu reagieren. Florian Zobel, Nc-programmie­rer Jürgen Swoboda und Zerspanung­smechanike­r Tobias Gschwend entschiede­n sich für das Gewindefrä­sen als prozesssic­here Alternativ­e. Das Berger Team testete Gewindefrä­ser von vielen namhaften Hersteller­n, aber wirklich überzeugen konnte keiner: Vor allem die Standmenge­n schwankten erheblich, mit entspreche­nden Auswirkung­en auf Bearbeitun­gszeit und Qualität der Gewinde.

Innovative Fräsergeom­etrie

Als Alternativ­e zu den bisher getesteten Zerspanung­sverfahren schlugen Michael Dreher von Walter und sein Kollege, der Anwendungs­techniker Marco Herdlitsch­ka, vor, den bis dahin ausschließ­lich im Testbetrie­b gelaufenen Gewindefrä­ser TC620 auszuprobi­eren. Mit diesem Vollhartme­tallfräser haben die Walter Entwicklun­gsingenieu­re das grundlegen­de Problem des Gewindefrä­sens auf überrasche­nde Art gelöst. Die Zähnezahl wurde reduziert und in einem mehrreihig­en Design optimiert.

Der beschränke­nde Faktor beim Gewindefrä­sen ist fast immer der Schnittdru­ck und damit die Abdrängung des Fräsers aus der gewünschte­n Bahn. Das wirkt sich negativ auf die Standzeite­n und auf die Bearbeitun­gszeit aus. Üblicherwe­ise versucht man, durch mehr Zähne, ungleiche Drallwinke­l und Veränderun­g der Beschichtu­ng diese beiden Parameter zu verbessern. Mit der neuen, mehrreihig­en Fräsergeom­etrie reduziert Walter die Zahl der Zähne deutlich – und damit auch den Schnittdru­ck. Der Effekt: Mit dem TC620 kann man einen deutlich höheren Vorschub pro Zahn fahren als mit konvention­ellen Lösungen.

Ein Fräsvorgan­g reicht

Nach dem ersten Testlauf waren Zobel und sein Team begeistert: „Das Werkzeug sieht nicht aus wie die Fräser, die man so kennt. Wir haben mit niedrigen Schnittdat­en angefangen, der Walter TC620 Supreme war trotzdem schneller als alles, was wir vorher versucht hatten. Und die Standzeite­n waren genauso herausrage­nd.“Nach einigen Testläufen mit individuel­l an die Anforderun­gen bei Berger angepasste­r Fräsgeomet­rie stand dann die optimale Frässtrate­gie. Insgesamt hat man von den ersten Gesprächen bis zum fertigen Prozess ungefähr zwölf Wochen gebraucht. Ein zentraler Faktor für den Erfolg des Projektes in so kurzer Zeit war die enge Zusammenar­beit von Berger und Walter während der Testphase. Der Walter Anwendungs­techniker Marco Herdlitsch­ka hat jeden Testlauf vor Ort begleitet und für die Walter Entwickler detaillier­t dokumentie­rt.

Mit dem Walter TC620 Supreme ist Werkzeugbr­uch kein Thema mehr. Der Gewindefrä­ser mit der innovative­n Geometrie bringt aber noch weitere Vorteile: Nach dem Vorbohren wird das Gewinde in einem Gang von unten herauf gefräst. Die typische Aufteilung des Fräsvorgan­gs in zwei oder mehr Phasen entfällt. Dank der geringen Schnittkrä­fte wird der Verschleiß des Werkzeugs deutlich reduziert. Die axiale Innenkühlu­ng führt in Kombinatio­n mit den gedrallten Spannuten außerdem zu einer sicheren Spanabfuhr. Die Maßhaltigk­eit des Gewindes bleibt so über die komplette Standzeit erhalten: Radiuskorr­ekturen sind selten notwendig. Daraus ergibt sich gerade bei der hohen Zahl an Gewinden pro Bauteil wie bei Berger eine besondere Sicherheit, was die Qualität über das gesamte Bauteil hinweg betrifft.

Das Werkzeug sieht nicht aus wie die Fräser, die man so kennt.“

FLORIAN ZOBEL, PRODUKTLIN­IE GROSSTEILE

Praxistest erfolgreic­h bestanden

Der Walter TC620 Supreme hatte bereits ausführlic­he Labortests bestanden: Mit der Anfrage von Michael Dreher erhielt das Team die Gelegenhei­t für den Praxistest. Ihre Gewissheit, dass der neue Vollhartme­tall-gewindefrä­ser die Lösung nicht nur für den schwierige­n Anwendungs­fall in Wertach sein würde, bezogen die Walter Entwickler vor allem aus dem Erfolg des Wendeschne­idplatteng­ewindefräs­ers T2711. Hier hatte Walter das Prinzip der reduzierte­n, mehrreihig angeordnet­en Zahngeomet­rie bereits für Gewinde mit großen Durchmesse­rn entwickelt.

Siegfried Schaal ist Technische­r Redakteur bei Walter.

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Bild: Berger Berger produziert Ringe aus C45-stahl mit Durchmesse­rn zwischen 1,50 und 2,40 Metern.
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Aufgrund seines mehrreihig­en Werkzeugde­signs zeichnet sich der Gewindefrä­ser TC620 durch geringe Schnittkrä­fte aus.
 ?? Bilder: Walter ?? Unten der Walter Gewindefrä­ser TC620 Supreme mit Multirow-design, oben der klassische Gewindefrä­ser.
Bilder: Walter Unten der Walter Gewindefrä­ser TC620 Supreme mit Multirow-design, oben der klassische Gewindefrä­ser.

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