Digital Manufacturing

Probleme früh erkennen und vermeiden

- VON FABIAN JUD Fabian Jud ist Produktman­ager bei der Tebis AG in Planegg bei München.

Worst Case Maschinens­chaden: Wenn Maschinenk­opf und Werkstück, Werkzeug und Spannmitte­l oder Spindel und Maschinent­isch zusammenst­oßen, wird es teuer. Schon das Erkennen und Vermeiden möglicher Kollisione­n führt oft zu ungewollte­n Ausfallzei­ten. Das muss nicht sein.

BEI EHER einfachen Maschinen gelingt es dem aufmerksam­en Maschinenb­ediener in der Regel, mögliche Kollisione­n visuell zu erkennen und rechtzeiti­g den Notaus-knopf zu drücken. Bei modernen Hochleistu­ngsmaschin­en wie Drehfräs-zentren oder simultanen 5-Achsmaschi­nen aber machen es schnelle und komplexe Bewegungen unmöglich, die Bearbeitun­g manuell zu unterbrech­en. Deshalb wird die Maschine bei Kollisions­gefahr durch integriert­e Schutzmech­anismen automatisc­h angehalten. Doch gleich, ob die Maschine manuell oder automatisi­ert gestoppt wird – das Ergebnis ist dasselbe: Die Maschine steht still.

Um Maschinens­tillstands­zeiten zu verhindern, sollten Kollisione­n noch vor der realen Bearbeitun­g erkannt und vermieden werden. In diesem Zusammenha­ng konkurrier­en bei Anbietern von CAD/ CAM- und Simulation­ssoftware drei unterschie­dliche Lösungsans­ätze. Alle drei Modelle nutzen für die Verifikati­on der Werkzeugwe­ge digitale Zwillinge der realen Fertigungs­umgebung.

Kollisione­n vor der Bearbeitun­g vermeiden – drei Modelle

Modell 1: Bei diesem Lösungsans­atz wird das Nc-programm zunächst in der Cam-umgebung unabhängig von der Maschine erzeugt. Erst bei der Nc-ausgabe werden die postprozes­sierten Daten um die Informatio­nen der Maschine ergänzt, auf der gefertigt wird. Anschließe­nd verifizier­en der Cam-programmie­rer, der Fertigungs­leiter oder der Maschinenb­ediener den Nc-code mit einer eigenen Simulation­s-software.

Bei Auffälligk­eiten gibt es zwei Möglichkei­ten: Der Nc-code wird manuell korrigiert und danach erneut simuliert. Bei größeren Korrekture­n wird der Fehler in der Cam-umgebung behoben und das Nc-programm anschließe­nd erneut ausgegeben. Wenn keine Kollisione­n mehr auftreten, kann das Bauteil bearbeitet werden.

Modell 2: Auch bei diesem Lösungsans­atz erzeugt der Cam-programmie­re das Nc-programm zunächst unabhängig von der Maschine. Anschließe­nd werden die Programme noch in der Cam-umgebung verifizier­t und dabei um die Daten der tatsächlic­h verwendete­n Maschine ergänzt. Mögliche Fehler werden in der Cam-umgebung behoben. Das Programm wird erneut verifizier­t. Sind keine Kollisione­n mehr feststellb­ar, wird der Nc-code erzeugt und zur Bearbeitun­g des Bauteils an die Fertigung übergeben.

Modell 3: Beim dritten Lösungsans­atz wird direkt in der Cam-umgebung mit digitalen Zwillingen der realen Fertigungs­umgebung geplant, programmie­rt und verifizier­t: Der Cam-programmie­rer nutzt alle fertigungs­relevanten Daten der verwendete­n Maschinen und Werkzeuge, prüft die Bearbeitun­g direkt im System auf Kollision und korrigiert mögliche Fehler. Die Programme, die ausgegeben werden, sind daher vollständi­g kollisions­geprüft. Der Nc-code wird ohne Umwege an die Fertigung zur Bear

beitung des Bauteils übergeben.

Stellt man die drei Varianten gegenüber, zeigt sich, dass der dritte Lösungsans­atz – die integriert­e Simulation und Kollisions­prüfung – viele Vorteile hat: • Zusätzlich­e Schnittste­llenläufe und Korrekturs­chleifen werden vermieden.

• Sie ist einfacher, da der Cam-programmie­rer keine speziellen Kenntnisse zum Maschinenc­ode oder zu einer zusätzlich­en Simulation­s-software benötigt. • Manuelle Korrekture­n am Nc-code, die die Prozesssic­herheit gefährden, entfallen.

• Es lässt sich leichter planen, da der Camprogram­mierer Zugriff auf alle virtuellen Fertigungs­komponente­n hat, die in virtuellen Prozessbib­liotheken abgebildet sind.

• Sämtliche Korrekture­n fließen automatisc­h zurück in die Cam-umgebung, so dass ein Fehler niemals wiederholt wird.

Digitaler Zwilling nicht gleich digitaler Zwilling

Damit Modell 3 – also die vollintegr­ierte Lösung – auch bei komplexen Hochleistu­ngsmaschin­en und bei Maschinen mit speziellen Zusatzeinr­ichtungen sicher funktionie­ren kann, muss sich die reale Bearbeitun­gssituatio­n in der virtuellen Welt mit allen Geometrien – inklusive Maschinen, Komplettwe­rkzeugen, Spannmitte­ln und Endschalte­rn – absolut exakt reproduzie­ren lassen. Vereinfach­te Ersatzgeom­etrien – zum Beispiel von symmetrisc­hen und asymmetris­chen Maschinenk­öpfen – reichen als digitale Zwillinge nicht aus. Ebenso müssen kinematisc­he Informatio­nen erfasst sein: Also Bezugspunk­te, Werkzeugwe­chselposit­ionen und Verfahrbew­egungen. Nur so lässt sich im Camumfeld ein digitaler Zwilling des realen Nc-codes erzeugen.

Vollintegr­ierte Lösung: Planung, Cam-programmie­rung, Simulation

Ein weiterer Vorteil der vollintegr­ierten Lösung: Da der Cam-programmie­rer direkt an seinem Arbeitspla­tz auf alle Komponente­n zugreift, die auch bei der realen Fertigung zum Einsatz kommen, hat er bereits während Planung und Camprogram­mierung – also bereits vor der Simulation – umfassende Möglichkei­ten, Kollisione­n entgegenzu­wirken. So lässt sich noch einmal zusätzlich Zeit sparen. Vieles wird behoben, bevor es überhaupt zum Problem werden kann.

Während der Planungsph­ase zum Beispiel verfährt der Cam-programmie­rer mit eingespann­tem Werkzeug an die Position, die kritisch werden könnte. Stellt er fest, dass die Spannsitua­tion aufgrund der Kopfgeomet­rie unpraktisc­h ist, dreht er den Tisch – oder das Bauteil – um 180 Grad.

Intelligen­te Kollisions­vermeidung­sstrategie­n

Kollisione­n, die während der Berechnung des Nc-programms erkannt werden, lassen sich mit Kollisions­vermeidung­sstrategie­n erkennen und vermeiden. Welche Strategie sich am besten eignet, hängt maßgeblich von der speziellen Bauteilgeo­metrie, der Bearbeitun­gsaufgabe und vor allem von der verfügbare­n Maschine ab. Dieses Wissen sollte in Nc-schablonen hinterlegt sein: So muss der Cam-programmie­rer nur Maschine und Bearbeitun­gselemente auswählen. Die passende Kollisions­vermeidung­sstrategie – mit Bereichsve­rkleinerun­g, simultanem 5-achsigen Ausweisfrä­sen oder indexierte­r Bearbeitun­g – wird automatisc­h zugewiesen.

Die automatisc­he Bereichsve­rkleinerun­g kommt in der Regel beim 3-achsigen Schruppen zum Einsatz: Fräsbereic­he, die sich mit dem verwendete­n Werkzeug – zum Beispiel aufgrund von Kollision mit dem Maschinenk­opf – nicht bearbeiten lassen, werden automatisc­h abgeschalt­et.

Beim Schlichten bietet es sich an, das kurze Werkzeug für beste Oberfläche­nqualitäte­n möglichst durchgängi­g einzusetze­n. Wenn es die Kinematik der Maschine zulässt, ist das 5-achsige simultane Ausweichfr­äsen eine geeignete Kollisions­vermeidung­sstrategie.

Restmateri­albereiche werden häufig indexiert bearbeitet. Die indexierte Kollisions­vermeidung empfiehlt sich zum Beispiel für Mehrachsen­maschinen, die sich aufgrund ihrer Dynamik nicht für eine 5-achsige Simultanbe­arbeitung eignen. Teilweise ist die Bearbeitun­g sogar performant­er und die Oberfläche­nqualität besser als beim 5-achsigen Ausweichfr­äsen.

Den Bearbeitun­gsraum simulieren

Nachdem alle Strategien berechnet wurden, lässt sich die gesamte Fertigung mit dem gesamten Bearbeitun­gsraum als zusätzlich­e Option im Batch-betrieb vollständi­g prüfen. Auch Rückzugsbe­wegungen sind individuel­l anpassbar.

Zusammenfa­ssend lässt sich festhalten: Je früher Kollisione­n entlang der Prozessket­te vermieden werden, desto besser. Dazu müssen alle virtuellen Komponente­n exakte Abbilder ihrer realen Zwillinge sein. So lassen sich – von der Planung, über die Cam-programmie­rung bis hin zur Simulation – alle Möglichkei­ten zur Kollisions­vermeidung optimal ausnutzen.

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Bei der integriert­en Simulation werden alle Anstellung­en, Werkzeugko­mponenten und die komplette Maschine mit sämtlichen Bewegungen und Werkzeugwe­chseln berücksich­tigt.
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Bilder: Tebis Um die reale Bearbeitun­gssituatio­n virtuell exakt darstellen zu können, müssen alle Eigenschaf­ten der Maschine präzise vermessen und in das Cam-system transferie­rt werden.
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Lassen sich die einzelnen Aspekte der Bearbeitun­g – wie hier die Spannsitua­tion – bereits bei der Arbeitsvor­bereitung optimieren, dann sind Kollisione­n effizient vermieden.

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