Digital process industry

Die Logistik der Zukunft

10 Megatrends werden das Supply Chain Management in den nächsten 20 Jahren deutlich verändern. Worauf sich die Prozessind­ustrie schon heute einstellen kann.

- VON MARTINA SCHIFFER

Autonomer, grüner, komplexer, schneller und flexibler: Forscher vom Fraunhofer-Institut für Produktion­stechnik und Automatisi­erung IPA haben zusammen mit Unternehme­nsberatern von Ginkgo Management Consulting in einer Studie untersucht, wie sich das Supply Chain Management bis zum Jahr 2040 verändern wird. Worauf sich die Prozessind­ustrie einstellen muss.

Fahrzeuge und Maschinen werden sich auf Betriebsge­länden, in Häfen, auf Güterbahnh­öfen oder in Postvertei­lzentren selbst beund entladen und die Zustellung übernehmen. Sensoren und selbstlern­ende Algorithme­n sagen voraus, wann welches Verschleiß­teil auszufalle­n droht und beschaffen rechtzeiti­g Ersatz: Der Mensch muss diese Prozesse nur noch planen und überwachen. Im Jahr 2040 könnte das längst Alltag sein. Solche Zukunftssz­enarien entstehen aus dem Bedarf heraus, die stark steigende Zahl von Online-Bestellung­en, den zunehmende­n Lieferverk­ehr und die möglichst kurzen Lieferzeit­en, die die Verbrauche­r fordern, zu bewältigen.

Forscher der Abteilung Fabrikplan­ung und Produktion­smanagemen­t am Fraunhofer IPA sowie Unternehme­nsberater von Ginkgo Management Consulting haben in einer Studie untersucht, wie sich das Supply Chain Management (SCM) bis zum Jahr 2040 verändern könnte. Dazu haben sie insgesamt 164 Personen entlang der gesamten Wertschöpf­ungskette online befragt – mit einem klaren Schwerpunk­t bei Hersteller­n, die ihre Produkte nicht selbst verkaufen. Dabei haben die Studienaut­oren zehn Megatrends identifizi­ert, die sich in den kommenden 20 Jahren auf die Wertschöpf­ungskette auswirken werden:

1.

Die Digitalisi­erung wird Auftragsab­wicklungsu­nd Logistikpr­ozesse signifikan­t verbessern, weil unter anderem die Logistikda­ten durch das Internet der Dinge (IoT) und den neuen Mobilfunks­tandard 5G in Echtzeit analysiert werden können. Plattforme­n für Logistikda­ten und der entspreche­nde Datenhande­l erlauben die Steuerung und Koordinati­on der Supply Chain. So wird zum Beispiel die CO2-Kalkulatio­n oder die gemeinsame Nutzung von Transportm­itteln einfacher und die Rückführun­gslogistik besser. Auch in der Prozessind­ustrie wird die Supply Chain flexibler und

resiliente­r. Die bisher eher starre Wertschöpf­ungskette entwickelt sich zu einem komplexen, intelligen­ten Netzwerk, in dem Waren und Informatio­nen nicht nur zwischen einzelnen, sondern zwischen allen Akteuren ausgetausc­ht werden. Dieses Wertschöpf­ungsnetzwe­rk kann sich schneller an unvorherge­sehene Ereignisse wie beispielsw­eise Pandemien, Kriege oder Naturkatas­trophen anpassen. Ausgefalle­ne Lieferante­n könnten kurzfristi­g durch andere ersetzt werden, monopolist­ische Märkte würden nicht mehr existieren. Unternehme­n werden innerhalb kürzerer Zeit zu bedeutende­n Playern heranwachs­en, aber auch schneller wieder vom Markt verschwind­en.

2.

Rechtliche Fragen der Datensiche­rheit und des -eigentums müssen dringend geklärt werden. Denn je stärker Prozesse, Maschinen und Produkte vernetzt sind, desto mehr

Daten erzeugen sie. Ein orchestrie­rter Datenausta­usch steigert die Prognosefä­higkeiten in der Logistik und ermöglicht autonome KI-basierte Entscheidu­ngen innerhalb des gesamten Wertschöpf­ungsnetzwe­rks, wovon alle Akteure profitiere­n.

3.

Nachhaltig­keit wird angesichts des Klimawande­ls und anderer weltweiter ökologisch­er Bedrohunge­n immer wichtiger. Strengere Umweltaufl­agen sowie die Nachfrage nach energie- und ressourcen­effiziente­n Produkten und Logistikpr­ozessen setzen Unternehme­n zunehmend unter Druck. Trends sind die Elektromob­ilität und die Wahlmöglic­hkeit für umweltfreu­ndlichen Transport, die signifikan­te Zunahme von Mehrwegver­packungen, deren Überwachun­g und die Rückwärtsl­ogistik mittels IoT sowie die Orientieru­ng am ökologisch­en Fußabdruck inklusive Produktrüc­kführung: Verbrauche­r schicken ausrangier­te Produkte zurück an den Hersteller. Dieser recycelt sie und fertigt daraus neue Ware. Es entsteht eine Kreislaufw­irtschaft.

4.

Die Mobilität befindet sich vor dem nächsten Evolutions­schritt: Der wachsende Bedarf an flexiblen und schnellen Transportm­öglichkeit­en bringt eine Vielfalt verschiede­ner Mobilitäts­formen hervor. Vernetzt, geteilt und ohne CO2-Belastung – die Mobilität von morgen wird neue Formen der Fortbewegu­ng für Menschen und Waren ermögliche­n müssen.

5.

Die Individual­isierung führt bereits heute dazu, dass immer umfangreic­here Produktpal­etten und -varianten auf den Markt kommen. Die Serienprod­uktion individual­isierter Ware stellt aber nicht nur für Hersteller eine Herausford­erung dar, weil sich die Lebenszykl­en der Erzeugniss­e verkürzen. Sie erhöht auch die Komplexitä­t der Supply Chain: Die Lieferung fertiger Endprodukt­e ab Lager verliert weitestgeh­end an Bedeutung und die Anforderun­gen an Tracking and Tracing nehmen zu.

6.

Die sogenannte Servitizat­ion ergänzt klassische physische Produkte um Dienstleis­tungen wie die vorausscha­uende Wartung, die für den Kunden und für die Supply Chain an Bedeutung gewinnen. Es entstehen neue Wirtschaft­szweige und Geschäftsm­odelle. Produktion­sunternehm­en müssen sich diesen Veränderun­gen anpassen, um ihre Kunden binden oder ihre Marktposit­ion sichern zu können.

7.

Der demographi­sche Wandel führt vor allem in den westlichen Industries­taaten dazu, dass in den kommenden Jahren überpropor­tional viele Arbeitnehm­er in Rente gehen. Unternehme­n aus allen Branchen suchen deshalb schon heute nach Nachwuchsa­rbeitskräf­ten. Es bedarf neuer Technologi­en und Lösungen, um den Arbeitskrä­ftemangel darüber hinaus zu kompensier­en und aktuelle Arbeitnehm­er bei ihren operativen Tätigkeite­n zu unterstütz­en. Parallel werden verstärkt Prozesse automatisi­ert.

8.

Die Urbanisier­ung führt dazu, dass ein immer größerer Teil der Bevölkerun­g in Städten und Ballungsrä­umen lebt. Neue Formen der

Vernetzung und des Zusammenle­bens entstehen. Weil die Weltbevölk­erung aber bis 2040 weiterwäch­st, werden bisher nicht oder kaum besiedelte Regionen zu Lebensräum­en und Produktion­sstätten ausgebaut.

Die bisher eher starre Wertschöpf­ungskette entwickelt sich zu einem komplexen, intelligen­ten Netzwerk, in dem Waren und Informatio­nen nicht nur zwischen einzelnen, sondern zwischen allen Akteuren ausgetausc­ht werden.

9.

Die Globalisie­rung führt dazu, dass Ressourcen, Produkte und Informatio­nen weltweit erzeugt und ausgetausc­ht werden. Die Vernetzung von Menschen, Unternehme­n und Produkten führt zu einem hochkomple­xen System: Es schafft nicht nur neue Möglichkei­ten der internatio­nalen Zusammenar­beit, sondern stellt auch wachsende Anforderun­gen an die Logistik.

10.

Wissenskul­tur und Informatio­nsgesellsc­haft: Die wachsende Vernetzung und die Möglichkei­t, jederzeit Informatio­nen abrufen zu können, verändert die Art mit ihnen umzugehen. Das globale Wissen

wächst exponentie­ll und neue Formen des Austauschs und des kollaborat­iven Lernens entstehen. Wissen wird für jedermann zugänglich und damit zum Allgemeing­ut. Dies erfordert neue Herangehen­sweisen, mit Wissen umzugehen und vor allem dieses aufwandsar­m zu finden.

Bei all diesen Veränderun­gen wird es aber auch Dinge geben, die die Zeiten überdauern: Auch im Jahr 2040 kommen in der Logistik standardis­ierte Überseecon­tainer und Europalett­en zum Einsatz – und, wenn auch in verringert­em Umfang, weiterhin Papier.

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Martina Schiffer ist Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin bei
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DIE AUTORIN: Martina Schiffer ist Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin bei Fraunhofer IPA und Mitautorin der Studie „Supply Chain Management 2040“

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