Die Schönheit der Straße
Straßenfotograf Fabian Schreyer im Interview
Für Außenstehende stellen sich beim Stichwort Straßenfotografie zahlreiche Fragen: Welche Brennweiten kommen zum Einsatz? Werden die fotografierten Personen vorab um Erlaubnis gefragt? Und welche Auswirkungen hat die DSGVO? Fabian Schreyer gibt uns seine ganz persönlichen Antworten.
: Sie arbeiten hauptberuflich im Bereich PR und Marketing. Wie kamen Sie zur Fotografie, insbesondere zur Straßenfotografie?
Fabian Schreyer: Der Erstkontakt mit dem Medium Fotografie führt in meine Kindheit zurück und ist untrennbar mit meiner damaligen Fußballleidenschaft verbunden. Als junger Paparazzo stellte ich mit einer kleinen analogen Kompaktkamera bewaffnet meinen Fußballidolen nach. Zum ersten Mal ernsthaft mit der Fotografie auseinandergesetzt habe ich mich dann nach dem Abitur auf einem Trip nach Kuba. Fasziniert von Land und Leuten entwickelte ich während der mehrwöchigen Rucksackreise unbewusst eine Vorliebe für ungestellte Alltagsszenen fern der klassischen Touristen-motive.
Hatten Sie für diese Aufnahmen ein bestimmtes Konzept im Kopf oder besondere Vorbilder?
Nein, überhaupt nicht. Tatsächlich erfuhr ich von dem Terminus „Straßenfotografie“und der dahinterstehenden fotografischen Tradition erst nach der Reise. Es fühlte sich an, als hätte ich den Schlüssel zu einer bis dahin unbekannten Schatzkammer gefunden. Kurz darauf bekam ich dann glücklicherweise auch den Schlüssel zur Dunkelkammer der Universität überreicht.
Im Jahr 2013 haben Sie das StraßenfotografieKollektiv „The Street Collective“mitgegründet. Was genau verbirgt sich dahinter?
„The Street Collective“ist eine internationale Vereinigung von Straßenfotografen. Das Kollektiv ermöglicht den Beteiligten, sich regelmäßig auszutauschen, konstruktiv Bildkritik zu üben, über Landesgrenzen hinweg an Projekten zu arbeiten und als Netzwerk Gruppenausstellungen zu realisieren. Anfangs bestand die Gruppe aus fünf Mitgliedern, inzwischen sind wir neun, aus Indien, Israel, Marokko, Deutschland, Frank-
reich, Schweden, England, den USA und Vietnam. Aus Online-kontakten sind längst OfflineFreundschaften entstanden, die über die Jahre durch Treffen auf Festivals oder bei gemeinsamen Ausstellungen in Städten wie Miami, Brüssel oder London vertieft wurden.
Tauschen Sie sich neben Ausstellungen und Bildern auch über besonders spannende Locations aus?
Diese „Hotspots“sind ein Aspekt von vielen. Orte wie New York, London, Varanasi oder Istanbul scheinen auf viele eine magische Anziehungskraft auszuüben. Glücklicherweise haben wir mit Us-fotograf Forrest Walker einen echten Weltenbummler im Kollektiv, der uns immer wieder mit Geheimtipps überrascht. Seit zwei
Es war, als hätte ich den Schlüssel zu einer bis dahin unbekannten Schatzkammer gefunden. Fabian Schreyer
Jahren bereist er für sein Projekt „100 Cities“100 Großstädte weltweit, wie Kapstadt, Kathmandu, Ho-chi-minh-stadt oder Montevideo.
Straßenaufnahmen wirken immer unheimlich spontan. Entstehen alle Bilder aus Beobachtungen oder wird da auch inszeniert?
Straßenfotografie lebt von Authentizität. Der Reiz und die Magie entstehen nicht zuletzt durch die Herausforderung, ohne unmittelbare Einflussnahme auf das Geschehen besondere Augenblicke festzuhalten. Ich bin in dieser Hinsicht Purist. Die Welt, wie wir sie täglich erleben, bedarf keiner Inszenierung. Sie ist spannend genug. Man muss nur das, was da ist, sichtbar machen. Dazu braucht es unter anderem Instinkt, Geduld, Reaktionsschnelligkeit und viel Erfahrung – gepaart mit einem Quäntchen Glück, das aber hart erarbeitet werden will.
Wie kann man sich das vorstellen: Sie entdecken einen schönen Spot und warten dann, bis sich dort ein toller Schnappschuss ergibt?
Die Herangehensweise wechselt, abhängig von Tagesform und Stimmung. Der beliebte Vergleich vom Angler und Jäger beschreibt das ganz gut. Mal stimmt das Setting, die Lichtbedingungen sind optimal, der Bildaufbau steht, aber es fehlt noch ein Teil, um das Puzzle in meinem Kopf zu komplettieren. Dann heißt es, geduldig warten, bis der Fisch anbeißt. Wenn ich aber zum Beispiel in eine mir unbekannte Stadt komme, bin ich anfangs meist rastlos und getrieben. Dann laufe ich auch mal wie in einem Rausch 25 Kilometer an einem Tag, ohne zu pausieren, immer in der Hoffnung, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Sobald ich Orientierung gewonnen habe, die besten Spots, das Spiel des Lichts und den Rhythmus der Stadt kenne, kann ich meist einen Gang runterschalten.
Wo finden Sie üblicherweise Ihre Motive?
Das ist sehr unterschiedlich und lässt sich auch meistens nicht gut vorhersagen. Die Supermarktkasse kann sich als Spot ebenso eignen wie ein Café, der Strand, der Zoo, eine Straßenbahn, ein Jahrmarkt, ein Gottesdienst, die Straße vor der eigenen Haustüre – letztlich fast jeder Ort, an dem Menschen sind. Und selbst menschenleere Orte eignen sich zur Straßenfotografie.
Die Welt, wie wir sie täglich erleben, bedarf keiner Inszenierung – sie ist spannend genug. Fabian Schreyer
Heißt das im Umkehrschluss, Sie haben bei jedem Schritt vor die Tür die Kamera dabei?
Das kommt ein bisschen darauf an. In Phasen, in denen ich viel zum Fotografieren komme, ist die Kamera meist auch beim Einkaufen, im Restaurant oder auf dem Weg zur Arbeit mit dabei.
Oft bleibt für den richtigen Moment nur wenig Zeit. Wie gelingt es Ihnen, diesen zu erwischen?
Vorbereitung ist das halbe Leben. Wenn es darauf ankommt, sollte man sich voll auf den Moment fokussieren können und nicht lange über Kameraeinstellungen nachdenken müssen. Das Handling muss instinktiv funktionieren – wie im Schlaf. Ich persönlich fotografiere mit Autofokus, stelle Blende und Belichtungszeit jedoch manuell ein, um maximale Kontrolle zu haben. Zudem ist es essenziell, den Verlauf einer Situation vorhersehen zu können, um gedanklich immer einen Schritt voraus zu sein.
Verwenden Sie einen speziellen Gurt, mit dem sich die Kamera besonders schnell zücken lässt?
Nein. Ich hatte jahrelang eine unauffällige schwarze Lederhandschlaufe und habe mir vor etwa einem Jahr einen schlichten Ledergurt zum Umhängen anfertigen lassen. Aus einer Spielerei wie Kameragurten eine Wissenschaft zu machen, halte ich für Zeitverschwendung.
Was macht ein gutes Straßenfoto aus?
Eine starke Aufnahme knüpft ein Netz zwischen der Seele des Fotografen und dessen Umwelt und spinnt den Betrachter darin ein. Sie sollte ohne zusätzliche Erklärung funktionieren, länger als einen Sekundenbruchteil in Erinnerung bleiben, eine Geschichte erzählen, Emotionen transportieren und Reaktionen hervorrufen.
Ein großes Thema ist ja aktuell die DSGVO. Wie hat diese neue Regelung Ihre Arbeit verändert?
Das Thema Persönlichkeitsrecht war bereits vor der DSGVO eine Gratwanderung, bei der jeder sich selbst klar werden muss, wie weit er sich vorwagt. Meine Arbeitsweise hat sich durch das Inkrafttreten nicht spürbar verändert. Ich habe über die Jahre einen persönlichen Ethik-kodex ausgebildet. Der ist zwar nicht mit den gesetzlichen Grenzen deckungsgleich, lässt mich aber moralisch guten Gewissens meiner Tätigkeit