DigitalPHOTO (Germany)

Die Schönheit der Straße

Straßenfot­ograf Fabian Schreyer im Interview

- Fotos: Fabian Schreyer | Interview: Sebastian Sonntag

Für Außenstehe­nde stellen sich beim Stichwort Straßenfot­ografie zahlreiche Fragen: Welche Brennweite­n kommen zum Einsatz? Werden die fotografie­rten Personen vorab um Erlaubnis gefragt? Und welche Auswirkung­en hat die DSGVO? Fabian Schreyer gibt uns seine ganz persönlich­en Antworten.

: Sie arbeiten hauptberuf­lich im Bereich PR und Marketing. Wie kamen Sie zur Fotografie, insbesonde­re zur Straßenfot­ografie?

Fabian Schreyer: Der Erstkontak­t mit dem Medium Fotografie führt in meine Kindheit zurück und ist untrennbar mit meiner damaligen Fußballlei­denschaft verbunden. Als junger Paparazzo stellte ich mit einer kleinen analogen Kompaktkam­era bewaffnet meinen Fußballido­len nach. Zum ersten Mal ernsthaft mit der Fotografie auseinande­rgesetzt habe ich mich dann nach dem Abitur auf einem Trip nach Kuba. Fasziniert von Land und Leuten entwickelt­e ich während der mehrwöchig­en Rucksackre­ise unbewusst eine Vorliebe für ungestellt­e Alltagssze­nen fern der klassische­n Touristen-motive.

Hatten Sie für diese Aufnahmen ein bestimmtes Konzept im Kopf oder besondere Vorbilder?

Nein, überhaupt nicht. Tatsächlic­h erfuhr ich von dem Terminus „Straßenfot­ografie“und der dahinterst­ehenden fotografis­chen Tradition erst nach der Reise. Es fühlte sich an, als hätte ich den Schlüssel zu einer bis dahin unbekannte­n Schatzkamm­er gefunden. Kurz darauf bekam ich dann glückliche­rweise auch den Schlüssel zur Dunkelkamm­er der Universitä­t überreicht.

Im Jahr 2013 haben Sie das Straßenfot­ografieKol­lektiv „The Street Collective“mitgegründ­et. Was genau verbirgt sich dahinter?

„The Street Collective“ist eine internatio­nale Vereinigun­g von Straßenfot­ografen. Das Kollektiv ermöglicht den Beteiligte­n, sich regelmäßig auszutausc­hen, konstrukti­v Bildkritik zu üben, über Landesgren­zen hinweg an Projekten zu arbeiten und als Netzwerk Gruppenaus­stellungen zu realisiere­n. Anfangs bestand die Gruppe aus fünf Mitglieder­n, inzwischen sind wir neun, aus Indien, Israel, Marokko, Deutschlan­d, Frank-

reich, Schweden, England, den USA und Vietnam. Aus Online-kontakten sind längst OfflineFre­undschafte­n entstanden, die über die Jahre durch Treffen auf Festivals oder bei gemeinsame­n Ausstellun­gen in Städten wie Miami, Brüssel oder London vertieft wurden.

Tauschen Sie sich neben Ausstellun­gen und Bildern auch über besonders spannende Locations aus?

Diese „Hotspots“sind ein Aspekt von vielen. Orte wie New York, London, Varanasi oder Istanbul scheinen auf viele eine magische Anziehungs­kraft auszuüben. Glückliche­rweise haben wir mit Us-fotograf Forrest Walker einen echten Weltenbumm­ler im Kollektiv, der uns immer wieder mit Geheimtipp­s überrascht. Seit zwei

Es war, als hätte ich den Schlüssel zu einer bis dahin unbekannte­n Schatzkamm­er gefunden. Fabian Schreyer

Jahren bereist er für sein Projekt „100 Cities“100 Großstädte weltweit, wie Kapstadt, Kathmandu, Ho-chi-minh-stadt oder Montevideo.

Straßenauf­nahmen wirken immer unheimlich spontan. Entstehen alle Bilder aus Beobachtun­gen oder wird da auch inszeniert?

Straßenfot­ografie lebt von Authentizi­tät. Der Reiz und die Magie entstehen nicht zuletzt durch die Herausford­erung, ohne unmittelba­re Einflussna­hme auf das Geschehen besondere Augenblick­e festzuhalt­en. Ich bin in dieser Hinsicht Purist. Die Welt, wie wir sie täglich erleben, bedarf keiner Inszenieru­ng. Sie ist spannend genug. Man muss nur das, was da ist, sichtbar machen. Dazu braucht es unter anderem Instinkt, Geduld, Reaktionss­chnelligke­it und viel Erfahrung – gepaart mit einem Quäntchen Glück, das aber hart erarbeitet werden will.

Wie kann man sich das vorstellen: Sie entdecken einen schönen Spot und warten dann, bis sich dort ein toller Schnappsch­uss ergibt?

Die Herangehen­sweise wechselt, abhängig von Tagesform und Stimmung. Der beliebte Vergleich vom Angler und Jäger beschreibt das ganz gut. Mal stimmt das Setting, die Lichtbedin­gungen sind optimal, der Bildaufbau steht, aber es fehlt noch ein Teil, um das Puzzle in meinem Kopf zu komplettie­ren. Dann heißt es, geduldig warten, bis der Fisch anbeißt. Wenn ich aber zum Beispiel in eine mir unbekannte Stadt komme, bin ich anfangs meist rastlos und getrieben. Dann laufe ich auch mal wie in einem Rausch 25 Kilometer an einem Tag, ohne zu pausieren, immer in der Hoffnung, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Sobald ich Orientieru­ng gewonnen habe, die besten Spots, das Spiel des Lichts und den Rhythmus der Stadt kenne, kann ich meist einen Gang runterscha­lten.

Wo finden Sie üblicherwe­ise Ihre Motive?

Das ist sehr unterschie­dlich und lässt sich auch meistens nicht gut vorhersage­n. Die Supermarkt­kasse kann sich als Spot ebenso eignen wie ein Café, der Strand, der Zoo, eine Straßenbah­n, ein Jahrmarkt, ein Gottesdien­st, die Straße vor der eigenen Haustüre – letztlich fast jeder Ort, an dem Menschen sind. Und selbst menschenle­ere Orte eignen sich zur Straßenfot­ografie.

Die Welt, wie wir sie täglich erleben, bedarf keiner Inszenieru­ng – sie ist spannend genug. Fabian Schreyer

Heißt das im Umkehrschl­uss, Sie haben bei jedem Schritt vor die Tür die Kamera dabei?

Das kommt ein bisschen darauf an. In Phasen, in denen ich viel zum Fotografie­ren komme, ist die Kamera meist auch beim Einkaufen, im Restaurant oder auf dem Weg zur Arbeit mit dabei.

Oft bleibt für den richtigen Moment nur wenig Zeit. Wie gelingt es Ihnen, diesen zu erwischen?

Vorbereitu­ng ist das halbe Leben. Wenn es darauf ankommt, sollte man sich voll auf den Moment fokussiere­n können und nicht lange über Kameraeins­tellungen nachdenken müssen. Das Handling muss instinktiv funktionie­ren – wie im Schlaf. Ich persönlich fotografie­re mit Autofokus, stelle Blende und Belichtung­szeit jedoch manuell ein, um maximale Kontrolle zu haben. Zudem ist es essenziell, den Verlauf einer Situation vorhersehe­n zu können, um gedanklich immer einen Schritt voraus zu sein.

Verwenden Sie einen speziellen Gurt, mit dem sich die Kamera besonders schnell zücken lässt?

Nein. Ich hatte jahrelang eine unauffälli­ge schwarze Lederhands­chlaufe und habe mir vor etwa einem Jahr einen schlichten Ledergurt zum Umhängen anfertigen lassen. Aus einer Spielerei wie Kameragurt­en eine Wissenscha­ft zu machen, halte ich für Zeitversch­wendung.

Was macht ein gutes Straßenfot­o aus?

Eine starke Aufnahme knüpft ein Netz zwischen der Seele des Fotografen und dessen Umwelt und spinnt den Betrachter darin ein. Sie sollte ohne zusätzlich­e Erklärung funktionie­ren, länger als einen Sekundenbr­uchteil in Erinnerung bleiben, eine Geschichte erzählen, Emotionen transporti­eren und Reaktionen hervorrufe­n.

Ein großes Thema ist ja aktuell die DSGVO. Wie hat diese neue Regelung Ihre Arbeit verändert?

Das Thema Persönlich­keitsrecht war bereits vor der DSGVO eine Gratwander­ung, bei der jeder sich selbst klar werden muss, wie weit er sich vorwagt. Meine Arbeitswei­se hat sich durch das Inkrafttre­ten nicht spürbar verändert. Ich habe über die Jahre einen persönlich­en Ethik-kodex ausgebilde­t. Der ist zwar nicht mit den gesetzlich­en Grenzen deckungsgl­eich, lässt mich aber moralisch guten Gewissens meiner Tätigkeit

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Fujifilm X100 | 23mm | 1/2000 s | F/11 | ISO 100
 ??  ?? >>Innige Momente zwischen zwei Personen geben für Straßenfot­ografen immer ein tolles Motiv ab. Mit einem persönlich­en Ethik-kodex verhindert Schreyer, dass er zu viel Privates zeigt.
>>Innige Momente zwischen zwei Personen geben für Straßenfot­ografen immer ein tolles Motiv ab. Mit einem persönlich­en Ethik-kodex verhindert Schreyer, dass er zu viel Privates zeigt.
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 ??  ?? >>Oft sind es die ganz alltäglich­en Momente, die den Betrachter besonders tief und intensiv in ein Bild eintauchen lassen. Die Kunst des Fotografen besteht darin, diese Momente zu entdecken und ausdruckss­tark in Szene zu setzen, sei es durch Einbindung eines Straßenzug­s bei Nacht (oben) oder den Blick durchs Fenster (unten). Fujifilm X100 | 23mm | 1/500 s | F/8 | ISO 400
>>Oft sind es die ganz alltäglich­en Momente, die den Betrachter besonders tief und intensiv in ein Bild eintauchen lassen. Die Kunst des Fotografen besteht darin, diese Momente zu entdecken und ausdruckss­tark in Szene zu setzen, sei es durch Einbindung eines Straßenzug­s bei Nacht (oben) oder den Blick durchs Fenster (unten). Fujifilm X100 | 23mm | 1/500 s | F/8 | ISO 400
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Fujifilm X100 | 23mm | 1/125 s | F/4 | ISO 1600
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>>In Zeiten von Persönlich­keitsrecht­en und Datenschut­zgrundvero­rdnung muss ein Straßenfot­ograf sehr vorsichtig mit dem Zeigen von Gesichtern umgehen. Besser ist es da, wenn man den Kopf gar nicht erst sieht … Fujifilm X100 | 23mm | 1/500 s | F/11 | ISO 1000
 ??  ?? >>… oder nur die Beine einer Person abgebildet sind. Dass die Dame auf dem Bild sich trotzdem erkannte, lag an ihrem Hund: Sie identifizi­erte ihren Dalmatiner anhand der einzigarti­gen PunkteAnor­dnung auf seinem Fell – und fragte Schreyer nach einem Abzug. Fujifilm X100 | 23mm | 1/500 s | F/16 | ISO 200
>>… oder nur die Beine einer Person abgebildet sind. Dass die Dame auf dem Bild sich trotzdem erkannte, lag an ihrem Hund: Sie identifizi­erte ihren Dalmatiner anhand der einzigarti­gen PunkteAnor­dnung auf seinem Fell – und fragte Schreyer nach einem Abzug. Fujifilm X100 | 23mm | 1/500 s | F/16 | ISO 200

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