Mensch im Bild
Kaum ein anderes kann den Betrachter so für sich einnehmen wie ein Porträt. Damit eine inszenierte Porträtaufnahme beeindruckt und fesselt, muss jedoch so einiges zusammenpassen – von der perfekten Pose über die passende Ausleuchtung bis hin zu einer wirkungsvollen Komposition. In diesem großen Praxisspezial liefern wir Ihnen wertvolle Tipps für starke Porträts und haben Profis wie Sacha Leyendecker und Nina Schnitzenbaumer gefragt, wie sie arbeiten.
Seit jeher gehört der Mensch zu den spannendsten und gleichzeitig herausforderndsten Motiven der Fotografie. Denn neben perfekter Kameratechnik, harmonischer Bildgestaltung und passender Lichtsituation gilt in der Porträtfotografie vor allem eins: ein Bild mit Ausdruck, Tiefe und Charakter einzufangen.
In diesem großen Praxisspezial erhalten Sie wertvolle Tipps rund um das Thema Mensch im Bild – angefangen mit dem Umgang mit der Person vor der Kamera über die perfekte Ausrüstung und Ausleuchtung bis hin zur Bildgestaltung. Zudem schenken Ihnen fünf Porträtfotografinnen und -fotografen einen Einblick in ihre Arbeit und erzählen im Interview, wie Sie sowohl mit Kunstlicht als auch mit natürlichem Licht ausdrucksstarke Porträts gestalten.
Der Mensch im Mittelpunkt
Ein beeindruckendes Porträt lebt vor allem von einem: der Person vor der Kamera, dem Model. Hierbei geht es jedoch nicht um Schönheit, sondern um die Fotogenität und den Ausdruck des Models. Und ob es dem Fotografen gelingt, den perfekten Moment im Bild einzufangen und eine vertrauensvolle Basis zwischen sich und dem Model zu schaffen. Denn fühlt sich die Person vor der Kamera nicht wohl, wird kein gutes Porträt entstehen können.
Der Schlüssel zu einem gelungenen Porträt liegt also vor allem darin, mit dem Model zu interagieren und eine Verbindung aufzubauen. Um das Eis zu brechen, sollten Sie sich deshalb anfangs mit Ihrem Gegenüber unterhalten. So lernen Sie sich besser kennen, was für eine lockere Stimmung während der Aufnahmen sorgt. Witze und etwas herumalbern sind auch gut, um natürlich wirkende Posen zu erhalten. Dies alles funktioniert aber nur, wenn Sie Ihre Kamera aus dem Effeff beherrschen. Je leichter Ihnen die technischen Einstellungen von der Hand gehen, desto mehr Zeit haben Sie, um sich mit der Person vor der Kamera intensiv auseinanderzusetzen. Sollten Sie grundsätzlich etwas länger brauchen, um mit fremden Menschen warm zu werden, lohnt es sich, mit Freunden oder Familienmitgliedern zu üben. Denn ohne die Fähigkeit, auf Ihr Motiv einzugehen, wird es schwer werden, gute Porträts zu erzielen.
Fühlen Sie sich mit mehr Übung in der Praxis dann sicher genug, um auch Menschen außerhalb Ihres Freundes- und Bekanntenkreises zu fotografieren, oder haben Sie eine Bildidee im Kopf, für die Sie einen ganz bestimmten Typ Mensch benötigen, geht es an die Modelsuche. Doch wie findet man Models? Ein einfacher und ebenso effektiver Weg, um neue Gesichter vor die Kamera zu bekommen, können Ihre Kontakte in den sozialen Netzwerken darstellen. Haben Sie Ihre Porträts zum Beispiel bereits auf Facebook oder Instagram geteilt, und dadurch möglicherweise schon Aufmerksamkeit und neue Follower gewonnen, können Sie ganz einfach über
einen Post nach frischen Gesichtern für Ihr Portfolio suchen. Beschreiben Sie in diesem, was für eine Art von Shooting Sie planen, welchen Typ Model Sie dafür suchen und fügen Sie eines Ihrer Porträts oder auch eine Collage bei, um Ihre bisherige Arbeit zu zeigen.
Eine zusätzliche Möglichkeit, um Models zu finden, stellen Online-modelkarteien wie www.model-kartei.de oder www.pixolum.com dar. Bei beiden dieser Plattformen ist die Anmeldung kostenlos – Sie müssen lediglich ein Profil anlegen und können dann in einem großen Pool aus Models schöpfen. Die Online-kartei www.model-kartei.de wendet sich hierbei eher an Nutzer, die die Fotografie als Hobby betreiben. Hierbei geht es vor allem darum, TFP-SHOOtings („Time-for-prints-shootings“) zu vereinbaren und seine Kenntnisse zu erweitern. Die Plattform www.pixolum.com hingegen stellt eine Mischung aus Community und Vermittlung für bezahlte Fotojobs dar. Über die Plattformen lassen sich auch Visagisten und Stylisten für Fotoshootings finden und buchen.
Apropos: Spätestens seit die neue Datenschutz-grundverordnung, kurz DSGVO, der Europäischen Union gilt, sollten Sie sich vor jedem Shooting mit einem Dsgvo-konformen ModelRelease-vertrag absichern und umfassende Einwilligungen der fotografierten Person einholen.
Die Ausrüstung
Das Gute an der Porträtfotografie ist, dass Sie nicht zwingend eine große Ausrüstung dafür benötigen – ein lichtstarkes Objektiv und natürliches Sonnenlicht können bereits ausreichen, um schöne Porträts zu schießen. Auch hinsichtlich der Kamerawahl stehen Ihnen alle Optionen offen. Selbst mit älteren Modellen werden Ihnen gute Fotos gelingen. Allerdings bietet die höhere Auflösung neuerer Modelle mehr Spielraum bei der Bearbeitung und ermöglicht großformatigere Abzüge.
Bei der Wahl des Objektivs sollten Sie dafür etwas genauer hinschauen. Für den Kauf eines Objektivs ist zunächst das Bajonett entscheidend. Der nebenstehende Auszug unserer Bestenliste beweist: Gute Porträt-objektive müssen nicht teuer sein. Für bereits 189 Euro bietet Sigma ein empfehlenswertes Objektiv für MicroFourthirds- und Aps-c-kameras mit Sony E-mount an. Achten Sie beim Kauf auch auf eine möglichst große Offenblende, um Ihr Motiv harmonisch freistellen zu können. Außerdem gilt: Je mehr Brennweite das Objektiv bietet, umso einfacher gelingt ein schönes Bokeh. Mit wenig Brennweite lassen sich hingegen lebendigere und dreidimensionalere Fotos kreieren. Viele Hersteller haben mehrere 50mm- und 85mm-objektive im Angebot. Wer hier auf etwas Lichtstärke und Ausstattung verzichtet, kann viel Geld sparen. Ausstattung wie ein integrierter Bildstabilisator oder ein schneller Autofokus runden das Gesamtpaket eines Porträtobjektivs ab. Natürlich können Sie auch mit Zoomobjektiven
tolle Porträts erstellen. Allerdings bieten Festbrennweiten meist eine höhere Auflösung und Lichtstärke als Zoomobjektive. Festbrennweiten schulen zudem die Bildgestaltung und fördern die Kreativität: Statt zu zoomen, muss sich nun der Fotograf bewegen und sein Model in den perfekten Ausschnitt bringen, wie auch Fotografin Nora Scholz im Interview auf Seite 67 erzählt. Probieren Sie es bei Ihrem nächsten Porträtshooting doch einmal aus und beschränken Sie sich nur auf eine Brennweite. Der Lerneffekt ist enorm.
Im richtigen Licht
Egal, ob natürliche oder künstliche Lichtquelle – bei der Ausleuchtung von Motiven wird grundsätzlich zwischen zwei Lichtarten unterschieden: hartem und weichem Licht. Während hartes Licht deutliche Schatten mit klaren und scharfen Begrenzungen wirft, entstehen beim Arbeiten mit weichem Licht eher sanfte Schatten mit diffusen Kanten. Möchte man also eine Person porträtieren, bedeutet dies, dass die Wahl der Lichtart einen starken Einfluss auf die Wirkung des Porträts hat. Allgemein gilt, dass eine Person mit weichem Licht vorteilhafter abgelichtet wird als mit hartem. Unebenheiten, Unreinheiten oder Falten fallen durch den geringen Schattenwurf von weichem Licht nicht so sehr auf und werden durch die gleichmäßigere Ausleuchtung gemindert. Porträtiert man eine Person hingegen bei eher hartem Licht, werden die Strukturen der Haut wie zum Beispiel Falten betont. Hartes Licht wird deshalb gerne für Charakterporträts eingesetzt oder um Akzente zu setzen oder den Hintergrund auszuleuchten.
Porträts im Studio
Das A und O guter Porträtaufnahmen im Studio ist die korrekte Ausleuchtung mit künstlichen Lichtquellen, zum Beispiel mit Systemblitzen. Viele Kameras sind mit einem integrierten Blitz ausgestattet. Doch zum kreativen Arbeiten reicht dessen Leistung oft nicht aus. Dann sind externe Systemblitze die erste Wahl (s. Tipps ab Seite 48). Sie liefern mehr Power und mehr Freiraum. Im Vergleich zu aufsteckbaren Systemblitzen bieten Studioblitzgeräte einige Vorteile: Sie ermöglichen eine größere Kontrolle über die Belichtung, sie sind viel leistungsstärker und die Steuerung der Blitzintensität gibt Ihnen die volle Kontrolle über die Schärfentiefe, so dass Sie bestimmte Elemente in kreativer Unschärfe verschwimmen lassen können. Zudem beeinflussen Sie damit die Lichtqualität. So können Sie entscheiden, ob das Blitzlicht mit Hilfe von verschiedenen Aufsätzen direkt und hart oder zerstreut und weich einfallen soll ( siehe auch Lichtformervergleich auf Seite 62 und 63). Wenn Sie entfesselt blitzen, Ihr Blitz also nicht im Blitzschuh der Kamera eingesteckt ist, müssen Sie die Kamera über ein Synchronkabel mit dem Blitz verbinden. Solche Kabel ermöglichen Ihnen eine schnelle und sichere Signalübertragung. Wenn Sie Ihren Blitz noch weiter weg von der DSLR, zum Beispiel hinter Ihrem Model, zu positionieren planen, greifen Sie zu einem Funkauslöser – der Funksender wird am Kamerablitzschuh befestigt, der Empfänger am Systemblitz. Möchten Sie mehrere Blitzköpfe gleichzeitig verwenden, wird der eine, der auch mit der Kamera verbunden ist, als Hauptlichtquelle, das heißt, als Master eingestellt, die restlichen sind Slave-blitze. Im Menü weisen Sie jedem einzelnen Blitzgerät seine Rolle zu. Die Slave-lichtquellen benötigen keine Extra-verbindung zur DSLR. Sobald das Master-gerät auslöst, nehmen sie über Sensoren sein Licht als Startsignal wahr. Im Menü jedes Geräts justieren Sie seine Blitzleistung nach, bis Sie mit dem Bildergebnis zufrieden sind.
Porträts mit natürlichem Licht
Wie erwähnt, muss die Menschenfotografie nicht immer mit aufwendigen Mitteln verbunden sein. Bereits mit vorhandenem Licht lassen sich gelungene und besonders natürliche Porträts erzielen, wie auch die Bildbeispiele von Nora Scholz ( Seite 67), Sacha Leyendecker (Seite 69) und Nina Schnitzenbaumer (Seite 71) zeigen.
Beim Fotografieren mit natürlichem Licht gilt es, die Wirkung des Lichts zu den unterschiedlichen Tageszeiten zu beachten sowie die Bewölkung am Himmel. Grundsätzlich gilt es zum Beispiel, helles Sonnenlicht zur Mittagszeit eher zu meiden. Durch dieses entstehen in der Regel tiefe Schatten um Nase und Augen, die meist unschön wirken. Sind Sie jedoch bereits unterwegs oder haben eine Bildidee im Kopf, die das harte Licht der Mittagssonne erfordert, können Sie die Schatten im Gesicht zur Not mit einem silbernen oder goldenen Reflektor aufhellen.
Das beste Licht für Porträts hingegen erhalten Sie an bewölkten, grauen Tagen. Hierbei sollten Sie jedoch darauf achten, den Himmel nicht im Bildausschnitt abzubilden – für eine gleichmäßige und schöne Ausleuchtung des Motivs eignet sich ein grauer Himmel wunderbar, als Teil des Motivs jedoch eher weniger.
Möchten Sie Ihre Porträts im Freien in eine besonders stimmungsvolle Szenerie hüllen, so eignet sich das warme und weiche Licht der goldenen Stunde kurz vor Sonnenuntergang besonders gut. Vor allem im Gegenlicht lassen sich hierbei Bildergebnisse erzielen, die von natürlichen Farben, weichen Kanten, einem hohen Kontrastumfang sowie stimmungsschaffenden Lichteinbrüchen geprägt sind. Beim Fotografieren im Gegenlicht sollten Sie Ihr Model so positionieren, dass es die Sonne leicht verdeckt und somit leuchtende Lichtstrahlen und -säume entstehen. Da Gegenlichtaufnahmen ein Maximum an Helligkeitsunterschieden besitzen, sollte auf jeden Fall im Raw-format fotografiert werden: So