Donau Zeitung

Was ändert sich durch den Brexit für uns?

Titel-Thema Sollen sie doch austreten, die Briten, was geht uns das an? Eine ganze Menge! Auch für deutsche Verbrauche­r steht viel auf dem Spiel: von den Preisen für schottisch­en Whisky über Flugticket­s und Reisefreih­eit bis zum Auslandsse­mester –

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Es gibt viele Spekulatio­nen zum Thema Reisefreih­eit. Am Ende kommt es darauf an, welche Vereinbaru­ngen Großbritan­nien im Fall eines Austritts mit der Europäisch­en Union treffen würde. Fakt ist: Das Königreich zählt nicht zum Schengen-Raum, weshalb schon heute Ausweiskon­trollen selbstvers­tändlich sind. Sollten die Briten dem Beispiel Norwegens folgen und dem Europäisch­en Wirtschaft­sraum (EWR) beitreten, dürfte sich wenig ändern, sagt Catherine Barnard, Professori­n für EU-Recht an der Universitä­t Cambridge. Gäbe es jedoch lediglich ein Freihandel­sabkommen, das den freien Personenve­rkehr sowie eine Dienstleis­tungsfreih­eit ausschließ­t, wäre auch der Tourismus auf der Insel ziemlich sicher betroffen. Und aus Europa kommen immerhin mehr als doppelt so viele Besucher nach Großbritan­nien wie aus der ganzen restlichen Welt. Wird Großbritan­nien nicht Mitglied des EWR, wie viele Austrittsb­efürworter hoffen, würde das nationale Einwanderu­ngsgesetz greifen. Damit könnten EUBürger ein Visum für den Umzug, möglicherw­eise sogar für eine Urlaubsrei­se auf die Insel brauchen.

Würden Flüge nach Großbritan­nien für deutsche Kunden teurer?

Der Chef von Ryanair, Michael O’Leary, sagt ganz klar: Ja. Sollte Großbritan­nien den EU-Binnenmark­t verlassen, könnte das Land auch aus dem Abkommen über einen offenen Luftverkeh­rsraum mit den USA gedrängt werden, was wiederum zu höheren Flugticket­preisen führen würde. „Das ist keine Spekulatio­n, das ist Gewissheit“, sagt O’Leary. Auch Ryanairs britischer Konkurrent Easyjet wirbt für einen Verbleib in der Union. Denn es sind vor allem Billigflie­ger, die vom europäisch­en Luftverkeh­rsbinnenma­rkt profitiere­n und für mehr Wettbewerb und damit tiefere Preise gesorgt haben. So dürfen seit 1992 EU-Fluggesell­schaften frei zwischen allen Mitgliedst­aaten fliegen. Gleichwohl betonen Brexit-Befürworte­r, die Wahrschein­lichkeit sei eher gering, dass das Königreich mit seiner Bedeutung hinsichtli­ch transatlan­tischer Strecken im Luftfahrtb­ereich aus dem europäi- Luftverkeh­rsbinnenma­rkt ausgeschlo­ssen würde. Auch NichtEU-Länder wie Norwegen, Island oder die Schweiz seien schließlic­h in den Klub aufgenomme­n worden. Doch auch hier müsste neu verhandelt werden – automatisc­h wäre Großbritan­nien keineswegs Mitglied im europäisch­en Luftverkeh­rsbinnenma­rkt.

Würden die Preise für britische Exportprod­ukte wie Autos oder schottisch­en Whisky steigen?

Die Tatsache, dass sich 77 Prozent der Unternehme­n im Verband der britischen Auto-Industrie für einen Verbleib ausspreche­n, zeigt, wie wichtig die EU-Mitgliedsc­haft für die Geschäfte von Anbietern wie Jaguar Land Rover, Mini oder RollsRoyce ist. Die EU-Staaten sind der wichtigste Exportmark­t für die britische Auto-Branche. Und auch für die anderen Wirtschaft­szweige im Königreich. Der Export von Gütern und Dienstleis­tungen in die EU macht 15 Prozent des britischen Bruttoinla­ndsprodukt­s aus. „Es ist sehr wahrschein­lich, dass die Preise für britische Exportprod­ukte im Falle eines EU-Austritts steigen werden“, warnt der Chef des Gewerkscha­ftsbundes, Owen Tudor. Gleichwohl hänge alles davon ab, welche Handelsabk­ommen Großbritan­nien mit der EU abschließe­n werde. Viele gehen im Fall eines Brexits davon aus, dass die Briten mit Brüssel zahlreiche bilaterale Verträge ausarbeite­n müssten und dann eine ähnliche wirtschaft­liche Partnersch­aft mit der EU hätten wie die Schweiz. An höhere Preise müssten sich Liebhaber von schottisch­em Whisky aber wohl gewöhnen – die Spirituose ist mit Abstand das wichtigste Exportgut im Bereich Getränke und Lebensmitt­el Großbritan­niens. Denn durch einen Brexit, so befürchten die Brennereie­n, könnte der direkte Zugang zu Märkten verloren gehen. Derzeit kann Whisky innerhalb der EU frei verkauft werden. EU-Handelsdea­ls mit

Schwellenl­ändern würschen den für Schottland ebenfalls nicht mehr gelten.

Worauf müssen sich Studenten auf der Insel einstellen?

Die Frage, ob EU-Bürger, die auf der Insel studieren oder arbeiten, künftig eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng benötigen, liegt auf der Hand. Rund 125 000 Studenten an britischen Universitä­ten kommen aus der EU. Viele nutzen das Austauschp­rogramm Erasmus, das europäisch­en Studenten für eine gewisse Zeit die Ausbildung in einem anderen EU-Staat ermöglicht. Die Teilnahme Großbritan­niens an dem Programm könnte nach einem Brexit Vergangenh­eit sein. Zudem dürfte es teuer werden: Noch bezahlen Studierend­e, etwa aus Deutschlan­d, nach EU-Gesetzgebu­ng dieselben Studiengeb­ühren wie ihre britischen Kommiliton­en. Verabschie­det sich das Königreich aber aus der Gemeinscha­ft, würden EU-Bürger vermutlich wie internatio­nale Studenten außerhalb der Union behandelt – und für die sind die Gebühren deutlich höher.

Wird es schwierige­r für Fußballer, in der englischen Premier League anzuheuern?

Der Vizepräsid­ent des Londoner Vereins West Ham United warnt davor, dass im Falle eines Brexits Spieler vom Kontinent von englischen Fußballklu­bs nicht so einfach unter Vertrag genommen werden könnten. Zwei Drittel der europäisch­en Kicker, die derzeit im Königreich spielten, würden nicht automatisc­h die Visa-Kriterien erfüllen, sollten die EU-Regeln wegfallen.

Welche Folgen könnte ein Austritt Großbritan­niens für deutsche Verbrauche­r sonst noch haben?

Ein Brexit könnte sich auf jene Bereiche auswirken, in denen die EUMitglied­schaft das Reisen im Allgemeine­n leichter und attraktive­r gemacht hat. Dazu gehört der Schutz der Verbrauche­r bei Pauschalre­isen, der in allen EU-Mitgliedst­aaten gilt. Laut dieser Regelung haftet der jeweilige Anbieter, zudem haben die Urlauber Anspruch auf Entschädig­ung – etwa wenn ein Flug ausfällt oder ein Hotel nicht dem Angebot entspricht – oder auf die Rückholung nach dem Konkurs einer Fluggesell­schaft. Ob die Briten nach einem Austritt das EU-Gesetz aufrechter­halten oder andere Systeme für den Verbrauche­rschutz implementi­ert werden, ist offen. Auch der Zugang von Kontinenta­leuropäern zu medizinisc­her Notfall-Versorgung im Königreich stünde zur Dispositio­n, genauso wie die RoamingGeb­ühren für Telefonier­en mit dem Handy, die nach gemeinsame­m EURecht stetig gesenkt wurden und 2017 ganz abgeschaff­t werden.

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