Ein Rädchen in der Mordfabrik
Die Schuld des Wachmanns Hanning
Detmold Seine Vergangenheit als Auschwitz-Wachmann hätte Reinhold Hanning am liebsten unter Schweigen begraben. Doch sie hat ihn eingeholt. Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende spricht ihn das Landgericht Detmold der Mordbeihilfe in 170000 Fällen für schuldig, fünf Jahre Haft lautet das Urteil.
Sichtlich aufmerksam lauscht der greise Angeklagte den Worten der Vorsitzenden Richterin Anke Grudda. Bis zum Ende der Urteilsbegründung bleibt der 94-Jährige gefasst. Immer wieder spricht ihn die Richterin an: „Mit Ihrer Wachtätigkeit haben Sie für einen reibungslosen Ablauf der Tötungsmaschinerie gesorgt.“. Er sei ein Rädchen in der industriellen Vernichtung gewesen, „Rückgrat der Wachmannschaft“. Er habe den Tod in den Gaskammern, die Erschießungen, das Verhungern lassen und die Misshandlungen der Häftlinge zumindest billigend in Kauf genommen. Als SSMann mit Befehlsgewalt sei er aber nicht nur bloßer Mitwisser.
„Dass ein deutsches Gericht seine Schuld anerkennt, ist für mich das Ende eines Kapitels, ein wichtiger Schritt für Gerechtigkeit“, sagt William Glied, Jude aus Toronto. Als kleiner Junge entkam er nur knapp dem KZ. Nebenklägeranwälte nennen das Urteil eine Korrektur jahrzehntelangen Justizversagens. „Endlich wird eine historische Selbstverständlichkeit, nämlich die Mitschuld der Wachleute, als solche anerkannt“, sagt Anwalt Cornelius Nestler.
Elf Zeitzeugen haben in Detmold mit ihren persönlichen Geschichten dem Horror von Auschwitz Gesicht und Stimme gegeben. Sie schilderten Gewalt und Willkür der SS-Leute. Sie erzählten von der Todesangst. Sie beschrieben ihren Hunger und ihre Verzweiflung, wenn sie von ihren Eltern und Geschwistern getrennt wurden.
Dafür gebe es keine angemessene Strafe, räumt Grudda ein, fügt aber hinzu: „Wir können und wir dürfen ihn nicht symbolisch für alle Taten des Holocaust zur Rechenschaft ziehen.“Florentine Dame, dpa