Der schwäbische Allein-Brauer
Bier-Serie (Teil 5) Fast scheint die Idylle in Meßhofen perfekt. Clemens Kolb stellt Märzen und Weißbier her. Seine Frau kümmert sich um die Wirtschaft. Wer ihnen das Leben schwer macht
Meßhofen Es muss wunderbar für einen Unternehmer sein, die Familie ernähren und jedes Jahr etwas investieren zu können. Clemens Kolb ist dazu in der Lage. Der Braumeister mit den kurzen, ins Grau gehenden Stoppelhaaren, Lederhose, Lederweste und Haferlschuhen steht im Sudhaus. Ein gemütlicher Typ, einer, zu dem man sich gerne an einen der blank gescheuerten Holztische seines Wirtshauses setzt. Einer, mit dem sich herrlich über Bier, Polizei, Bürokraten, das Leben reden lässt. Clemens Kolb ist ein SoloBrauer. Er macht alles selbst.
Nur beim Flaschenabfüllen helfen seine Frau und viele Verwandte mit. Dann kommen sie alle in dem alten Bauernhaus mit den grün gestrichenen Fensterläden zusammen und packen an, wenn bernsteinfarbenes Märzen und süß-fruchtiges Weißbier in die Bügelflaschen fließen. Mehr Biersorten gibt es in der Brauerei in Meßhofen nicht. In dem kleinen Ort, der nahe des Klosters Roggenburg im Landkreis NeuUlm liegt, sind Wirtshaus und Brauerei der Familie Kolb der Haupt-Anziehungspunkt. Hier lässt sich unter Kastanienbäumen im Biergarten das Leben genießen. Fast wähnt sich der Gast, nicht weit von Baden-Württemberg entfernt, in Oberbayern. Doch die Frau von Clemens Kolb, die für die Wirtschaft zuständig ist, sagt nicht „Brotzeit“, sondern „Vesper“. Der Hausherr selbst, der auch am Chiemsee eine perfekt-gestandene Brauerfigur abgeben würde, greift eben zum schwäbischen „Noi“und nicht zum oberbayerischen „Na“.
Diesem Clemens Kolb entwischt öfters mal ein „Noi“. Er ist ein eigenständiger Kopf, der schon seit 1992, als er vom Vater die Brauerei übernommen hat, an einem bewusst reduzierten Konzept festhält. Sein unfiltriertes, weder pasteurisiertes noch stabilisiertes, eben naturbelassenes Bier gibt es nicht in Getränkemärkten. „Sechs Wochen ist es frisch, so lange schmeckt es am besten“, sagt er. Manche Kolb-Freunde kommen bis von Augsburg und Stuttgart angefahren, um sich den Gerstensaft zu holen. Dann bringen sie leere Kästen mit und holen neue. Das ist bis auf wenige Gaststätten die einzige Chance, an den Stoff zu kommen. Ein radikales Vermarktungskonzept, eben Bier ab Hof. Es funktioniert. Die Kolbs haben drei Kinder und führen die Ein-MannBrauerei in fünfter Generation. Die Geschichte der Sudstätte reicht bis 1841 zurück. Bis heute ist der Betrieb unabhängig, weil genug Menschen bereit sind, der Familie 17 Euro für einen Kasten zu zahlen.
Clemens Kolb, 55, und seine ein Jahr jüngere Frau Margit haben ihre eigene Management-Philosophie: „Wir halten an unsere WohlfühlGröße fest und wollen nicht wachsen.“Ein entschleunigender Satz in einer auf mehr und immer mehr dressierten Volkswirtschaft. Dazu das Gefühl der Freiheit. Wenn Clemens Kolb „etwas widerstrebt“– was schon mal vorkommt –, sagt er „Noi“zu einem Geschäft.
Seine Frau setzt sich jetzt auch an den Tisch in der Stube. Sie hat Holz in den Ofen gelegt und sagt zu ihrem Mann: „Du machst Bier mit Herzblut. Das ist dein Baby.“So sind die beiden in ihrer Beschränkung auf das Wesentliche Vorreiter zweier Trends. Ob Wurstsalat oder saurer Käs: Was Margit Kolb an Vespern zubereitet, entspricht der Philosophie der Slow-Food-Bewegung, also guter, sauberer, fair hergestellter, regionaler und wohlschmeckender Lebensmittel. Die Minimalisten aus Meßhofen leben den Slow-FoodGedanken, ohne es an die große Glocke zu hängen. Ähnlich verhält es sich mit den in Deutschland immer populärer werdenden CraftBieren. Die Welle ist aus den USA über den Atlantik geschwappt. Nachdem in Amerika die Bierbranche von wenigen Riesen beherrscht wurde, regte sich Geschmackswiderstand. Junge Menschen fingen an, in Garagen individuelleres Bier zu brauen. Dabei steht Craft für nichts anderes als ein mit der Hand gefertigtes Produkt. Handwerkliches Bier bereiten Clemens Kolb und seine Vorfahren seit jeher zu. Der Ein-Mann-Brauer kann sich die Anmerkung nicht verkneifen: „Wir haben Craft-Bier gemacht, als es den Namen noch nicht gab.“Die MiniBrauerei profitiert jetzt vom Craftbier-Trend. Die Nachfrage nach dem Meßhofener Bier steigt.
Clemens Kolb beugt sich nun zurück und sagt: „Bei uns ist alles echt, es muss echt sein, damit man es verkaufen kann.“Wenn jetzt noch sein Sohn, der mit 17 den Beruf des Braumeisters erlernt, den Betrieb übernimmt, wird alles wunderbar. Die Welt von Meßhofen könnte ganz und gar heil sein, ein IdylleAuftankort für gestresste Städter.
Aber natürlich ist die Welt auch nicht im Schatten des Klosters Roggenburg von Ärger befreit. Sonst würde Clemens Kolb „nicht mehr alles runterschlucken“, wie er betont. Der Brauer wäre auch nicht im Bayerischen Fernsehen bei der WutSendung „Jetzt red i“aufgetreten. Was ihm das Leben manchmal schwer macht, sind „übereifrige Polizisten, die im Umkreis der Wirtschaft allzu konsequent Alkoholsünder aufzuspüren versuchen“. Das drückt auf den Bierumsatz. Richtig widerstreben ihm aber Bürokraten, die einer Mini-Brauerfamilie das Leben schwer machen. Besonders ärgerte Kolb ein Kontrolleur, der eine Bügelflasche aus einem Kasten herauszog und monierte, dort stünde „Hacker-Pschorr“und nicht seine Marke drauf. Das dürfe nicht sein.
Auch musste er einmal Etiketten für 500 Euro wegwerfen, weil auf der Zutatenliste an erster Stelle nicht – wie vorgeschrieben – Brauwasser, sondern Gerstenmalz verzeichnet war. „Wir schwimma nit im Geld“, schimpft er und meint, „dass die, welche das Land umtreiben, gegängelt werden“. In solchen Momenten verlässt Kolb die Gelassenheit. Seine Backen röten sich. Er
Clemens Kolb will nicht mehr alles schlucken
klopft mit der Hand auf den Tisch. Der Brauer findet jedoch schnell wieder zur inneren Ruhe: „Mit meiner Lederhose setz ich mich dann aufs Moped und fahr los.“Oder er erzählt die Geschichte von seiner Bahnfahrt zum Oktoberfest, wo eine Frau ihn fragte, wo er denn herkomme. „Aus Meßhofen.“Die Bekanntschaft meinte: „Dort, wo es das gute Bier gibt.“Clemens Kolb grinst über das ganze Gesicht.
Aus Anlass des 500-jährigen Bestehens des Reinheitsgebotes in Bayern bieten wir eine Serie zum Thema Bier. Unsere Redakteurinnen und Redakteure versuchen den Geheimnissen des Gerstensaftes in der Region auf die Spur zu kommen. Diese Bier-Geschichten aus Schwaben und Oberbayern ranken sich um interessante Menschen, die mit Innovationen – ob im Marketing oder dank neuer Rezepturen – das Produkt für die Zukunft interessant machen.