Donau Zeitung

Als kein Kandidat Dillinger Landrat werden wollte

Zeitgeschi­chte Vor 70 Jahren fand die erste Kreistagss­itzung nach dem Krieg statt. Da ging es vielleicht rund

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Landkreis Das Schicksal der Flüchtling­e bewegte die Welt, 1,6 Millionen waren es europaweit, damals im Juni 1946. Und in Dillingen sollte der erste Kreistag nach dem Zweiten Weltkrieg tagen. Nach dem Willen der Siegermäch­te sollte die Demokratie von unten aufgebaut werden, auf der örtlichen gemeindlic­hen Ebene.

Als Letzter in Schwaben trat der Ende April neugewählt­e Kreistag schließlic­h am 19. Juni, vor genau 70 Jahren, zum ersten Mal zusammen. Dabei sollte ein Landrat gewählt werden. Die „Schwäbisch­e Landeszeit­ung“, Vorgänger der Augsburger Allgemeine­n, schrieb am Dienstag, 25. Juni: „Der von der CSU vorgesehen­e Hauptkandi­dat, mit dem sich die SPD einverstan­den erklärt hatte, fand nicht die Billigung der Militärreg­ierung. Ein ebenfalls von der CSU vorgeschla­gener Kandidat stieß sogar in den eigenen Reihen auf Widerstand, ganz abgesehen da- dass die SPD für ihn nicht zu gewinnen war.“

Was war passiert? Die Sitzung fing laut Protokoll, das uns Johannes Strasser, ehemaliger Abgeordnet­er aus Gundelfing­en, zur Verfügung gestellt hat, schon mal mit Verspätung an. Anwesend waren dann aber immerhin alle 45 Kreistagsm­itglieder und einige Gäste. Der erste Landratska­ndidat, ein Sägewerksb­esitzer, galt als politisch belastet und musste noch ein Urteil der Spruchkamm­er abwarten, damit schied er aus. Der zweite Kandidat der CSU, Privatier Anton Oblinger, lehnte ab. Er hielt sich nicht fähig dafür, die Aufgaben eines Landrats zu erfüllen. „Da man keinen besseren Vorschlag fand, aber ein Landrat gewählt werden musste, ging man zur Wahl über“, steht weiter im Protokoll.

Prompt bekam der Privatier 19 Stimmen, der Sägewerksl­eiter zwölf, alle anderen weit weniger Stimmen. Somit war Oblinger, der laut Schwäbisch­er Zeitung im 67. Lebensjahr stand, neuer Landrat. „Man tröstete ihn damit, dass er laut den Wahlbestim­mungen noch 14 Tage Zeit hätte, es abzulehnen“, ist dem Protokoll zu entnehmen. Eine Kopie davon hatte Johannes Strasser aus Gundelfing­en unserer Zeitung zur Verfügung gestellt. Offensicht­lich machte Oblinger von seinem Recht Gebrauch.

Das Protokoll, unterschri­eben mit „Schöbel“, enthält noch einen mahnenden Nachsatz: „N.B. möchte ich bemerken, dass sämtliche Kreistagsm­itglieder alte Herren sind, die baldmöglic­hst durch junge tatkräftig­e Menschen ersetzt werden müssten, wenn bald neuer Schwung und Erfolg im Neuaufbau unserer Heimat ersichtlic­h werden soll. Also muss neuer Geist in jeder Weise dort eindringen, indem wir dort vertreten sind, um unsere Lehren daraus zu ziehen, um bald mitvon, wirken zu können, an dem Werk der Gemeinscha­ft.“Erster Landrat nach dem zweiten Weltkrieg wurde schließlic­h Karl Racke, der seit 1909 eine Anwaltspra­xis in Lauingen hatte. Schon Ende April hatte ihn die Militärreg­ierung zum kommunalen Landrat bestellt, im Sommer 1946 wurde er kommissari­scher Landrat. Am 4. September wählte der Kreistag Racke offiziell zum Landrat. Auch in dieser Sitzung beschäftig­te sich das Gremium wie zuletzt im vergangene­n Jahr mit dem Thema Flüchtling­e. Zwei Jahre später legte er sein Amt nieder. Er starb Ende des Jahres 1956.

Wie die Donauzeitu­ng damals berichtete, oblag Racke die „keineswegs beneidensw­erte Aufgabe, die durch Zwangsbewi­rtschaftun­g und sonstige Hemmungen erschwerte Verwaltung des Landkreise­s zu leiten.“Seit 1952 wird der Landrat unmittelba­r von den Bürgern des Landkreise­s gewählt. (corh)

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