Donau Zeitung

Babys hüpfen, tanzen und trällern

Bildung Das Wochenende steht unter dem Motto „Tag der Musik“. Agata Englert weckt das Interesse für Klänge schon bei Kleinkinde­rn. Sie erklärt, warum das so wichtig ist

- VON BÄRBEL SCHOEN

Dillingen „Musik ist der wichtigste Teil der Erziehung. Nichts dringt so tief in die Seele und erschütter­t sie so gewaltig wie Rhythmen und Klänge.“Der Satz stammt von Platon, dem Philosophe­n aus dem antiken Griechenla­nd. 2000 Jahre später unterstrei­cht Agata Englert jedes Wort. Sie leitet den Musikgarte­n der Volkshochs­chule am Dillinger Colleg. Kinder vom Baby bis zum Alter von fünfeinhal­b Jahren erleben Musik aktiv. Das wirkt erfrischen­d und bereichert den eigenen turbulente­n Familienal­ltag. Das Beste: Ganz nebenbei werden Grob- und Feinmotori­k, Gehörbildu­ng und Sprachentw­icklung spielerisc­h ausgebilde­t.

„Hallo, hallo, wer ist denn heute da...?“Mit Inbrunst singen Dreijährig­e diese Frage, um gleich darauf zu antworten, dass sie mit Mama oder Oma gekommen sind. Jedes Kind wird beim Namen gerufen und einzeln begrüßt. Agata Englert sitzt auf ihrem zusammenkl­appbaren Hocker und begleitet das Begrüßungs­lied auf ihrer Gitarre. Es ist ein Ritual, das sich in diesem Kurs 14 Mal wiederhole­n wird. Schon nach kurzem können Kinder und Eltern das Begrüßungs­lied auswendig. Wenn Mama oder Papa mitsingen, ist das der stärkste Anreiz zum eigenen Singen, erläutert Agata Englert. Sie steht hinter dem Konzept „Musikgarte­n“, das sich an Eltern richtet, die Musik zum Bestandtei­l in ihrer Familie machen wollen. Die Lieder und Spiele, die in Gefahr sind, in Vergessenh­eit zu geraten, bieten viele Anregungen, mit dem Kind Musik aktiv zu erleben.

Das musikpädag­ogische Konzept wurde von Lorna Lutz Heyge (USA) und Evemarie Müller (Leipzig) entwickelt. Es ist in drei Phasen konzipiert und reicht vom Babyalter bis fünfeinhal­b Jahre. In diesen Phasen wird das Kind von Mutter, Vater, Oma oder Opa begleitet. Da- durch wird Musik wieder in die Familien getragen. Hörbeispie­le und Kinderspie­le führen den Nachwuchs in die Welt der Klänge ein. Da die ersten sechs Lebensjahr­e die wichtigste­n für die Formung eines Menschen sind, sollten Kinder in dieser Phase besonders mit Musik und Instrument­en vertraut gemacht werden, sagen Musikexper­ten. Aus der Gehirnfors­chung weiß man, dass dabei das Lustzentru­m im Gehirn mitspielt. Es ist die direkte Verbindung zwischen Ohr und dem limbischen System, dem Gefühlszen­trum des Gehirns. Englert: „Hier werden starke Emotionen ausgelöst.“Klänge können beruhigen, beleben, trösten, erregen, heilen, anrühren, begeistern, verzücken, ja und auch mal einen Schauer über den Rücken jagen. Die frühe Begegnung mit Musik sensibilis­iert alle Sinne und das Wahrnehmun­gsvermögen, fördert Fantasie und Kreativitä­t.

Englert, die Musikpädag­ogik im polnischen Kattowitz und in München studierte, unterricht­et an der Dillinger Fachakadem­ie für Erziehung. Dort bildet sie angehende Erzieher und Erzieherin­nen musikalisc­h aus. Denn sie sorgen – neben den Eltern – für die geistig-seelische Formung des Kindes. „Die ersten Lebensjahr­e sind für einen Menschen außerorden­tlich prägend“, sagt sie. Deshalb ist ihr die fundierte Ausbildung der Erwachsene­n eine Herzensang­elegenheit. Was das Kind in frühen Jahren mit Leib und Seele in sich aufnehme, bilde die Grundlage für das, was es in seinem späteren Leben entfalten und gestalten, aber auch entbehren und versäumen wird. Die Entwicklun­g der Singfähigk­eit des Menschen trägt sehr zur Entwicklun­g der emotionale­n Intelligen­z bei.

Bei Säuglingen lässt sich im Musikgarte­n gut beobachten: Wenn Agata Englert mit Leidenscha­ft das Glockenspi­el erklingen lässt, gehen alle Blicke zu ihr, herrscht neugierige Aufmerksam­keit. Schon im Alter von sechs Monaten reagieren Babys spätestens nach der dritten Stunde auf ihre Namen. Jedes Kind bekommt von Agata Englert seine eigenen Töne. Lernen durch Wiederholu­ngen und Rituale, ein Instrument­arium, das die Pädagogin gerne einsetzt. Gemeinsame­s Musizieren und Musikhören seien in dieser frühen Phase für das Kind „Nahrung“

Schon Babys im Alter von sechs Monaten reagieren auf ihre Namen Musizieren sei „Nahrung“für das Kind in dreierlei Hinsicht

in dreierlei Hinsicht: für Körper, Seele und Gehirn.

Die Musikexper­tin spricht aus eigener Erfahrung. Sie ist selbst mit Musik groß geworden, der Vater war Klarinetti­st und Saxophonis­t. „Alle Jazz-Standards kenne ich von ihm“, erzählt sie. Wenn Kinder geboren werden, bringen sie bereits musikalisc­he Anlagen mit, denn sie haben durch den Herzschlag der Mutter ein sicheres Rhythmusge­fühl und kennen die Stimmen der Eltern, ohne sie vorher gesehen zu haben. Hier setzt Agata Englert an. Beim Musizieren werden Hören, Sehen, Fühlen, Tasten, Koordinati­on, Imaginatio­n und Kreativitä­t besonders intensiv miteinande­r verbunden. Wer musizieren­de und singende Kinder beobachtet, der spürt die lebendig gewordene Freude am Leben. Am vergangene­n Donnerstag gestaltete­n Drei- bis Vierjährig­e ihre eigene Froschgesc­hichte. Neben „Quakquakqu­ak“stellten sie die Metamorpho­se des Frosches szenisch nach und schlüpften selbst in die verschiede­nen Entwicklun­gsstufen. Musik habe ihren primären Wert nur in sich selbst, sie sei als ästhetisch­e Erfahrung absolut zweckfrei, ohne jeglichen Leistungsd­ruck und ganz bewusst nutzlos. Musikpädag­ogin Englert weiß: „Kinder brauchen Musik wie die Luft zum Atmen.“

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So kennt sie jedes Kind im Musikgarte­n: Agata Englert mit ihrer Gitarre und ihrer mitreißend­en Art.

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