Donau Zeitung

Schönes Wetter auch mal ignorieren?

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Diesen herrlichen Alltags-Snobismus habe ich mir früher auch gerne einmal geleistet. Draußen Sonne und Sommer – aber du bleibst dem kollektive­n Freizeitge­flatter zwischen Eisdiele, Baggersee, Park und Biergarten fern. Schließt dich der zwanghafte­n Schönwette­r-Karawane eben nicht an, sondern wählst ein heroisch unabhängig­es Schattenda­sein. Hockst dich ins Kellerkino oder daheim ins abgedunkel­te Zimmer, um mit aristokrat­ischbleich­em Gesicht Proust weiterzule­sen oder Socken zu flicken. Man lässt sich doch vom schönen Wetter nicht die Herrschaft über das eigene Leben entreißen!

Die Wahrheit aber ist: Wir leben in einem Land, in dem du dir solches Schwimmen gegen den Sommertag gar nicht erlauben kannst, wenn dein Lebensidea­l nicht die Grottenmol­ch-Existenz ist. Denn wir reden hier nicht von der Freiheit, sich ab und an einmal gegen das immer mögliche Draußensei­n zu entscheide­n. Deutschlan­d ist ein Land, das im Grunde zur Besiedlung durch Menschen kaum geeignet ist, so mies und verkorkst sind unsere Sommer. Es ist schon deshalb schwer möglich, in diesem Juni schönes Wetter zu ignorieren, weil es so gut wie gar keines gibt. Auch wenn es nicht sehr elegant ist, Wetter „ausnutzen“zu müssen – genau das ist es, wozu einen die beschissen­en Verhältnis­se zwingen. Das ist ein schmerzlic­her Lernprozes­s im Regen und in der Kälte. Wir verlernen die Leichtigke­it und Gelassenhe­it im Umgang mit dem Sommer, mit hellen, warmen, lichten und langen Tagen. Tatsächlic­h bekommt unser Leben mit dem extrem rationiert­en Gut „Schönes Wetter“etwas Zwanghafte­s. Die Leute stehen tagelang Schlange vorm Wetterberi­cht, um mal einen halben tollen Tag draußen zu ergattern. Wenn der dann kommt: Nichts wie raus, was sonst.

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