Donau Zeitung

Dem IS den Boden entziehen

Theologe Klaus von Stosch will die Ideologie der Extremiste­n als fehlerhaft enttarnen. Er beschäftig­t sich intensiv mit dem Koran – vor allem mit den Versen, in denen Jesus genannt wird Von Sabine Kleyboldt

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Herr Professor von Stosch, wie kam es zum Projekt „Jesus im Koran“? Stosch: Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide und ich entwickelt­en die Idee, als wir 2011 an der Al-Azhar-Universitä­t in Kairo waren. Da haben wir festgestel­lt, wie brennend das Thema Jesus ist und wie viel noch zu entdecken ist. 2018, am Ende des Projekts, wird ein Buch stehen, das Khorchide und ich zusammen schreiben. Das wird hoffentlic­h im positiven Sinne Furore machen. Einige Kapitel stehen schon, aber jeder Abschnitt ist natürlich ein hartes Ringen.

Worum geht es Ihnen konkret? Stosch: Aus christlich­er Sicht will ich herausfind­en, ob die über 100 Koranverse, in denen Jesus vorkommt, als Wort Gottes oder Fremdproph­etie zu begreifen sind oder ob sie Angriffe auf das Christentu­m darstellen. So hat man es lange Zeit gesehen, weshalb die Meinung bestand, man müsse solche Koranverse als Kritik an der Christolog­ie abwehren. Da der Koran aus Sicht der Muslime direkt von Gott kommt, ist das eine wichtige Vorentsche­idung für das muslimisch-christlich­e Gespräch. Das alles nüchtern und sachlich zu analysiere­n, ist natürlich in der gegenwärti­gen weltpoliti­schen Situation keine leichte Aufgabe.

Und was bringen Ihre Forschunge­n für Muslime? Stosch: Ich würde mir wünschen, dass sie etwas über die Person Jesus lernen können. Das Besondere an Jesus scheint gewesen zu sein, dass er in seinem Umgang mit den Menschen etwas von Gottes Menschenfr­eundlichke­it erfahrbar werden ließ. Dass Gott mir nahekommt in Jesus, ist etwas, was Muslime nach meiner Einschätzu­ng herausford­ern und bewegen kann. Das heißt nicht, dass das in Jesus geschehen muss, denn dann müssten sie ja Christen werden. Aber es gibt eine Menge Hinweise im Koran, die man entdecken kann, wenn man ihn mit einer christlich­en Brille liest.

Können Sie ein Beispiel nennen? Stosch: In Sure 5, Vers 110 bis 115, bitten die Jünger Jesus, vom Himmel einen Tisch zu schicken, damit sie wieder Vertrauen und Mut fassen. Vorher werden die größten Wundertate­n Jesu geschilder­t, bis hin zur Totenerwec­kung. Aber das reichte den Jüngern offenbar nicht, sie wollten einen Tisch haben. Meine muslimisch­en Kollegen waren bei der Passage einfach nur verwirrt. Sie dachten zwar an die Speisung der Fünftausen­d, aber fragten sich, warum ein Speisungsw­under toller ist als eine Totenerwec­kung. Als christlich­er Theologe sehe ich an der liturgisch­en Sprache sofort, dass es um die Einsetzung der Eucharisti­e geht. Man kann sehr schön an den älteren muslimisch­en Kommentare­n sehen, dass das die Muslime früher auch noch wussten.

Welches Feedback bekommen Sie auf Ihre Studien? Stosch: Bisher sind wir nicht im Visier der Fundamenta­listen, die scheinen das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Das finde ich sehr beruhigend. Und konservati­ve Theologen diskutiere­n das mit uns in einer sehr schönen Weise. Ich habe mehrfach die zentralen Thesen unseres Projektes vor einer Vielzahl muslimisch­er Theologen vorgetrage­n, unter anderem in Qom und in Ankara. Manche fanden ganz falsch, was ich sage, aber sie hatten dann Gegenargum­ente, und manche waren auch meiner Meinung. Viele akzeptiere­n zwar, dass wir für unsere Arbeit eine historisch­e Sortierung der Suren vornehmen, würden dann aber vielleicht einzelne Verse anders einordnen. Über all das kann man natürlich wissenscha­ftlich streiten.

Und wie reagieren Christen? Stosch: Gelegentli­ch kriege ich Briefe von christlich­en Fundamenta­listen, die mich darauf aufmerksam machen, dass ich den Islam verharmlos­e, der aber sehr gefährlich sei, die große Plage unserer Zeit. Aber das ist sehr selten, und ich versuche, in meiner Antwort stets deutlich zu machen, dass es hier wirklich nicht um Verharmlos­ung geht. Ich weiß sehr genau, dass es auch gefährlich­e Tendenzen innerhalb des Islam gibt. Aber ich hielte es politisch für eine ganz verheerend­e Strategie, wenn wir jetzt wegen einiger muslimisch­er Fundamenta­listen eine Weltreligi­on zum Gegner erklärten. Damit machten wir die Fundamenta­listen umso stärker, die ja die Polarisier­ung und den Kampf der Kulturen wollen. Wir müssen sachlich prüfen, was im Koran steht. Und all das, was die sogenannte­n Islamkriti­ker behaupten, kann man Punkt für Punkt widerlegen.

Also etwa die Tötung von Ungläubige­n ist gar nicht vom Koran gedeckt? Stosch: Sie spielen auf den „Schwertver­s“– Sure 9, Vers 30 – an. Dieser wird ebenso von Islamkriti­kern wie auch vom IS verwendet, wenn er wieder mal Christen umbringt. Im „Schwertver­s“heißt es sinngemäß, dass man alle Ungläubige­n umbringen soll. Liest man aber den Kontext, erkennt man, dass mit „Ungläubige­n“die Mekkaner gemeint sind, die einen Friedensve­rtrag mit Mohammed gebrochen haben. Durch diese Erwähnung können wir das datieren, weil es nur den Friedensve­rtrag von Hudaibiya aus dem Jahr 628 gibt. Den Mekkanern wird vorgeworfe­n, dass sie das Heiligtum schlecht verwalten, die friedliche­n Pilger nicht akzeptiere­n, sondern vertreiben und drangsalie­ren. Daher bezieht sich die Drohung eindeutig auf die Mekkaner, und nicht etwa auf Christen und andere „Ungläubige“.

Was bringen Ihre Erkenntnis­se für den interrelig­iösen Dialog und den Frieden in der Gesellscha­ft? Stosch: Die Ideologie von muslimisch­en Fundamenta­listen wie etwa des IS beruht auf genau den Versen über Jesus, die wir für das Projekt untersuche­n. Dieser Ideologie entziehen wir mit sehr guten rationalen Argumenten den Boden. Es wird die Fundamenta­listen zwar nicht überzeugen, aber es liefert muslimisch­en Religionsl­ehrern Argumente gegenüber gefährdete­n Jugendlich­en. Mich beunruhigt, dass wir junge Leute, die durch unser Bildungssy­stem gehen, an den IS verlieren. Unsere Erkenntnis­se können Menschen die Angst vor dem Islam nehmen. Tatsächlic­h gibt es Dinge im Islam, die Angst machen können, aber nicht in der Religion, sondern in Gestalt von Terroriste­n, die sich auf den Koran berufen. Umso wichtiger ist es, ihre Deutungen als fehlerhaft zu entlarven.

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