Die Angst vor einer Eskalation im Osten
Spannungen Wer provoziert: die Nato oder Russland? SPD-Politiker ruft nach Stoppsignal. Röttgen (CDU): Putin muss Aggression beenden
Augsburg Spitzt sich die Lage in Osteuropa an der Nahtstelle zwischen Nato und Russland bedrohlich zu? Droht am Ende gar ein Krieg? Zwischen den Koalitionsparteien in Berlin wird die Situation zunehmend unterschiedlich beurteilt. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), warnte gestern: „Stationierungsentscheidungen und Militär-Operationen schaukeln sich wechselseitig hoch“, sagte er in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse. „Genau aus solchen Entwicklungen heraus entstehen unkontrollierte Situationen bis hin zum Krieg.“
Diese Sichtweise lehnt der CDUAußenpolitiker Norbert Röttgen rundweg ab. „Mit der Unterstellung der Wechselseitigkeit wird ungleiches Verhalten gleich bewertet“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags unserer Zeitung. In Wahrheit gehe es darum: „Russland will in der Ukraine unter Anwendung militärischer Gewalt Grenzen verschieben. Die Nato-Reaktion kann hingegen von niemandem als Provokation missverstanden werden.“
Auslöser der Debatte war Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der am Wochenende in Zusammenhang mit Nato-Manövern in Osteuropa von „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“geredet hatte. Erler nahm Steinmeier gegen Kritik in Schutz und sagte: „Wir brauchen ein Stoppsignal, bevor es zu spät ist.“Röttgen meint dazu, ein Stopp sei in der Tat nötig, doch müsse es sich um „einen klaren Stopp der völkerrechtswidrigen Aggressionen Russlands in der Ukraine“handeln.
Auf ihrem Gipfel in drei Wochen in Warschau will die Nato auf die Bitten der baltischen Staaten und Polens um mehr Schutz reagieren. Diese fühlen sich durch die Ukrainekrise und die russische Annexion der Krim bedroht. Von 2017 an soll in jedem Land jeweils ein Bataillon mit rund 1000 Soldaten stationiert werden. Die Verteidigungsminister, unter ihnen die deutsche Ressortchefin Ursula von der Leyen (CDU), haben diese Entscheidung kürzlich in Brüssel vorbereitet. Seit 2014 wurden bereits mehr Manöver abgehalten, zudem wird eine schnelle Eingreiftruppe aufgebaut. Gleichzeitig will die Nato den Dialog mit Russland fortsetzen.
Wie einig ist die Bundesregierung in dieser Frage? Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte am Mittwoch gegenüber Polens Regierungschefin Beata Szydlo, zusätzlich zum Dialog sei es notwendig, „den östlichen Teil“der Nato zu stärken. Außenminister Steinmeier relativierte inzwischen seine Äußerungen. Im Bundestag machte er Russland dafür verantwortlich, dass heute ein „tiefer Riss durch Europa“gehe, und bekannte sich ausdrücklich zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft der Nato. Dies dürfe aber nicht bedeuten, allein auf militärische Sicherheit zu setzen.
Angesichts dieser Äußerungen attestiert der Parlamentarier Röttgen der Regierung, dass sie „eindeutig, klar und kohärent“agiert. „Allerdings“, so schränkt er ein, „reden manche anders, als sie selbst handeln. Das erzeugt Verwirrung sowohl bei unseren europäischen Nachbarn als auch in Moskau.“
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte der Nato vorgeworfen, sie erhöhe ihre „aggressive Rhetorik und ihre aggressiven Aktionen in der Nähe unserer Grenzen“. Russland müsse deswegen seine Militärkapazitäten weiter ausbauen.
Der Befehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, General Ben Hodges, wies dagegen auf die militärische Überlegenheit Moskaus in Osteuropa hin. Russland, so sagte er der Wochenzeitung Die Zeit, könnte die baltischen Staaten „schneller erobern, als wir dort wären, um sie zu verteidigen“.