Donau Zeitung

Gewinner und Verlierer des britischen Dramas

Brexit Auch wenn das endgültige Ergebnis erst heute bekannt wird: Wer von dem erbitterte­n Streit in Großbritan­nien profitiert hat und wessen politische Karriere beendet ist, stand schon vorher fest

- VON KATRIN PRIBYL

London Die Briten haben sich entschiede­n. Und auch wenn das Endergebni­s erst heute Vormittag feststehen wird, steht der größte Verlierer schon fest: Er heißt David Cameron. Der Premier hat mit seiner Entscheidu­ng, ein Referendum anzusetzen, alles aufs Spiel gesetzt. „Ohne Not“heraus, so monieren Beobachter, habe er gezockt, um die rebellisch­en Europa-Skeptiker in der eigenen konservati­ven Partei zu beruhigen. Sie fordern seit Jahren zumindest eine harte Hand gegenüber Brüssel, am liebsten gleich den Austritt aus der Union. Der Premier wollte mit der Volksabsti­mmung die interne EU-Frage lösen, die seit Jahrzehnte­n bei den Tories schwelt. Zudem dachte Cameron, er könne auf diese Weise den Aufstieg der rechtspopu­listischen Unabhängig­keitsparte­i Ukip bremsen. Das Ergebnis: Heute sind die EU-Feinde so stark wie nie.

Cameron hat den EU-Feinden Schützenhi­lfe geleistet, indem er leichtfert­ig versprach, die Zahl der Einwandere­r auf unter 100 000 Menschen pro Jahr zu drosseln. Im Jahr 2015 kamen aber mehr als 330000, was die Austrittsb­efürworter als Beweis anführen, die Regierung habe keine Kontrolle über die eigenen Grenzen. Niemand im poli- tischen Betrieb Londons sieht für den Premier eine Zukunft – egal, wie das Ergebnis heute aussieht.

Camerons prominente­ster Gegenspiel­er im EU-Drama war Boris Johnson. Er gehört in jedem Fall zu den großen Gewinnern. Der frühere Bürgermeis­ter Londons, von Natur aus Clown, Schauspiel­er und grandioser Selbstverm­arkter, hatte im Februar einigermaß­en überrasche­nd verkündet, er schlage sich „schweren Herzens“auf die Seite der „Brexiteers“. Der Auftritt war perfekt orchestrie­rt und inszeniert. Seitdem kämpfte der brillante Rhetoriker ein bisschen für den EU-Austritt, aber vor allem für sein eigenes Ziel, und das heißt „Nummer 10 Downing Street“, der Amtssitz des britischen Premiers. Johnson ist ein Opportunis­t und vom Ehrgeiz getrieben. Sein Ton wurde im Laufe der Brexit-Debatte zunehmend garstig, scharf und zynisch. Er empörte mit HitlerVerg­leichen und warb mit verdrehten Tatsachen. Oder er bog sich die Wahrheit eben in seinem Sinne zurecht. Gefährlich sei er, warnen Wegbegleit­er. Doch dem „Leave“Lager verlieh der Wortführer Profil, obwohl ihm Kollegen immer wieder mit Beweisen vorwarfen, er sei keineswegs ein EU-Gegner, habe das Lager aus reinem politische­n Kalkül gewählt, um gegen Cameron anzutreten. All das prallte an „Boris“ab. Fakt ist: Der nächste Vorsitzend­e der Tories wird nicht von der Bevölkerun­g, sondern von der konservati­ven Parteibasi­s bestimmt. Und die besteht in überwältig­ender Mehrheit aus EU-Skeptikern. Sie dürften den Wahlkampf von Johnson mit Wohlwollen beobachtet haben. Selbst bei einem Verbleib in der EU winkt ihm in der gespaltene­n Partei zumindest ein Ministerpo­sten.

Der neue Labour-Chef Jeremy Corbyn hat dagegen viel Ansehen eingebüßt. Lange fragten sich die Briten, ob der Altlinke überhaupt die Linie seiner Partei gegen einen Brexit verfolgte. Er habe sich nicht ausreichen­d und überzeugen­d für die Sache eingesetzt, hieß es. Und selbst als er in den Wahlkampf einstieg, nahm man dem Sozialiste­n, der in der Vergangenh­eit vor allem durch seine Kritik an der Gemeinscha­ft aufgefalle­n ist, einfach nicht ab, dass er plötzlich im Sinne Brüssels Werbung machte. Londons neuer Bürgermeis­ter Sadiq Khan kritisiert­e den Labour-Chef scharf und festigte seine Position als alternativ­e Stimme bei den Sozialdemo­kraten. Der 45-Jährige warb mit Leidenscha­ft für die Mitgliedsc­haft in der EU, traf den richtigen Ton der LabourAnhä­nger, verbreitet­e eine positive Botschaft und stellte sich sogar in einer TV-Debatte Boris Johnson, den er für seine Art des Wahlkampfs scharf attackiert­e. Die Briten feierten Khan daraufhin über die Parteigren­zen hinweg. Manche sehen ihn bereits als neuen Spitzenkan­didaten in der Labour-Partei.

Lange sah auch Nigel Farage, Chef der rechtspopu­listischen Ukip, wie ein Sieger aus. Obwohl er außer bei den Europawahl­en nie Erfolg hatte, war der ständige Druck seiner Partei ausschlagg­ebend dafür, dass Cameron sich zu einem Referendum hinreißen ließ. Doch in den vergangene­n Monaten sorgte Farage immer wieder für Empörung für seine als rassistisc­h geltende Polemik. Kommt es zum Brexit, wird das nicht ihm zugeschrie­ben. Bleibt es beim Status quo, wird ihm die Schuld gegeben.

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