Donau Zeitung

Erdogan schimpft

Türkei Präsident droht mit Volksbefra­gung nach dem Vorbild des Brexit-Referendum­s

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Eine große Begeisteru­ng für die EU kann man dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierung schon lange nicht mehr nachsagen. Doch nun geht der 62-Jährige angesichts des Visastreit­s und des Krachs mit Deutschlan­d wegen der ArmenierRe­solution des Bundestage­s noch einen Schritt weiter. Passend zum Brexit-Referendum denkt Erdogan laut über eine Volksabsti­mmung der Türken über Abbruch oder Fortsetzun­g der Beitrittsv­erhandlung­en nach – ein Austritt ohne Beitritt sozusagen.

Klagen aus Ankara über die zögerliche bis ablehnende Haltung der Europäer zur türkischen Beitrittsb­ewerbung sind nichts Neues. Gerne schimpft Erdogan über die Europäer, die das muslimisch­e Land aus religiösen Vorbehalte­n nicht aufnehmen wollten. Jetzt könne die türkische Regierung das Volk zur EU befragen, so wie dies auch in Großbritan­nien geschehe, sagte Erdogan. „Da werden wir fragen: ‚Sollen die Verhandlun­gen mit der Europäisch­en Union weitergehe­n oder nicht?‘ Wenn das Volk ‚Weiter‘ sagt, dann machen wir weiter.“

Ein Grund für die Verärgerun­g des Präsidente­n ist die Haltung der EU in der Visafrage. Der Brüsseler Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker erneuerte dieser Tage die Forderung, Ankara müsse alle Kriterien für die Aufhebung der Visapflich­t erfüllen, auch die Änderung der Anti-Terror-Gesetze.

Juncker verstehe nichts von den Türken, schimpfte Erdogan. Die Türkei beherberge drei Millionen Flüchtling­e, dagegen zeige Europa sein „hässliches Gesicht“, wenn Zuflucht suchende Menschen an seinen Grenzen auftauchte­n. Der Präsident erneuerte zudem seine Drohung, massenhaft Flüchtling­e aus der Türkei nach Europa zu schicken.

Erdogan geht heute weiter als bei Streitfäll­en in der Vergangenh­eit. Trotz aller Probleme im türkischen Beitrittsp­rozess galt für Ankara bisher stets der Grundsatz, dass die Türkei nicht derjenige sein werde, der die Verhandlun­gen beendet. Nun zieht Erdogan diese Möglichkei­t zum ersten Mal in Betracht.

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