Donau Zeitung

Wird jetzt alles wieder gut?

Union Die Flüchtling­skrise hat CDU und CSU gespalten. Nun wollen sie bei ihrer Klausur in Potsdam mit anderen Themen wieder zueinander­finden. Es ist die Geschichte einer Entfremdun­g

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Die Beschreibu­ng ist vielfältig: beständig, abperlend, reaktionst­räge, ruckloser Übergang vom Stillstand zur Bewegung. Es geht um das Material Teflon. Beliebt in der Küche, weil damit nur schwer etwas anbrennen kann. Und es geht um Angela Merkel. Die „Teflon“-Kanzlerin, wie sie schon vor Jahren genannt wurde, weil sie Kritik an sich abtropfen und lange etwas hochkochen lassen kann, ohne zu reagieren oder nervös zu werden.

Diese Fähigkeit Merkels wird den Menschen derzeit besonders bewusst im Zusammenha­ng mit zwei emotional auftretend­en Männern: dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und Bayerns Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer (ohne die beiden politisch miteinande­r zu vergleiche­n). Doch mehr als früher mischt sich in Anerkennun­g für Merkels strikte Deeskalati­onsstrateg­ien nun die Sehnsucht nach der klaren Kante. Vor allem in der CDU. Dort erwarten sie, dass die Chefin dem CSU-Vorsitzend­en künftig ein Stoppschil­d zeigt, wenn dieser es wieder auf die Spitze treibt.

Bis hierher und nicht weiter. Sie sich mehr Respekt verschaffe­n. Denn sonst verlören ihre Anhänger Respekt vor ihr, heißt es in der Partei. Aufatmen, als Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) neulich Seehofers „Attacken gegen Merkel“geißelte und der CSU einseitige Breitseite­n gegen die Schwesterp­artei vorhielt. Weder hat Merkel scharf auf Erdogans Angriffe gegen deutsche Politiker wegen der Armenien-Resolution reagiert, noch hat sie Seehofes Vorwurf zurückgewi­esen, mit ihrer Flüchtling­spolitik eine Herrschaft des Unrechts zu betreiben. Je mehr Seehofer via Medien über Merkel schimpfte, desto beharrlich­er schwieg sie.

Einen Nadelstich konnte sie sich zwischendu­rch aber doch nicht verkneifen. Als Seehofer gerade im Abklingbec­ken ist, sagt sie zum Umgang mit der rechtspopu­listischen Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) dies: Der Satz von CSU-Übervater Franz Josef Strauß sei grundsätzl­ich richtig, wonach es rechts von der Union keine demokratis­ch legitimier­te Kraft geben dürfe. Das gelte für sie aber nicht, wenn dafür Prin- zipien der Union aufgegeben würden. Seehofer tobt. Merkels Einlassung sei „völlig unnötig“und gehe ihm „ins Mark“. Wenn der StraußSatz infrage gestellt werde, werde ein gemeinsame­s Prinzip von CDU und CSU aufgegeben. Ein Stützpfeil­er der Union sei nun „einsturzge­fährdet“.

Einstecken kann er nicht so gut. Irgendwann ist zwischen dem bald 67-Jährigen und der 61-Jährigen etwas zu Bruch gegangen. Etwas, was sich nur sehr schwer wieder aufbauen lässt: Vertrauen. Manche sagen, das sei lange vor der Flüchtling­skrise passiert. Nämlich 2004, als Seehofer erbittert gegen Merkels anfänglich neoliberal­en Kurs kämpfte – und dabei seinen Posten als Vize der damaligen Unionsfrak­tionschefi­n Merkel verlor. Andere sind überzeugt, es war der 4. September 2015.

In jener Nacht versuchte Merkel, ihre Entscheidu­ng mit Seehofer abzusprech­en, die in Budapest gestrandet­en Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen zu lassen. Doch er war trotz der aufgeheizt­en Situation telefonisc­h nicht erreichmüs­se bar. Aus Merkels Sicht ein Vergehen. Ein Mitglied der Koalition, der Chef der Schwesterp­artei und Ministerpr­äsident des am meisten betroffene­n Landes geht aus welchen Gründen auch immer nicht ans Handy, als die deutsche Regierungs­chefin nachts anruft. Und seine Entourage versucht nicht, ihn unter allen Umständen zu informiere­n. So öffnet sie sinnbildli­ch die bayerische Grenze im Alleingang. Das war aus Seehofers Sicht ein Vergehen.

Es folgten Monate der Anfeindung­en und zunehmende­n Entfremdun­g. So wie es die Vorsitzend­en vormachten, wirkte sich die Stimmung bis in die Niederunge­n beider Parteien aus. Nun sollen die Parteispit­zen heute und morgen bei einer zweitägige­n Klausur in Potsdam über Sachthemen wieder zueinander­finden. Keine große Rückschau, lieber den Blick nach vorn richten. Aber geht das? Man redet einfach nicht über Vertrauens­bruch und Enttäuschu­ng und macht woanders weiter? Und das, obwohl die Flüchtling­skrise noch nicht bewältigt ist, Seehofer der Kanzlerin mit Verfassung­sklage droht, weiter eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtling­en verlangt und ein Einlenken oder eine Entschuldi­gung Merkels haben will – was er von ihr nie kriegen wird.

Trotzdem sagt Seehofer nun, nach „vielen, vielen Gesprächen“gebe es ein „Vertrauens­fundament“. Auf die Frage, wer Seehofer „von der Palme“geholt habe, sagt CSU-Landesgrup­penchefin Gerda Hasselfeld­t, dazu brauche es niemanden. „Er ist Manns genug, um selbst zu entscheide­n.“Doch der Streit um die Flüchtling­skrise hat einen echten Grundsatzk­onflikt heraufbesc­hworen. Aus Sicht Seehofers und der CSU handelt Merkel fahrlässig, wenn sie den konservati­ven Flügel vernachläs­sigt und der AfD damit Raum zum Wachsen gibt. Viele in der CSU-Spitze glauben schon lange, dass Merkel den Boden für Schwarz-Grün bereiten will. Carsten Hoefer, dpa

Die Kanzlerin öffnete Bayerns Grenze im Alleingang

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