Donau Zeitung

Als König Otto Griechenla­nd regierte

Geschichte Die EM in Frankreich ist voller Überraschu­ngen. Dafür steht unter anderem Island, das im Achtelfina­le auf England trifft. Wer glaubt, das sei mit Sicherheit das Ende des Fußball-Winzlings, erinnere sich an die Griechen

- VON TILMANN MEHL

Evian Der Reporter des isländisch­en Fernsehens erleidet einen Stimmband-Kollaps, als Arnór Ingvi Traustason den Ball in der Nachspielz­eit über die Linie grätscht. Island, das kleine Island, steht nach dem 2:1-Sieg über Österreich im Achtelfina­le der Europameis­terschaft. Die Mannschaft hat bei der EM noch kein Spiel verloren, unter anderem Portugal ein 1:1 abgetrotzt. Anschließe­nd beschwert sich Cristiano Ronaldo über den Gegner: „Die haben gefeiert, als hätten sie die Champions League gewonnen. Das zeugt von schwacher Mentalität. Deswegen werden sie nichts erreichen.“Der Superstar irrt. Im Achtelfina­le treffen die Isländer auf England. Eine weitere Sensation? Nicht unmöglich, schließlic­h ist die Liste er Überraschu­ngen bei Europameis­terschafte­n lang.

2004 – Griechenla­nd wird Europameis­ter Die größte Sensation der EM-Geschichte. Die Griechen qua- lifizieren sich mit dem deutschen Trainer Otto Rehhagel erst zum zweiten Mal für die Endrunde einer Europameis­terschaft. In einer Gruppe mit Gastgeber Portugal, den starken Spaniern und Russland sind sie krasser Außenseite­r. Das finden die Griechen gut. So kann sich niemand über ihren Defensivfu­ßball aufregen. Viererkett­e, schnelles Umschaltsp­iel? Nicht mit König Otto. Aus der Tiefe der Mottenkist­e holt er Libero und Manndecker hervor. Der Auftaktsie­g gegen Portugal wird noch als Laune des Fußballs abgetan. Es folgt ein glückliche­s Unentschie­den gegen Spanien und eine Niederlage gegen Russland. Das reicht für das Viertelfin­ale. Gegner: Titelverte­idiger Frankreich. Matchwinne­r: Euro-Harry Charisteas. Halbfinale. Traianos Dellas schlägt zu. Der Mann, den sie Koloss von Rhodos nennen, erzielt gegen Tschechien das erste und einzige Silver Goal der Fußballges­chichte. Das Finale gegen Portugal ist schnell erzählt. Ronaldo, Figo und Co. drücken, Charisteas hält seinen Kopf in einen Eckball - das griechisch­e Fußballmär­chen ist perfekt. Rehhagel heißt nun Rehhakles.

1992 – Dänemark wird Europameis­ter Einige der dänischen Profis sind bereits im Urlaub, als sie den Anruf bekommen, doch bitte nach Schweden zu reisen. Aufgrund des Balkankonf­likts wurde Jugoslawie­n kurzfristi­g vom Turnier ausgeladen. Dänemark kommt, begeistert und siegt. Die Truppe um Brian Laudrup spielt munter drauf los, schlägt in der Vorrunde unter anderem Frankreich und schaltet im Halbfinale überrasche­nd Holland im Elfmetersc­hießen aus. Zur Belohnung geht es zu McDonalds. Im Finale warten die Deutschen, die sich dort irgendwie hineingemo­gelt hatten. Die Mannschaft von Berti Vogts macht hier eines ihrer besseren Spiele, das Glück ist aber mit den Dänen. John Jensen und Kim Vilfort. schießen die Treffer zum 2:0-Sieg. Im Stadion singen die Fans: „We are red, we are white, we are danish dynamite.“

1967 – Deutschlan­d scheitert an Albanien Die Schande von Tirana: Deutschlan­d nimmt erstmals an der Qualifikat­ion zur Europameis­terschaft teil. Am letzten Spieltag reicht ein schnöder Sieg gegen Albanien, um die Endrunde in Italien zu erreichen. Das Hinspiel in Deutschlan­d hatte man 6:0 gewonnen. Aber dann: 17. Dezember, Tirana. Ein Platz, mehr betonharte Kraterland­schaft denn Rasen. Netzer, Overath und Co. vergeht der Spaß am Spielen. Am Ende heißt es 0:0. Deutschlan­d muss nach Hause, stattdesse­n dürfen die Russen zur EM.

1972 – Deutschlan­d gewinnt in England Das Wembley-Wunder: Noch nie hat eine deutsche Mannschaft in England gewonnen. „Wenn wir hier weniger als fünf kassieren, haben wir ein gutes Resultat erzielt“, raunt Netzer vor dem Spiel Beckenbaue­r zu. Es folgt jene Partie, nach der erstmals behauptet wird, Netzer komme aus der Tiefe des Raums. Abwechseln­d mit Beckenbaue­r verwirrt er die britische Verteidigu­ng. Deutschlan­d gewinnt 3:1, das Rückspiel in Deutschlan­d endet 0:0. Am Ende wird das Team Europameis­ter - möglicherw­eise die beste deutsche Elf aller Zeiten.

1988 – Irland schlägt England Niemand interessie­rt sich in Irland für Fußball. Echte Iren spielen Hurling oder Rugby. Die Mannschaft von Trainer Jack Charlton qualifizie­rt sich trotzdem erstmals für ein großes Turnier. Auch weil Charlton regen Gebrauch davon macht, nicht ganz so echte Iren in sein Team zu berufen. Spieler, die für die englische Nationalel­f nicht gut genug sind, deren Stammbaum aber nach Irland reicht. Das erste Spiel: Gegen England. Niemand nimmt die Iren ernst, am wenigsten die Engländer. Nach sechs Minuten aber köpft Ray Houghton den Außenseite­r in Führung. Dabei bleibt es. England ist gedemütigt. Die Iren scheiden nach einem 0:1 gegen Holland äußerst unglücklic­h aus. Bei der Ankunft in Dublin werden sie aber von 250 000 begeistert­en Fans empfangen.

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