Ein Mann mit Gespür für normale Leute Porträt
Michael Müller (SPD) ist über die Grenzen Berlins hinaus relativ unbekannt. Obwohl er der Hauptstadt-Bürgermeister ist und Jahrzehnte im politischen Geschäft
Über dem Ladeneingang an der Ecke Bayernring/Manfredvon-Richthofen-Straße in Berlin-Tempelhof hängt eine einfache weiße Tafel: „Buchdruckerei“steht darauf in Frakturschrift und darunter die Namen „Jürgen & Michael Müller“. Es ist eine der letzten Buchdruckereien in der Hauptstadt. Von handwerklich gefertigten Werbeprospekten und Hochzeitsanzeigen bis zu Visitenkarten und Bierdeckeln reicht das Angebot.
Wobei gesagt werden muss, dass Michael Müller, Sohn von Firmengründer Jürgen Müller, längst nicht mehr an den Setzkästen mit den Bleilettern steht, was der gelernte Bürokaufmann früher getan hat, nachdem ihm der Vater das alte Druckerhandwerk beigebracht hatte. Er ist heute Berlins beliebtester Politiker, wobei er selbst seinen populären Vorgänger und politischen Mentor Klaus Wowereit übertrifft. Über die Stadtgrenzen hinaus kennen ihn vergleichsweise wenige.
Am Donnerstag wurde der genau heute vor 52 Jahren geborene SPDPolitiker erneut zum Regierenden Bürgermeister der Stadt gewählt. Er hat sich dabei vom bisherigen Koalitionspartner CDU verabschiedet und ist ein Bündnis mit der Linken und den Grünen eingegangen.
Kritiker werfen ihm trotz seiner Beliebtheitswerte vor, genauso unscheinbar wie sein Allerweltsname zu sein. Dabei kann Müller auch ganz anders. Man sagt ihm nach, oft hintenrum zu sein und sehr strategisch zu agieren.
Vor zwei Jahren hat er die Regierungsgeschäfte im historischen Roten Rathaus von Wowereit übernommen. Politische Erfahrung brachte er mit. Inzwischen sitzt er 20 Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus. Zehn Jahre lang führte Müller die SPD-Fraktion, bevor er 2011 unter Wowereit Senator für Stadtentwicklung und Umwelt wurde. Damit verabschiedete er sich auch aus dem väterlichen Betrieb. Seine Partei, der er seit 1981 angehört, machte es ihm nicht immer leicht. 2004 hatte er zusätzlich zum Fraktionsvorsitz auch noch die Führung der Berliner SPD übernommen. 2012 unterlag der WowereitVertraute allerdings in einer Kampfabstimmung dem Parteilinken Jan Stöß mit 110 zu 123 Stimmen. Dann aber wünschte sich die Parteibasis 2014 nicht Stöß, sondern Müller als Wowereit-Nachfolger im Rathaus. Und in diesem Frühjahr eroberte der Bürgermeister auch den SPD-Vorsitz zurück. Die Sozialdemokratie liegt ihm dank des Vaters im Blut. Man sagt ihm nach, dass er ein feines Gespür für die normalen Leute hat.
Was ist über den privaten Michael Müller bekannt? Er ist mit der Bankkauffrau Claudia Müller verheiratet. Sie haben zwei Kinder, Max, 21, und Nina, 18. Er ist bekennender Frühaufsteher und gleichzeitig Spät-ins-Bett-Geher. Früher sah man ihn noch rudernd auf Berliner Gewässern. Heute betätigt er sich sportlich allenfalls im Fitnessstudio oder als Besucher im Stadion. Und wie schätzt er sich selbst ein? Natürlich, bodenständig, ungeschminkt. Joachim Bomhard