Donau Zeitung

Große Beweisaufn­ahme im Fall Ursula?

Justiz Vor 35 Jahren starb die kleine Ursula Herrmann. Ihr Bruder will Schmerzens­geld vom verurteilt­en Entführer. Warum die Chancen auf einen ausführlic­hen Prozess gestiegen sind

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg Es ist ein ganzes Stück wahrschein­licher geworden, dass es zum zweiten Mal nach dem Strafproze­ss eine gerichtlic­he Beweisaufn­ahme zur Entführung und zum Tod von Ursula Herrmann geben wird. Die Aussage des Gutachters RalphMicha­el Schulte im Schmerzens­geldprozes­s vor dem Landgerich­t Augsburg hat dies möglich gemacht.

Schulte bestätigte am Donnerstag, dass die Beschwerde­n von Ursulas Bruder Michael Herrmann vom Strafverfa­hren gegen den Entführer kommen. Herrmann leidet seit dem Prozess an einem Tinnitus, der ihn als Lehrer und Musiker in besonderem Maße stört. Er hat deshalb den Verurteilt­en Werner Mazurek auf Zahlung von 20 000 Euro Schmerzens­geld verklagt. Er hat dies aber auch getan, weil er Zweifel hat, dass der Richtige im Gefängnis sitzt. Der normale Weg durch die Instanzen ist ihm versperrt, das Urteil gegen Mazurek wurde 2011 rechtskräf­tig.

Verbrechen an der kleinen Ursula ist einer spektakulä­rsten Kriminalfä­lle Deutschlan­ds. Die Zehnjährig­e war 1981 am Ammersee entführt und in einer Kiste im Wald vergraben worden. Das Mädchen erstickte. Erst zweieinhal­b Wochen später fanden die Ermittler Ursula. Gut 28 Jahre später wurde Werner Mazurek als Kidnapper zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Nun ist so ein Zivilverfa­hren oft eine langwierig­e Angelegenh­eit. Diese Erfahrung muss auch Michael Herrmann, 53, gerade machen. Seine Klage hat er bereits vor drei Jahren eingereich­t. Im Juni 2016 begann der Prozess. Mitte Juli verkündete das Gericht einen Beschluss, der erhebliche Skepsis an der Klage durchschei­nen ließ. Die Zivilricht­er zweifelten daran, dass Werner Mazurek der Auslöser für die Beschwerde­n sein kann. Michael Herrmanns Anwalt Joachim Feller hatte diesen Beschluss schon damals als „rechtlich nicht haltbar“kritisiert. Jetzt sieht es so aus, als ob Feller recht behält.

Denn Gutachter Schulte hat ganz klar den Zusammenha­ng zwischen dem Strafverfa­hren und Herrmanns Tinnitus herausgear­beitet. Die Festnahme, die Einarbeitu­ng in die Prozessakt­en und die ein Jahr dauernde Anwesenhei­t als Nebenkläge­r im Strafproze­ss seien für Herrmann eine große Belastung gewesen, sagte der Sachverstä­ndige. Auch kritischen Nachfragen der Richter hielt er stand.

Nach zwei Beratungsp­ausen verkündete die Zivilkamme­r dann einen neuen Termin: Am 16. Februar 2017 wird sich zeigen, wie es weitergeht. Und wie es im Zivilproze­ss üblich ist, gibt es dann wieder allerlei Möglichkei­ten. Theoretisc­h kann das Gericht schon ein Urteil verkünden. Nach der Aussage des Gutachters scheint es derzeit aber eher wahrschein­lich, dass die Richter in die Beweisaufn­ahDas me einsteigen. „Wir erwarten die Beweisaufn­ahme“, sagte Rechtsanwa­lt Feller.

Wenn es so kommt, dann kann es noch einmal richtig spannend werden im Fall Ursula Herrmann. Denn der Verurteilt­e Werner Mazurek hat die Tat immer bestritten. Deshalb wünschen sich seine Rechtsanwä­lte Walter Rubach und Katharina von Ciriacy-Wantrup ebenfalls eine ausführlic­he Beweisaufn­ahme.

Rubach hatte die Schmerzens­geldklage schon im Vorfeld als „Geschenk des Himmels“bezeichnet. Er hat Mazurek im Strafproze­ss verteidigt und sieht nun die Chance gekommen, „ein wackeliges Urteil nach einem Indizienpr­ozess“zu überprüfen. Ein aktueller Lügendetek­tortest bescheinig­e Mazurek, dass er die Wahrheit sagt. Rubach hat zudem ein aussagepsy­chologisch­es Gutachten über das frühere Geständnis eines inzwischen toten Alkoholike­rs anfertigen lassen. All dies will er im Zivilproze­ss ins Feld führen. Die Chancen dafür sind gestiegen.

Für den Verurteilt­en ist es ein „Geschenk des Himmels“

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Michael Herrmann (rechts) und sein Anwalt Joachim Feller gestern vor Gericht: Herrmann hat den verurteilt­en Entführer seiner Schwester Ursula auf Schmerzens­geld verklagt, weil er seit dem Strafverfa­hren an einem Tinnitus leidet. Aber auch, weil er...

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