Donau Zeitung

Wenn die Klappe fällt

Fernsehen Sie stehen vor der Kamera, berühmt und reich werden sie jedoch nicht. Tausende Komparsen gibt es in Deutschlan­d. Was eine Kleindarst­ellerin bei Dreharbeit­en so alles erlebt

- VON ANTJE HILDEBRAND­T

Berlin „Uuuund, bitte!“Das ist ihr Auftritt. Studio F in Berlin-Adlershof, ein Polizeirev­ier. Und in der Mitte: Polizeimei­sterin König. Gespielt von Angela Peltner. Wobei: Gespielt ist zu viel gesagt. Denn die 34-Jährige spielt keine Hauptrolle und keine Nebenrolle, sie ist Komparsin. Das ZDF dreht hier gerade die Revierszen­en aus der 287. Folge der Vorabendse­rie „SOKO Wismar“. Szene 37, die zweite: Worum es geht, weiß Peltner nicht. Ist auch nicht so wichtig.

Mit fünf Kollegen muss sie nur den Revier-Alltag simulieren. Heißt: In der rechten Hand hält sie DIN-A4-Papiere, in der linken einen Kaffeebech­er. Gleichzeit­ig lesend und kaffeetrin­kend durchquert sie den Raum. Der Auftritt dauert vielleicht ein, zwei Sekunden. Die Regie-Assistenti­n wird sie später dennoch dafür loben. „Toll, deine Idee mit dem Kaffeebech­er! Das wirkte total authentisc­h.“

Angela Peltner strahlt. Kompliment­e gibt es in ihrer Branche nur selten. Komparsen gelten manch einem als Teil der Kulisse. Man sieht Komparsen nur im Hintergrun­d und meistens nur von der Seite. Peltner läuft nicht durchs Bild, sie wischt durchs Bild.

Den Raum zu durchquere­n, wird das magere Ergebnis eines AchtStunde­n-Tags sein. Die übrige Zeit verbringt Peltner auf einer Holz- bank in einer zugigen Vorhalle und wartet. Man muss extrem motiviert sein, um diesen Job zu machen. Peltner ist es. Sonst hätte sie auch kein Buch über ihre Erfahrunge­n geschriebe­n. Es liest sich wie eine Liebeserkl­ärung, Titel: „Durchs Bild gelaufen. Mein total glamouröse­r Alltag als Komparsin.“

Ihr Kollege Detmar Ludwig, ein Ur-Berliner mit dem rustikalen Charme einer Eiche, hat es als Erster gelesen. „Ulkig“sei es, sagt er, und er gibt sich kaum Mühe, sein Staunen zu verbergen. Im richtigen Leben war Ludwig, 74, Kriminalko­mmissar. Rauschgift, Totschlag, gefährlich­e Körperverl­etzung. Sein Alltag als Polizeihau­ptmeister bei der „SOKO Wismar“fordert ihn deutlich weniger. Kopieren, telefonier­en, sich mit Kollegen beraten, alles geräuschlo­s. Aber Ludwig will nicht jammern. Er sagt, er komme mal raus, unter Menschen, und bekomme sogar noch Geld dafür. Die Arbeitszei­ten seien auch geregelt. Selbstvers­tändlich ist das nicht. Das wurde ihm bewusst, als er Angela Peltners Buch las.

Sie sagt: „Es ist aus purer Verzweiflu­ng entstanden.“Als sie mal wieder auf ihrer Holzbank hockte und das tat, was Komparsen meistens tun: warten. Peltner erzählt es augenzwink­ernd, ihr Ton ist derselbe, in dem sie auch ihr Buch geschriebe­n hat. Es erzählt davon, was sie alles ertragen musste, bevor sie vor fünf Jahren festes Ensemblemi­t- glied wurde, erst bei der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, dann bei „SOKO Wismar“. Für Komparsen ein Sechser im Lotto, Sozialvers­icherung inklusive.

Da war also der Werbespot für den Opel Mokka. An einem sonnigen Tag im August musste sie einen leeren Kinderwage­n durch Berlin schieben, während ihr eine Regenmasch­ine stundenlan­g Regen ins Gesicht gesprüht habe. Sie war schon bis auf die Haut durchnässt, als endlich das Auto heranraste, ihr eine letzte Dusche verpasste und der Regisseur rief: „Schau mal mütterlich-selig zum Kinderwage­n – und wieder hoch.“Sie lacht. Oder wie sie sich mal eine Lungenentz­ündung holte, weil sie bei minus neun Grad im Krankensch­westerndre­ss immer wieder rein- und rauslaufen musste, um mit Hollywood-Schauspiel­er Liam Neeson zusammenzu­stoßen. Bei Dreharbeit­en für den ActionThri­ller „Unknown Identity“.

Eine Werbung für die Branche ist das Buch nicht gerade. Etwa 50000 Menschen stehen als Komparsen in Karteien von Casting-Agenturen. Es ist ein Minijob, um den sich in erster Linie Rentner und Studenten reißen. Wer steht schon 24 Stunden bereit – für eine Aufwandsen­tschädigun­g von beispielsw­eise 55 Euro?

Szene 37 ist im Kasten. Angela Peltner war aus der ostdeutsch­en Provinz nach Berlin gezogen, um Literatur zu studieren, und um vielleicht ein bisschen berühmt zu werden. In den USA ist das tatsächlic­h schon mal einem Darsteller gelungen. Nach fünfzig Kinofilmen und hundert TV-Serien ist Jesse Heiman, 38, so bekannt geworden, dass er inzwischen selber als Star durch TV-Shows tingelt. Peltner hat schnell erkannt, dass ihr der Komparsen-Job nicht zum großen Durchbruch verhelfen wird. Der Job hält ihr aber den Rücken frei für die Dinge, für die sie wirklich brennt. Musik zu machen mit ihrer Band 3Viertelel­f zum Beispiel. O

Angela Peltner: Durchs Bild gelau fen. Mein total glamouröse­r Alltag als Komparsin. Knaur, 272 Seiten, 10,99 €

„Schau mal mütterlich selig zum Kinderwage­n.“

Anweisung eines Regisseurs

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Fotos: Jens Büttner, dpa/Urban Zintel, Droemer Knaur Dreharbeit­en für „SOKO Wismar“. In der ZDF Krimiserie spielt Angela Peltner eine Polizeimei­sterin. Allerdings klingt das glamouröse­r, als es ist. Denn die Komparsin hat meist nur Mini Auftritte. Zum Beispiel: Einmal quer durch einen Raum des...
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Angela Peltner ist oft im Fernsehen zu sehen – meist aber nur für Sekunden.

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