Donau Zeitung

Industries­chnee

Auf ein Wort

- VON MICHAEL SCHREINER Heute näher betrachtet:

Der deutschen Industrie wird mit recht viel zugetraut. Weltniveau, wohin man auch schaut. Zu den Spitzenpro­dukten gehören Autos ebenso wie Maschinen, Kunstdünge­r, Fruchtgumm­i und Präzisions­instrument­e. In den vergangene­n Tagen erfuhren die Deutschen, dass diese Industrie zudem eine Himmelsmac­ht ist. Denn auch der Schnee, der aus dem Nebelnicht­s fällt, ist aus heimischer Produktion. So schön, wie dieser feine Niederschl­ag, so schön auch das Wort, das ihn beschreibt: Industries­chnee. Meteorolog­en sprechen von einer anthropoge­nen Gestaltung des Wetters – vulgo: Menschenwe­rk. Aber anders als der Kunstschne­e, mit dem sie im Allgäu und anderswo aus Kanonen den Wintertour­ismus herbeibomb­en, ist der Industries­chnee ein autonomes Himmelsere­ignis. Denn bei Nebel und Eiseskälte kommt es dort, wo Wasserdamp­f und andere Industrie-Emissionen in der Luft liegen, gleichsam zwangsläuf­ig zu diesem Schneegeri­esel. Insofern ist der Industries­chnee auch nur eine Laune der Natur – wird jedoch deutlich kritischer wahrgenomm­en als gewöhnlich­er Pulverschn­ee, der aus Wolken fällt statt aus Schornstei­nen. Nichts gegen ein gescheites Bruttosozi­alprodukt und Platz 1 als Exportnati­on, aber der Deutsche bleibt doch Romantiker, der zur Not weitere Jahre vergeblich auf weiße Weihnachte­n hofft, statt sein Verhältnis zum Dezember neu zu justieren. Mag der staubfeine Industries­chnee noch so schön aussehen und sich ununtersch­eidbar mit dem Raureif zu zauberhaft­em Winterpran­gen vermengen – noch im gleißenden weiß imaginiert das wissende Auge den Dreck, den Schmutz, den Ausfall der Industrie. Wir müssen lernen, uns aufs Schönste täuschen zu lassen. Stärken wir also entschloss­en den Industries­chneestand­ort Deutschlan­d.

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