Industrieschnee
Auf ein Wort
Der deutschen Industrie wird mit recht viel zugetraut. Weltniveau, wohin man auch schaut. Zu den Spitzenprodukten gehören Autos ebenso wie Maschinen, Kunstdünger, Fruchtgummi und Präzisionsinstrumente. In den vergangenen Tagen erfuhren die Deutschen, dass diese Industrie zudem eine Himmelsmacht ist. Denn auch der Schnee, der aus dem Nebelnichts fällt, ist aus heimischer Produktion. So schön, wie dieser feine Niederschlag, so schön auch das Wort, das ihn beschreibt: Industrieschnee. Meteorologen sprechen von einer anthropogenen Gestaltung des Wetters – vulgo: Menschenwerk. Aber anders als der Kunstschnee, mit dem sie im Allgäu und anderswo aus Kanonen den Wintertourismus herbeibomben, ist der Industrieschnee ein autonomes Himmelsereignis. Denn bei Nebel und Eiseskälte kommt es dort, wo Wasserdampf und andere Industrie-Emissionen in der Luft liegen, gleichsam zwangsläufig zu diesem Schneegeriesel. Insofern ist der Industrieschnee auch nur eine Laune der Natur – wird jedoch deutlich kritischer wahrgenommen als gewöhnlicher Pulverschnee, der aus Wolken fällt statt aus Schornsteinen. Nichts gegen ein gescheites Bruttosozialprodukt und Platz 1 als Exportnation, aber der Deutsche bleibt doch Romantiker, der zur Not weitere Jahre vergeblich auf weiße Weihnachten hofft, statt sein Verhältnis zum Dezember neu zu justieren. Mag der staubfeine Industrieschnee noch so schön aussehen und sich ununterscheidbar mit dem Raureif zu zauberhaftem Winterprangen vermengen – noch im gleißenden weiß imaginiert das wissende Auge den Dreck, den Schmutz, den Ausfall der Industrie. Wir müssen lernen, uns aufs Schönste täuschen zu lassen. Stärken wir also entschlossen den Industrieschneestandort Deutschland.