Das deutsche Volk kommt endlich zu seinem Recht
Der Erste Weltkrieg
Es ist eine ziemlich unwürdige Geschichte für ein doch angeblich so würdevolles Haus. Dass sie nach 22 Jahren ausgerechnet im Dezember 1916, in den harten Tagen des dritten Kriegswinters, ihren Abschluss findet, ist sicher kein Zufall. Aber der Reihe nach. Nach der schmerzhaften Einigung des Reiches und den im besten Falle unbeholfenen ersten Schritten des Parlamentarismus, hat das deutsche Parlament seit 1894 mit dem Reichstagsgebäude in Berlin endlich einen repräsentativen Versammlungsort bekommen. Das für die Deutschen seither so symbolträchtige Haus, gebaut nach den Plänen des Architekten Paul Wallot, blieb aber bis kurz vor Weihnachten 1916 unvollendet. Denn Wallot hatte auf dem Platz über dem Hauptportal einen bronzenen Schriftzug vorgesehen: „DEM DEUTSCHEN VOLKE“sollte dort stehen. Doch die mit hochmögenden Persönlichkeiten besetzte Reichstagsbaukommission konnte sich nach langer Diskussion nicht darauf einigen, den Vorschlag des Architekten durchzuwinken. Es gelang aber auch nicht, einen alternativen Textvorschlag zu erarbeiten. Der Platz blieb leer. Ob das nun vorauseilender Gehorsam gegenüber Kaiser Wilhelm II. war, dem niemand eine große Liebe zum Parlamentarismus unterstellen will, sei dahingestellt. Offiziell griff der Kaiser nie in die Diskussion ein – dennoch wurde das Thema der fehlenden Inschrift die nächsten 20 Jahre betreten totgeschwiegen. Doch nun, nachdem Hunger, Tod und Entbehrungen, die Zustimmung der Bevölkerung für Krieg und Politik dämpfen, wird die vergessene Inschrift plötzlich wieder Thema. Der Kaiser werde keinen Widerspruch einlegen, heißt es aus inoffiziellen Stellen aus dem Schloss, so beschließt die neue ReichstagsausschmückungsKommission also: Die Inschrift kommt, wie von Wallot gewollt. Peter Behrens darf die Schrift gestalten, gegossen wird die Bronze aus zwei während der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich erbeuteten Geschützen. Ausführen darf die Arbeit das jüdische Familienunternehmen Loevy. Dieses wird 1939 arisiert, der Inhaber und weitere Familienmitglieder ermordet. Auch das gehört zur Reichstagsgeschichte. (maz-)