„Wir werden eines Tages zurückkehren“
Syrien Tagelang rangen das Assad-Regime und Rebellen um den Abzug von Kämpfern und Zivilisten aus Ost-Aleppo. Lange sah es so aus, als würde ein Abkommen scheitern. Doch dann kommt plötzlich die Rettung
Aleppo Schon in den Morgenstunden geht der Nervenkrieg um den Abzug von Kämpfern und Zivilisten aus den verbliebenen Rebellengebieten Aleppos in eine neue Runde. Kurz nach Sonnenaufgang versammeln sich die ersten Zivilisten auf den Straßen der größtenteils zerstörten Viertel im Osten der umkämpften Stadt. Frauen, Kinder und Männer, die seit langem hoffen, das Kampfgebiet verlassen zu können. Die Menschen frieren in der Kälte, im Winter liegen die Temperaturen auch in Nordsyrien nur knapp über null Grad. Um acht Uhr solle es losgehen, schreibt ein Aktivist in einer Textnachricht aus der Stadt. Hoffnung spricht aus den Worten. Ein Rebellensprecher bestätigt die Uhrzeit.
Doch um acht Uhr passiert erst einmal nichts. Das Warten auf die Rettung geht weiter. Auf einem Bild ist eine Frau zu sehen, die neben gepackten Koffern auf Trümmern sitzt und weint. Vielen fällt der Abzug aus ihrer Heimatstadt trotz aller Leiden schwer. Andere haben ganz besondere Vorbereitungen getroffen: Damit den Regierungsanhängern möglichst wenig in die Hände fällt, verbrennen manche ihr Hab und Gut, ein Motorrad etwa, wie ein Video zeigt. Auch die Kämpfer zerstören ihre Fahrzeuge, setzen ihre Hauptquartiere in Brand, sprengen größere Waffenlager, wie auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet.
Auf Fernsehbildern erheben sich vereinzelt Rauchschwaden aus der Seit Tagen rangen die Konfliktparteien um den Abzug der Kämpfer und Zivilisten aus den wenigen Vierteln, die den oppositionellen Milizen nach heftigen Kämpfen mit Regimekräften noch geblieben sind. Am Dienstag gab es eine erste Einigung über die Evakuierung dieser Gebiete.
Russland als Verbündeter des Regimes und die Türkei als Unterstützer der Rebellen hatten offenbar Druck gemacht. Vier knappe Paragrafen enthält das Papier, unterschrieben von einem Vertreter Moskaus, der Regierung und oppositionellen Milizen. Doch das Abkommen scheiterte zunächst, weil am Mittwoch neue Kämpfe ausbrachen. Dabei lässt die katastrophale humanitäre Lage in Ost-Aleppo keinen Aufschub zu. Zehntausende sollen dort noch leben, viele von ihnen untergekommen in zerbombten Häusern des von Luftangriffen, Artillerie und Kämpfen stark zerstörten Rebellengebiets.
Die Menschen sagen, es gebe wegen der monatelangen Belagerung kaum noch Trinkwasser, sie hätten Hunger. Die medizinische Versorgung ist zusammengebrochen. Marianne Gasser vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz ist bestürzt: „Ich habe noch nie zuvor dieses Ausmaß menschlichen Leids gesehen.“
Genau um zwölf Uhr mittags wächst dann die Hoffnung der eingeschlossenen Menschen in Aleppo. Krankenwagen und die grünen Busse des staatlichen syrischen TransTrümmerlandschaft. portunternehmens setzen sich in Bewegung Richtung Osten. Mehr als zwei Stunden dauert es, bis die ersten Fahrzeuge das Rebellengebiet wieder verlassen, an Bord erleichterte Menschen, die in andere von der Opposition gehaltene Orte fahren. Die Provinz Idlib liegt südwestlich von Aleppo und steht unter Kontrolle der bewaffneten Opposition. Hierhin sind bereits früher Aufständische abgezogen, als sie sich zum Beispiel aus Vororten der Hauptstadt Damaskus zurückgezogen hatten. Mehrfach pendeln am Donnerstag die 20 grünen Busse hin und her und transportieren Menschen ab. Nicht alle werden es sofort hinausschaffen.
Zahlreiche Menschen bleiben zurück in den Trümmern. Aktivisten beschreiben den Abschied von ihren Familien als „herzzerreißend“. „Die Menschen wollen die Stadt so sehr verlassen und sich und ihre Familien in Sicherheit bringen“, sagt ein Aktivist mit Namen Wissem. „Auf der anderen Seite lassen sie auch ihr Land, ihre Heimat, zurück. Für uns ist das ein sehr trauriger Tag.“
Wenn alle Kämpfer und Zivilisten Ost-Aleppo verlassen haben, bleiben Geisterviertel zurück. Einige haben vor der Abfahrt noch Botschaften an die Wände geschrieben. „Unsere zerstörten Häuser sind Zeugen unserer Standhaftigkeit gegen eure Verbrechen“, heißt es. Und: „Wir werden eines Tages zurückkehren.“Jan Kuhlmann und
Simon Kremer, dpa