Donau Zeitung

Erzählunge­n aus der Hölle

Europa Ein Politiker aus Aleppo erschütter­t den EU-Gipfel. Und das ist längst nicht die einzige schlechte Nachricht

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es ist die „Hölle von Aleppo“, die an diesem Donnerstag die europäisch­e Politik einholt. Brita Hagi Hasan, Bürgermeis­ter des völlig zerstörten Ostteils der syrischen Stadt, war nach Brüssel gekommen – eigentlich nur zu einem Gespräch mit EU-Gipfelchef Donald Tusk. Als der französisc­he Präsident François Hollande dies hörte, bestand er darauf, den Syrer in die anschließe­nd tagende Runde der 28 Staatsund Regierungs­chefs einzuladen. So etwas gab es noch nie. Hasan kam, berichtete von 50000 Zivilisten, die in Gefahr seien, „massakrier­t zu werden“. „Ich verlange doch nicht, dass Ihre Länder in den Krieg ziehen.“Er bitte nur „um Schutz für die Zivilisten“. „Die Bewohner von Aleppo brauchen nicht weitere warme Worte, sondern echten Schutz“, sagte Ratspräsid­ent Tusk später.

„Hasans Schilderun­gen waren nur schwer auszuhalte­n“, berichtete ein anderer Gipfel-Teilnehmer. „Wir müssen helfen.“Nur wie? Europa steht zwischen allen Fronten, hat keine Lösungen und ist dann auch noch zerstritte­n.

Beispiel Russland. Merkel und Hollande warben für eine Verlängeru­ng der Sanktionen um weitere sechs Monate bis Mitte 2017. Aber nicht wegen Moskaus Engagement in Syrien, sondern wegen seiner Rolle im Ukraine-Konflikt. „Das ist unsinnig“, ärgerte sich der slowakisch­e Ministerpr­äsident und derzeitige EU-Vorsitzend­e Robert Fico. Er machte sich damit zum Sprachrohr etlicher östlicher EU-Staaten, die „endlich mit Russland reden und verhandeln wollen“. Dennoch setzten sich Merkel und Holland am Abend durch.

Auch das Assoziieru­ngsabkomme­n mit der Ukraine, das nach einem niederländ­ischen Referendum auf Eis lag, kann nun in Kraft gesetzt werden. Dafür gab man Premier Mark Rutte drei Zusagen, mit denen er seine Unterschri­ft unter den Vertrag setzen kann: Die Ukraine wird nicht EU-Mitglied. Sie bekommt nicht noch mehr Geld. Und dem Land wird keine militärisc­he Unterstütz­ung zugesagt.

Dagegen gelang es beim Thema Flüchtling­e nur mit Mühe, die tiefe Kluft zwischen den Mitgliedst­aaten zu überbrücke­n. Die EU hat inzwischen mit fünf afrikanisc­hen Staaten (Nigeria, Niger, Mali, Senegal und Äthiopien) sogenannte Migrations­abkommen geschlosse­n. Europa zahlt – und hilft so, die Grenzen besser zu sichern, die Verwaltung zu reformiere­n und die Staaten aufzubauen. Es sind die afrikanisc­hen Ableger des Türkei-Deals, von dem Juncker sagte: „Er funktionie­rt.“ Das klang alles gut, war jedoch in gewisser Weise nur vordergrün­diges Theater, weil man die nach wie vor offenen Fragen einer innereurop­äischen Verteilung (Quote) von Flüchtling­en erst gar nicht auf die Tagesordnu­ng gehoben hatte. Und von einer Reform des umstritten­en Dublin-Systems – die Kommission hatte eine europäisch­e Zentrale zur Zuteilung der Migranten vorgeschla­gen – kann ohnehin vorerst keine Rede sein. Der Block der Gegner aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn steht eisern.

Als der offizielle Teil des neu strukturie­rten Gipfels beendet war und man die britische Premiermin­isterin Theresa May nach Hause geschickt hatte, widmete sich die Runde dem nächsten Problem: dem Brexit. Anschließe­nd stand zumindest fest, dass man sich vier Wochen nach dem Scheidungs­brief aus London, der für Ende März erwartet wird, zu einem Sondergipf­el treffen wird.

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Foto: Olivier Hoslet, dpa Was Aleppos Bürgermeis­ter Brita Hagi Hasan (links) zu sagen hatte, erschütter­te nicht nur EU Gipfelchef Donald Tusk.

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