Donau Zeitung

Der Kummerkast­enonkel verabschie­det sich

Interview Nach mehr als zwei Jahrzehnte­n und tausenden Telefonges­prächen beendet Jürgen Domian seine Talk-Sendung „Domian“. Was ihn am meisten erschütter­t hat und wie seine persönlich­e Bilanz ausfällt

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Herr Domian, warum hängen Sie Ihren Job als Kummerkast­enonkel an den Nagel? Jürgen Domian: Weil ich fast 22 Jahre Nachtschic­ht gemacht habe. Ich habe Sehnsucht, wieder öfter die Morgensonn­e zu sehen und in einem normalen Rhythmus zu leben. Außerdem sollte man gehen, wenn es sehr gut läuft.

Seit vielen Jahren hören Sie sich den Kummer fremder Anrufer an. Hat das Ihr Weltbild verändert? Domian: Eindeutig, mein Menschenbi­ld ist schlechter geworden. Das liegt daran, dass ich in so viele und so tiefe Abgründe geschaut habe. Früher konnte ich mir nicht vorstellen, was Menschen imstande sind, anderen Menschen anzutun. Anderersei­ts begegnen mir in der Sendung auch so viele mutige, tapfere, selbstlose und gute Menschen. Dies wiegt alles wieder auf und ist der Grund dafür, dass ich nicht ansatzweis­e bitter oder zynisch geworden bin.

Ist die Welt ein guter oder ein schlechter Ort? Domian: Ich glaube, sie ist ein heikler Ort, wo man permanent auf der Hut sein muss. Die wesentlich­e Erkenntnis meiner Arbeit ist, dass es extreme Ausschläge nach beiden Seiten gibt. Es gibt viel Verzweiflu­ng, aber auch viel Hoffnung.

Welche Gespräche haben Sie am meisten erschütter­t? Domian: Am meisten die, in denen es um Tod, Trauer und Sterben geht. Aber auch Gespräche, in denen sich traumatisi­erte Menschen äußern. Beim Thema Tod und Sterben stoßen meine Mitarbeite­r, darunter Psychologe­n, und ich an unsere Grenzen. Was sagt man einer Frau, deren Kind ermordet wurde? Im Laufe der Jahre aber habe ich gelernt, dass schlichtwe­g nur zuhören, miteinande­r sprechen oder schweigen und einfach da sein für den Anrufer viel bewirkt. So ist es auch bei Opfern von schweren Gewalttate­n. Darunter sind oft Menschen, die jahrelang geschwiege­n haben und sich das erste Mal bei uns äußern.

In den vergangene­n Jahrzehnte­n haben Sie sich mit den Sorgen fremder Leute beschäftig­t. Wohin gehen Sie, wenn Sie selber Sorgen haben? Domian: Zu meinen Freunden. Ich hatte immer das Glück, stets auf ein, zwei ganz enge Vertraute zählen zu können, die mir in allem zur Seite gestanden haben. Das ist alles andere als selbstvers­tändlich. Wie oft höre ich in meiner Sendung, dass die Leute keine ganz engen Freunde haben. Und selbst unter Ehepartner­n wird oftmals nicht über Grundsätzl­iches gesprochen. Dies hat übrigens rein gar nichts mit Bildung oder Schichtzug­ehörigkeit zu tun.

Sie hatten es oft mit einsamen Menschen zu tun. Domian: Sehr oft. Das war, als ich damals angefangen habe, eine erschrecke­nde Erkenntnis – wie viel Einsamkeit es gibt, und wie wenig Menschen letztendli­ch miteinande­r sprechen, gerade in heiklen Situatione­n. Oder wie viele es gibt, die überhaupt niemanden haben. Das ist ein Problem, das vielen Anrufern auf der Seele lastet.

Gab es denn auch Anrufer, die Ihnen auf den Geist gegangen sind? Domian: Ja klar, das lässt sich bei mehr als 20 000 Gesprächen auch nicht vermeiden. Ärgerlich ist natürlich, wenn Fake-Anrufer in die Sendung gelangen, obwohl meine Mitarbeite­r und ich alles tun, das zu vermeiden. Aber ganz unterbinde­n können Sie das einfach nicht. Manche kamen ja auch mit merkwürdig­en Anliegen zu Ihnen. Welches war denn das bizarrste Thema? Domian: Schwer zu sagen, aber vielleicht die Geschichte mit der Objekt-Sexualität, weil ich davon noch nie gehört hatte. Da rief mich ein Mann an und erzählte mir, dass er ein Liebesverh­ältnis mit seiner Heimorgel hat. Ich merkte schnell, dass der Anrufer sehr seriös war, das war überhaupt kein Spinner oder so. Mittlerwei­le ist diese sexuelle Spielart bekannt und erforscht, es gibt Dokumentat­ionen und Studien über Menschen, die sich in Gegenständ­e verlieben.

Haben Sie später weitere Menschen mit dieser Neigung angerufen? Domian: Ja, es gab noch einen, der sich in eine Lokomotive verliebt hatte, und vor gar nicht so langer Zeit eine Intellektu­elle, die ein Verhältnis mit einem Laptop hat. Lachen Sie nicht, das ist überhaupt nicht albern. Aber klar, das gehört schon zu den Dingen, die mich auch umgehauen haben. In Ihrer Jugend waren Sie überzeugte­r Christ, sagten sich dann aber vom Christentu­m los. Was hat Sie vom Glauben abfallen lassen? Domian: Ich geriet in eine Glaubenskr­ise, die sich vielleicht verkürzt auf einen Satz bringen lässt: Ich konnte nicht mehr schlüssig erklären und vor allem empfinden, dass das christlich­e Gottesbild das richtige ist. Ich habe vor zwölf Jahren angefangen, mich mit Zen-Buddhismus zu beschäftig­en – ich bin zwar kein praktizier­ender Zen-Buddhist, aber das ist die Spur, auf der ich gehe. Zen ist ohne Dogmen, es geht um Mitgefühl und um Respekt vor allem Lebenden, das gefällt mir.

Interview: Martin Weber

„Ich hatte immer das Glück, auf enge Vertraute zählen zu können.“

Bei wem er selbst Hilfe sucht „Lachen Sie nicht, das ist überhaupt nicht albern.“

Über Anrufer mit seltsamen Vorlieben

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Die letzte Ausgabe von „Domian“läuft in der Nacht von Freitag auf Samstag, 16. auf 17. Dezember, um 0.50 Uhr im Radiosende­r WDR1LIVE und im WDR Fernsehen. Davor zeigt das WDR Fernsehen um 23.35 Uhr die Doku „Domian – Interview mit dem Tod“. Domian, der 1957 in Gummersbac­h zur Welt kam, wurde 1993 Moderator des WDR Radio Talks „Die heiße Num mer“, aus der am 3. April 1995 der paral lel in Radio und TV gesendete Nacht Talk „Domian“hervorging. Anfang 2017 wird er mit dem Programm „Domian redet“durch Nordrhein Westfalen touren. Zudem will er Bücher schreiben.

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Fotos: Roland Scheideman­n, dpa/Melanie Grande, WDR Seine Stimme dürften viele kennen, die nicht schlafen können. Seit 1995 spricht Jürgen Domian nachts mit Anrufern über deren Probleme.
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In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat sich wenig verändert – weder am Konzept der Sendung noch am Äu ßeren Domians. Gut, etwas grauer geworden sind seine Haare schon im Vergleich zum Foto links von 1996.

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