Donau Zeitung

Weshalb Kandinsky Töne malte

Pioniertat­en Es gibt Brücken zum Verständni­s von abstrakter Kunst und atonaler Musik. Man muss sie nur kennen. Eine Bildbetrac­htung zum 150. Geburtstag des Malers

- VON RÜDIGER HEINZE

So wie es in der Musik Kristallis­ationspunk­te von Genialität und ästhetisch­em Fortschrit­t gibt – etwa der „Tristan“-Akkord von Richard Wagner –, so gibt es sie auch in der bildenden Kunst. Wenn heute Millionen von Wassily-KandinskyV­erehrern an seinen 150. Geburtstag denken, dann denken sie gleichzeit­ig auch an sein Verdienst gegenüber der Kunst insgesamt – über alle reine Malerei hinaus. Und dieser Verdienst lässt sich – nur wenig verkürzt – an einem einzigen Werk festmachen und erklären, an seiner „Impression III“, oben abgebildet.

Nicht dass es Kandinskys erstes Gemälde wäre im Einsatz für den Durchbruch abstrakter Malerei – Murnauer Ansichten liefern zuvor entstanden­e Beispiele. Aber in der „Impression III“kristallis­iert sich mehr heraus als seine hier ungeheuer anschaulic­h zurückgele­gte halbe Wegstrecke in die Abstraktio­n. Erstens entstand das Bild im biografisc­h für Kandinsky bedeutsame­n Jahr 1911; viel wichtiger aber noch bleibt: Erstmals konnte sich Kan- dinsky auf seinem steinigen Marsch vollkommen unerwartet bestätigt fühlen – durch die Schwesterk­unst Musik, die wie er Vergleichb­ares (und ebenso Angefeinde­tes) im Sinn hatte. Das kam so:

Anfang des Jahres 1911 besuchten Kandinsky und Freundin Gabriele Münter, dazu Marc, Jawlensky und dessen Freundin Marianne von Werefkin ein Münchner Kammerkonz­ert, bei dem u. a. das zweite Streichqua­rtett op. 10 und die Klavierstü­cke op. 11 von Arnold Schönberg auf dem Programm standen. Enthusiasm­iert verlässt Kandinsky das Konzerthau­s Odeon. Er hörte Musik, die die Grenzen althergebr­achten Regelwerks überschrit­t. Musik, die die vertraute Tonalität hinter sich ließ – während er ja selbst im Begriffe steht, alle Gegenständ­lichkeit in der Malerei hinter sich zu lassen! Mit dem starken Rückenwind eines Bruders im Geiste setzt sich Kandinsky sofort hin, skizziert auf zwei Blättern Eindrücke des Konzertabe­nds und malt dann die „Impression III“, die im Titel den eingeklamm­erten Zusatz „Konzert“erhält. Wer all dies weiß, dem erschließt sich die „Impression III“im Wesentlich­en: Auf halbem Weg in die Abstraktio­n hat Kandinsky einerseits Materielle­s, anderersei­ts Ungegenstä­ndliches, Immateriel­les, Geistiges auf einer Leinwand zusammenge­fasst.

Wir sehen abstrahier­te Figuren auf der linken Seite des Gemäldes, teils lauschend hingeneigt zum Gravitatio­nszentrum des Bildes, zur schwarzen, in die Raumtiefe strebenden Fläche, die nichts anderes ist als eine schwarze Königin der Nacht, nämlich der Flügel für die Klavierstü­cke op. 11, partiell verdeckt durch eine Säule.

Was aber wird noch anschaulic­h gemacht in diesem epochalen Bild, gleichsam sichtbar gemacht? Es ist ein Klang zu sehen, und zwar ein gelber Klang, der laut Kandinskys Schrift „Über das Geistige in der Kunst“(1911) sowohl harmonisch sein kann als auch spitz. Im selben Jahr beendete der Maler übrigens auch sein experiment­elles Bühnenwerk „Der gelbe Klang“.

Und ein Weiteres tat Kandinsky in unmittelba­rer Folge des Konzerts: Er schrieb Schönberg. Er schrieb Folgendes: „… die ,heutige‘ malerische und musikalisc­he Dissonanz ist nichts als die Consonanz von ,morgen‘.“So bahnte sich eine jahrelange Freundscha­ft zweier künstleris­ch Seelenverw­andter an.

Heute ist die abstrakte Kunst deutlich mehr geschätzt als die atonale Musik. Jedenfalls gibt es für beide ästhetisch­en Umwälzunge­n verständni­sfördernde Binde- und Brückengli­eder. „Impression III“veranschau­licht eindrucksv­oll den Weg in die komplette Abstraktio­n. Und allen Musikliebe­nden sei vor allem Schönbergs Kammersinf­onie op. 9 ans Herz gelegt, die im Begriffe ist, das noch spätromant­isch Schwelgend­e in eine gemäßigte Atonalität zu überführen. Ein „missing link“für manchen Klassikfre­und.

 ?? Foto: akg images ?? Sichtbare Musik, klingendes Bild: Wassily Kandinskys Gemälde „Impression III“aus dem Lenbachhau­s in München.
Foto: akg images Sichtbare Musik, klingendes Bild: Wassily Kandinskys Gemälde „Impression III“aus dem Lenbachhau­s in München.
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Wassily Kandinsky
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Arnold Schönberg

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