Der Tod, der Chic und ein kleines rotes Buch
Geschichte Vor 50 Jahren erschien die „Mao-Bibel“– eine irrwitzige Erfolgsgeschichte
Es ist eines der eine Milliarde Exemplare, die von dem kleinen Büchlein mit dem roten Plastikeinband existieren und es so nach der Bibel zur Nummer zwei der ewigen Bestsellerliste machen. Und die Geschichte dieses einen ist auf eine niedliche Art genauso irrwitzig, wie es die der Milliarde auf grauenvolle Art ist.
„Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung“– kürzlich beim Entrümpeln wieder aufgetaucht, damals, Anfang der Siebziger, über einen der Coupons in der hiesigen IdeologiePresse bestellt und nach Monaten ohne Nachricht plötzlich per Post angekommen. Direkt aus Peking, wo extra Druckereien gebaut wurden, zeitweise Plastik und Papier knapp waren, weil von dort das rote Buch in vielen Sprachen in alle Welt gesendet wurde. Der Post beiliegend: eine Rechnung über ein paar Mark fünfzig, die der Bankberater bei Nachfrage zwecks Überweisung abratend machte: Nach Peking, bei weit höheren Transaktionsgebühren, vielleicht eher nicht. Aber Kleingeld schicken? So flog ein Fünfmarkschein im Kuvert nach China – und nach monatelanger Stille kam diesmal ein Brief, mit nur den Zeilen: „Received 5 Marks. Thanks.“Wechselgeld wortlos einbehalten, wohl als Spende für die Kommunistische Partei Chinas…
Denn, wir schlagen auf, Seite 1: „Die den Kern bildende Kraft, die unsere Sache führt, ist die Kommunistische Partei Chinas. Die theoretische Grundlage, von der sich unser Denken leiten lässt, ist der Marxismus-Leninismus.“Hierzulande hatte es revolutionären Chic, sich das kleine rote Buch in die Gesäßtasche der Jeans zu stecken. Um Mao als linke Ikone zitierfähig zu präsentieren, kam es mit dem Erscheinen am 16. Dezember 1966 genau richtig. Seite 74: „Jeder Kommunist muss diese Wahrheit begreifen: Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“Dazu waren im Westen nur Terroristen wie die der RAF bereit. Der Rest war PopIkonentum wie Che Guevara, versinnbildlicht in Andy Warhols kunterbunten Mao-Drucken.
Seite 104: „Der revolutionäre Krieg ist ein Krieg der Volksmassen; man kann ihn nur führen, indem man die Volksmassen mobilisiert, indem man sich auf die Volksmassen stützt.“In China aber stand das Buch für die Kulturrevolution, die in den zehn Jahren bis zu Maos Tod Millionen das Leben kosten sollte. Wer beim Aufbau der „demokratischen Diktatur des Volkes“nicht in Verdacht geraten wollte, Reaktionär zu sein, und damit „auszumerzen“, hatte das Buch besser jederzeit dabei und konnte auswendig aus den auf 370 Seiten und in 33 Kapiteln versammelten Zitaten aus Reden und Schriften Maos zitieren, samt Seitenzahl.
Seite 182: „Die Armee muss mit dem Volk verschmelzen, sodass sie vom Volk als seine eigene Armee angesehen wird. Eine solche Armee ist unbesiegbar.“Wen die Wirklichkeit interessiert, dem sei statt „Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung“die starke Biografie „Mao“von Jung Chan und Jon Halliday (Pantheon, 976 S., 19,95 ¤) empfohlen. Seite 238: „Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der ununterbrochenen Vorwärtsentwicklung aus dem Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit.“