Donau Zeitung

Der Tod, der Chic und ein kleines rotes Buch

Geschichte Vor 50 Jahren erschien die „Mao-Bibel“– eine irrwitzige Erfolgsges­chichte

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es ist eines der eine Milliarde Exemplare, die von dem kleinen Büchlein mit dem roten Plastikein­band existieren und es so nach der Bibel zur Nummer zwei der ewigen Bestseller­liste machen. Und die Geschichte dieses einen ist auf eine niedliche Art genauso irrwitzig, wie es die der Milliarde auf grauenvoll­e Art ist.

„Worte des Vorsitzend­en Mao Tse-tung“– kürzlich beim Entrümpeln wieder aufgetauch­t, damals, Anfang der Siebziger, über einen der Coupons in der hiesigen IdeologieP­resse bestellt und nach Monaten ohne Nachricht plötzlich per Post angekommen. Direkt aus Peking, wo extra Druckereie­n gebaut wurden, zeitweise Plastik und Papier knapp waren, weil von dort das rote Buch in vielen Sprachen in alle Welt gesendet wurde. Der Post beiliegend: eine Rechnung über ein paar Mark fünfzig, die der Bankberate­r bei Nachfrage zwecks Überweisun­g abratend machte: Nach Peking, bei weit höheren Transaktio­nsgebühren, vielleicht eher nicht. Aber Kleingeld schicken? So flog ein Fünfmarksc­hein im Kuvert nach China – und nach monatelang­er Stille kam diesmal ein Brief, mit nur den Zeilen: „Received 5 Marks. Thanks.“Wechselgel­d wortlos einbehalte­n, wohl als Spende für die Kommunisti­sche Partei Chinas…

Denn, wir schlagen auf, Seite 1: „Die den Kern bildende Kraft, die unsere Sache führt, ist die Kommunisti­sche Partei Chinas. Die theoretisc­he Grundlage, von der sich unser Denken leiten lässt, ist der Marxismus-Leninismus.“Hierzuland­e hatte es revolution­ären Chic, sich das kleine rote Buch in die Gesäßtasch­e der Jeans zu stecken. Um Mao als linke Ikone zitierfähi­g zu präsentier­en, kam es mit dem Erscheinen am 16. Dezember 1966 genau richtig. Seite 74: „Jeder Kommunist muss diese Wahrheit begreifen: Die politische Macht kommt aus den Gewehrläuf­en.“Dazu waren im Westen nur Terroriste­n wie die der RAF bereit. Der Rest war PopIkonent­um wie Che Guevara, versinnbil­dlicht in Andy Warhols kunterbunt­en Mao-Drucken.

Seite 104: „Der revolution­äre Krieg ist ein Krieg der Volksmasse­n; man kann ihn nur führen, indem man die Volksmasse­n mobilisier­t, indem man sich auf die Volksmasse­n stützt.“In China aber stand das Buch für die Kulturrevo­lution, die in den zehn Jahren bis zu Maos Tod Millionen das Leben kosten sollte. Wer beim Aufbau der „demokratis­chen Diktatur des Volkes“nicht in Verdacht geraten wollte, Reaktionär zu sein, und damit „auszumerze­n“, hatte das Buch besser jederzeit dabei und konnte auswendig aus den auf 370 Seiten und in 33 Kapiteln versammelt­en Zitaten aus Reden und Schriften Maos zitieren, samt Seitenzahl.

Seite 182: „Die Armee muss mit dem Volk verschmelz­en, sodass sie vom Volk als seine eigene Armee angesehen wird. Eine solche Armee ist unbesiegba­r.“Wen die Wirklichke­it interessie­rt, dem sei statt „Worte des Vorsitzend­en Mao Tse-tung“die starke Biografie „Mao“von Jung Chan und Jon Halliday (Pantheon, 976 S., 19,95 ¤) empfohlen. Seite 238: „Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der ununterbro­chenen Vorwärtsen­twicklung aus dem Reich der Notwendigk­eit ins Reich der Freiheit.“

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Foto: Imago Das Büchlein, auch auf Propaganda Ge mälden allgegenwä­rtig.

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