Bewegendes aus finsterer Zeit
Mehr Schostakowitsch von Andris Nelsons
War schon der Auftakt dieses Schostakowitsch-Zyklus mit der 10. Sinfonie exzellent – und ausgezeichnet mit einem Grammy –, so wird nun in der Fortsetzung klar: Ein ganz großer Wurf, den da das Boston Symphony Orchestra und Chefdirigent Andris Nelsons hinlegen. Drei weitere Sinfonien sind jetzt auf einer Doppel-CD mit Auszügen aus der „Hamlet“-Suite Schostakowitschs kombiniert. Nämlich die Fünfte, die Schostakowitsch nach der von Stalin scharf kritisierten Oper „Lady Macbeth von Mzensk“erst einmal den Kopf rettete; die Achte, unverkennbar unter Kriegseinwirkungen komponiert, und die Neunte, ein Werk trockenen, verzweifelten Humors. Drei Sinfonien also sind zu hören, die „Unter dem Schatten Stalins“entstanden – wie sich der CD-Zyklus nennt, aufgenommen live in der Symphony Hall in Boston. Deren hervorragende Akustik teilt sich in den Aufnahmen ebenso mit wie die unmittelbare Kraft eines Überzeugungswillens in der Öffentlichkeit. Hat Georg Solti einst Schostakowitsch knapp, strikt, konzis dirigiert, so hängt Nelsons einer flexibleren, spielerischen Ausdeutung an. Mit der Musik betreten wir gleichsam eine Theaterbühne, wo glänzende Instrumental-Charakterdarsteller drei sinfonische Aktionen ohne festgelegte Story spielen – wundervoll geführt, gestaltet und beleuchtet von Andris Nelsons. Große Tragödie, Totenklage, intimes Kammerspiel, Groteske, Alsob-Balletteinlage: Der ganze Schostakowitsch-Kosmos pulst, federt, marschiert. (rh) *****