Süß und schwarz
Wie Geiger Linus Roth Russisches erkundet
Ein überaus bekanntes und ein selten gespieltes Violinkonzert vereinen den Geiger Linus Roth und Dirigent Thomas Sanderling: Tschaikowskys D-Dur-Werk ist geliebter Dauergast in den Konzertsälen, was man vom 2. Konzert op. 129 von Schostakowitsch nicht behaupten kann. Roth und Sanderling vereint auch das Engagement für Mieczyslav Weinberg, jenen Künstler, der als Verfolgter Schutz und künstlerische Achtung von Schostakowitsch in Moskau erfuhr. So lag es nahe, in diesem Kontext der russischen Seele nachzuspüren, die solche Musik ausdrückt. Schostakowitsch, unter Stalin selbst Verfolgter unter Beobachtung, schrieb sein Konzert 1967, also lange nach Stalins Tod. Doch die rauen, holzschnitthaften Gebärden des Solos im geradezu minimalistisch konstruierten 1. Satz, die verschleierte Düsternis des Adagios mit den kurzen melodischen Blüten, die scheinbare Jahrmarktfröhlichkeit des Finales mit seinen süffigen Passagen sind doppelbödig, süß und schwarz. Linus Roth schärft das Material mit kristallinem Glanz. Und es scheint so, als ob sich die Interpretation auch auf Tschaikowskys Klassik-Hit übertragen hätte. Das Feuer wird nicht gedämpft, doch in der HenleUrtextausgabe scheint man Tschaikowsky archaischer zu hören. Roths kontrastreiches, technisch perfektes Spiel macht dies deutlich. Sanderlings geschmeidige Gestaltung mit dem London Symphony Orchestra erinnert an Momente der „Pathétique“. (me) **** *