Ein seltsamer Rauswurf
FC Augsburg Die Entlassung Dirk Schusters wirft Fragen auf, bei denen ein blaues Auge und eine Platzwunde eine Rolle spielen. Der Verein begründet die Trennung mit sportlichen Motiven
Augsburg Am Dienstag schien beim FC Augsburg noch alles in Ordnung. Die Stimmung war nach der 0:1-Niederlage beim Hamburger SV nicht gerade überschäumend, doch Manager Stefan Reuter begrüßte seinen Trainer Dirk Schuster beim Trainingsauftakt aufgeräumt, mit festem Händedruck. Schuster lachte, vielleicht hatte Reuter auch einen Witz über das noch ganz leicht schimmernde blaue Auge gemacht, das Schuster zierte. Der Trainer hatte die Mütze tief ins Gesicht gezogen, nicht nur wegen der Kälte, womöglich auch, um einen Cut über dem Auge zu verbergen. Eine Verletzung, die Fragen aufwirft.
Als Reuter sich am Donnerstag erneut zur Trennung von Schuster äußert, ist die genähte Wunde ein Thema. Reuter versucht Gerüchten entgegenzusteuern. „Ich weiß nichts von einer Schlägerei. Er hat gesagt, er sei gestürzt. Und ich habe keinen Grund, das nicht zu glauben oder anzuzweifeln.“Schuster war am Sonntag nach der Niederlage in Hamburg nicht beim Training erschienen, hatte sich mit MagenDarm-Problemen entschuldigt. Statt seiner leitete Co-Trainer Sascha Franz die Übungseinheit.
Reuter verwehrt sich dagegen, die Freistellung stünde im Zusammenhang mit einem Vorfall und der Verletzung. „Das hat nichts mit unserer Entscheidung zu tun.“Vielmehr wiederholt er die Ausführungen des Vortags. Dass die sportliche Entwicklung nicht im Sinne des Vereins gewesen sei; dass man festgestellt habe, man passe nicht zusammen; dass man länger über diesen Schritt nachgedacht habe.
Öffentlich zeigten sich Reuter und Schuster harmonisch. Betonten, sie würden sich ständig austauschen. Eine enge Bindung garantierte dies nicht. Schuster soll äußerst überrascht gewesen sein, als er von seiner Entlassung erfuhr. Gestern war er telefonisch nicht zu erreichen.
Geäußert hat sich dafür aber sein Berater Ronny Zeller gegenüber unserer Zeitung. Er stellt den Vorgang so dar: „Die Wahrheit ist oft langweiliger, als man denkt. Dirk ist mit einem starken Magen-Darm-Virus aus Hamburg nach Augsburg zurückgekommen und dann in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Bad gestürzt. Er hat sich an einem Regal den Cut zugezogen, der später genäht werden musste.“
Rund eine Million Euro soll der FCA im Sommer für Schuster bezahlt haben, um ihn aus dem laufen- den Vertrag in Darmstadt auszulösen. Reuter weicht der Frage aus, ob die Verpflichtung Schusters ein Fehlgriff gewesen sei. Einmal mehr verweist er auf die Entwicklung, die nicht nach Wunsch gelaufen sei. „Wir hatten im Vorfeld klar über die Art und Weise gesprochen, wie wir den FCA spielen sehen wollen“, bekräftigt Reuter.
Zudem hatte man Schuster vergangene Saison in Darmstadt intensiv durchleuchtet. Die Verantwortlichen müssen gewusst haben, was auf sie, das Team und die Fans zukommt. Aber schon im Oktober, als die Verletztenliste noch nicht so lange war, kamen ihnen erste Bedenken an der eigenen Wahl.
Waren die Ansprüche von Schuster vielleicht gar nicht zu erfüllen? Seine Bilanz liest sich nicht so schlecht. Platz 13 mit 14 Punkten, vier Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz und das unter nicht allzu guten Bedingungen. Den FCA-Chefs reichte es auch mit Blick in die Zukunft nicht.
Dass die Beurlaubung keine Handlung im Affekt war, dafür gibt es noch andere Indizien, die jetzt im Nachgang plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Auf der Jahreshauptversammlung, die am 7. Dezember stattfand, hatte FCAChef Klaus Hofmann seinen Cheftrainer mit keinem Wort erwähnt. Dabei wäre dies ein günstiger Moment gewesen, Schuster gegen die immer lauter werdende Kritik zu verteidigen. Hofmann tat es nicht. Dafür sagte er einen Satz, von dem an diesem Abend wohl keiner der Anwesenden gedacht hätte, dass er vor allem auf Dirk Schuster gemünzt war. „Wer keine Lust mehr hat zu lernen und besser zu werden, hat keinen Platz mehr beim FC Augsburg“, hatte Hofmann seinen Vorgänger Walther Seinsch zitiert. Schuster zeigte sich scheinbar nicht mehr lernwillig. Sein Vorgänger Weinzierl hatte seinen persönlichen Stil auch mithilfe von Reuter den Erfordernissen angepasst und weiterentwickelt. Schuster ging seinen eigenen Weg.
Die Mannschaft wollte diesen nicht mehr mitgehen. Kapitän Paul Verhaegh spricht offen darüber, den Spielern habe die hundertprozentige Überzeugung gefehlt. Mit der defensiven Spielidee, die auf Verhindern von Gegentreffern beruhte, kamen sie nicht zurecht. Jahrelang hatten sie unter Trainer Markus Weinzierl offensiver agiert. „Wir waren erfolgreich, weil wir mutig gespielt haben“, erklärt Verhaegh. Zwischen den Zeilen lässt sich lesen, wie unzufrieden das Gros der Mannschaft mit Schusters Taktik war. Dazu passt, dass sich der ehemalige Trainer nicht einmal von seinem Team verabschiedet hat.
ObStefan Reuter und seine Kollegen aus der Führungsetage des FC Augsburg diesen Satz des französischen Philosophen Voltaire kennen? Egal.
Im Fall Dirk Schuster handeln sie jedenfalls nach dieser Maxime. Die ganze Wahrheit, alle Hintergründe, alle Fakten, alles, was zur Trennung vom Trainer geführt hat – das werden Reuter und Co. wahrscheinlich nie öffentlich machen. Wofür es aus ihrer Sicht sehr handfeste Gründe gibt.
Dirk Schuster besitzt beim FC Augsburg noch einen Vertrag bis 2019. Entgegen landläufig salopper Formulierung ist Schuster nicht „gefeuert“oder „entlassen“worden. Er wurde freigestellt. Das heißt: Der FCA zahlt weiter sein Gehalt. Bis zu dem Moment, an dem man sich vor Gericht oder in privaten Verhandlungen, auf eine Auflösung des Vertrages einigt. Oder bis zu dem Tag, an dem Schuster bei einem anderen Verein unterschreibt.
Im für den FCA ungünstigsten Fall könnten Schuster und seine Co-Trainer aber bis Vertragsablauf im Jahr 2019 Gehaltsempfänger des Vereins bleiben. Finanztechnisch eine unerfreuliche Aussicht.
Deshalb ist Stefan Reuter daran gelegen, dass seinem bisherigen Trainer ein einigermaßen ehrenvoller Abschied gestattet bleibt. „Unterschiedliche Auffassungen über die weitere sportliche Ausrichtung“: So steht es in der Mitteilung des Vereins. Das kann unter Fachleuten schon mal vorkommen, das beschädigt den Trainer Schuster kaum. Ausrutscher im privaten Bereich, die Auswirkungen auf den Beruf haben – das wäre dagegen ein Vorwurf, der den Arbeitnehmer Dirk Schuster hart treffen würde, der sogar andere Vereine vor einer Verpflichtung zurückschrecken lassen könnte. Weshalb Stefan Reuter und seine Mitstreiter nicht alles sagen werden, was wahr ist.