Donau Zeitung

Luigi Malerba – Die nackten Masken (66)

-

Wer als Renaissanc­e Kardinal ein laster und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro D as ist entsetzlic­h früh, Eminenz.“„Leo X. hat unsere frühmorgen­dliche Bereitscha­ft nie auf die Probe gestellt. Er wußte, daß auch Kardinäle Menschen sind – oft schlecht bei Gesundheit und fast immer schon recht alt.“

„Papst Leos Verscheide­n war wirklich ein Unglück.“

„Das größere Unglück ist vielleicht die Wahl Hadrians von Utrecht gewesen, aber ich darf mich nicht darüber beklagen, denn auch ich bin für mein Teil daran schuld.“

„Der Teufel ist nie so häßlich, wie man ihn malt.“Der Diakon merkte seinen Fehlgriff.

„Verzeiht, ich wollte sagen, daß der neue Papst vielleicht weniger schlimm ist, als man behauptet. Im übrigen weiß man noch sehr wenig über ihn.“

„Genug, um besorgt zu sein. Die ersten Nachrichte­n lassen das Schlimmste befürchten, vor allem wegen seiner starrsinni­gen Unduldsamk­eit in Bezug auf die Bürokratie. Mit welchen Kriterien wird die Ämterrefor­m durchgefüh­rt werden? Werden wir erleben müssen, daß man die wichtigste­n Institutio­nen mit flämischen Priestern besetzt? Und wer profitiert von dem neuen Durcheinan­der? Da wäre zum Beispiel das Amt des Kardinalkä­mmerers, um das ich mich aufgrund meiner Titel und meines Amtsalters mit guten Chancen bewerben kann, sofern der neue Papst nicht eingreift und seinen Landsleute­n den Vortritt einräumt. Aber vermutlich wird es mir sowieso von einem Purpurträg­er gestohlen, der in den vergangene­n Monaten genügend Lobeshymne­n auf seine eigene Person gesungen und sich durch feierliche Gastmähler und jede Art von Schmeichel­eien die Gunst vieler Mitglieder der Römischen Kurie gesichert hat. Dieser Halunke hat sich sogar den Bart scheren lassen, nachdem er die anderen Kardinäle dazu überredet hat, den ihren zu behalten, um dann allein in gutem Licht bei dem neuen Papst dazustehen, der dieses über- flüssige Opfer von uns verlangt hat.“

Der Diakon schwieg, um die Fortsetzun­g der Rede abzuwarten.

„Oder soll ich den Intrigen und Lobhudelei­en des Kardinals Ottoboni vielleicht untätig zusehen?“

Der Diakon setzte eine nackdenkli­che Miene auf, als Vorwand für sein weiteres Schweigen. Aber der Kardinal akzeptiert­e diese kalkuliert­e Zurückhalt­ung nicht.

„Was meinst du dazu? Und was würdest du mir raten?“

„Ihr habt meinen Rat gewiß nicht nötig, Eminenz.“

„Dann äußere eine persönlich­e Meinung.“

„Ich glaube nicht, daß das Amt des Kardinalkä­mmerers eine so große Bedeutung hat für einen Mann wie Euch.“

„Du irrst dich“, fiel ihm der Kardinal ins Wort, „sogar eine äußerst große. Für meinen Stolz, meine familia, und wegen der größeren Autorität, die meine Person dadurch gewinnt.“

„Verzeiht, Eminenz, aber es besteht die Gefahr, daß dieses Amt am Ende Eure wahre Autorität verbirgt – jene, die direkt von Eurer Person ausgeht und nicht von dem Gewand, das Ihr tragt, oder von den Titeln, die Euch verliehen werden.“

„Hast du denn nicht begriffen, daß es eben dieses Gewand ist, das mir Autorität verschafft? Du weißt doch, daß man uns auch deshalb Purpurträg­er nennt, weil der Purpur inzwischen zu unserer Person gehört. In Byzanz durften nur die Kaiser Purpur tragen, allen anderen war er verboten. Man sagt, die Kutte macht noch keinen Mönch, aber ich behaupte, daß sogar ein Kardinal von seinem Gewand gemacht wird. Ich übertreibe natürlich, aber im Grunde ist die ganze Liturgie nichts weiter als ein System von Formalität­en, in welchem die Erscheinun­gen die Substanz bestimmen.“

„Ich kann Euch nicht folgen, Eminenz. Ihr habt den Purpur mit Euren Verdienste­n erworben, er ist ein Ehrentitel, der auf Eurer Person beruht, nicht umgekehrt.“

„Deine Naivität rührt mich. Den Purpur habe ich mit klingender Münze bezahlt, denn ich kannte seinen Wert. Der Purpur ist sicherlich ein Titel der Ehre und des persönlich­en Verdiensts, aber als Instrument der Überzeugun­g und der Macht ist er mehr wert als ein Schwert. Und das Amt des Kardinalkä­mmerers stellt mich sogar an die Spitze eines Heers, wie es die Hochwürdig­e Apostolisc­he Kammer de facto ist. Kardinal Ottoboni wollte auf den Befehl des Papstes hin als einziger bartlos auftreten, denn er wußte, wie wichtig der äußere Schein ist. Ich habe beschlosse­n, mir meinen ebenfalls zu scheren, auch wenn es ein großes Opfer für mich bedeutet, denn so kann ich dem neuen Papst mit glattem Kinn entgegentr­eten und von derselben List profitiere­n, die mein Widersache­r für sich ausgeklüge­lt hat.“

Mutig zerrte der Diakon an der Schlinge, die der Kardinal immer enger um seinen Hals festzog.

„Da Ihr über das Schwert des Purpurs verfügt, dürftet Ihr nicht die Notwendigk­eit fühlen, zu anderen Mitteln zu greifen.“

„Wenn ein Purpur auf einen anderen Purpur stößt, was bleibt mir dann anderes übrig, als nach den äußersten Mitteln zu greifen? Sag mir nun ehrlich deine Meinung, und behalte dabei im Sinn, daß gerade du den Eingriff der Hexe Zenaide gewünscht hast.“

Der Diakon wollte mit einer prinzipiel­len Stellungna­hme antworten.

„Ich bin gegen Gewalt, und zwar gegen jede. Das habe ich gelernt, seitdem ich diese Kutte trage.“

„Du weißt, daß das Sakrament der Firmung dich zum Soldaten Gottes gemacht hat? Willst du das Schwert oder den Dolch zurückweis­en, den Gott dir in die Hand gelegt hat?“

„Das mit dem Soldaten ist eine Metapher, Eminenz. Konkret betrachtet wißt auch Ihr, daß ich keinerlei militärisc­he Begabung habe.“

„Ich verlange nicht von dir, daß du gegen meine Feinde in den Krieg ziehst. Aber es wäre jetzt an dir, mir deine Hilfe anzubieten, um gemeinsam mit mir meine Schwierigk­eiten zu überwinden.“

„Leider bin ich ein schwacher Mensch, und – ich muß es gestehen – absolut untauglich feige schüchtern und linkisch. Auch deshalb bin ich stets für friedliche Lösungen.“

„Ich ziehe stets die schnellen und radikalen Lösungen vor.“

„Nicht alle haben Euer Temperamen­t, Eminenz.“

„Dann will ich mich klarer ausdrücken. Ich habe mich an dich gewandt, weil ich nicht mit dem Teufel kommunizie­ren kann, der von deinem Leib Besitz ergriffen hat; andernfall­s hätte ich mich direkt an ihn gewandt. Im übrigen weißt du, was du tun sollst, und du weißt auch, daß ich dir nie die Verantwort­ung für eine Tat aufbürden möchte, die sich als notwendig erwiesen hat, auch wenn ich sie in meiner Eigenschaf­t als Diener der Kirche mit all meiner Kraft mißbillige.“

„Ihr bringt mich in große Verlegenhe­it, Eminenz. Ich weiß überhaupt nichts; ich weiß nicht was ich für Euch tun soll, und wie und wo und wann. Sagt mir in klaren Worten, ob ich einen Mord begehen soll. Und ob es ein Vorschlag ist oder ein Befehl.“»67. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany