Er kocht anders
Reportage In speziellen Kursen lernen selbst weniger begabte Männer, anständig zu kochen. Wer auf den Geschmack kommt, kauft allerlei Hightech, verschlingt Fachliteratur – und hinterlässt gerne ein Schlachtfeld in der Küche. Ein Besuch am Tatort
Augsburg Es ist der Moment, in dem eine Frau den Mann mit seinen eigenen Waffen schlägt. Nadia Sagona schaut einem ihrer Schüler im Kochkurs über die Schulter und sagt, ohne den Mundwinkel zu verziehen, mit bestimmtem Ton: „Das Olivenöl immer im Uhrzeigersinn auf dem Blech verteilen.“
Das scheint der ultimative Tipp zu sein, damit der Pizzateig nicht anbrennt. Ja, die Kochlehrerin wurde sicher von ihren sizilianischen Verwandten in die innersten Geheimnisse rechtsdrehenden Olivenöls eingeweiht. Nadia, wie die Chefin in dem unter Duz-Vorgabe stehenden Kochkurs in Augsburg genannt wird, schaut den brav im Uhrzeigersinn das Olivenöl verstreichenden Mann an. Mit einem leicht triumphierenden Lächeln zerstört sie nun die Illusion des Schülers, er übe sich in einer sizilianischen Spezialtechnik. „Das ist Quatsch mit dem Uhrzeigersinn“, sagt die Frau, deren Vorname wie bei allen Teilnehmern auf ein Kreideherz geschrieben ist, das mit einer Wäscheklammer auf schwarzen Schürzen festgeklemmt wird.
Dass Nadias Scherz funktioniert, liegt an ihrem Wissen, dass Männer anders kochen, wissenschaftlicher an die Materie herangehen als viele Frauen, für die das praktische Motiv im Vordergrund steht, eine Mahlzeit für die Familie rasch und gut zuzubereiten.
Manche Männer, haben sie sich einmal durchgerungen, den Herd zu erobern, kochen, als würden sie in der Garage lustvoll-experimentie- rend an alten Autos herumschrauben oder im Hobbykeller eine immer größere und technisch ausgefeiltere Spielzeug-Eisenbahnlandschaft entwerfen. Dazu bedarf es natürlich meterweise Fachliteratur, und schränkeweise Werkzeug.
Bei Nadias lustigem und lehrreichem Schulungsabend für 79 Euro schlagen solch Extrem-Freizeitköche meist noch nicht auf. Dabei könnten selbst diese Künstler ihre Messertechnik optimieren, schließlich gilt es, für die Vorspeise Orangen zu präparieren, was gerade für ungeübte Filetierer eine Herausforderung darstellt. Raffiniert geht es auch bei der Nachspeise zu. Hier wird Männern äußerstes Feingefühl abverlangt. Denn Nadia hat biologische Luftballons gekauft (so etwas gibt es wirklich). Die Teilnehmer des Kochkurses – in der Mehrzahl Männer – dürfen die ungewöhnlichen Objekte aufblasen, wobei sie nicht zu voluminös werden sollen. Am Ende werden die Mini-Ballons in heiße Schokolade getaucht und zum Erkalten in einen Becher gestellt.
Das ist ein Experiment nach dem Geschmack kochwissensdurstiger Männer. Sie sammeln sich um die Glasur-Versuchsanordnung. Auch solche, die bisher eher distanziert der Zubereitung von Pizza und Pasta gefolgt sind, probieren ihr schokoladiges Glück. Am Ende werden all die luftgefüllten Bio-Ballons mit braunem Köpfchen auf ein Tablet gestellt. Nadia schreitet der Erkaltungsprozess zu langsam voran. Sie schickt zwei Männer mit dem Tablett raus auf ein enges Gässchen. Dort sollen sie eine Weile, das Tablett in die Kälte haltend, ausharren.
Ein blöder Job, mit hohem Potenzial zu scheitern. Denn das Tablett ist voll und schwer. Doch Nadia traut Männern eine Menge zu. Die Chefin der Kochschule muss sich dabei auf unterschiedliche Typen einstellen. Manche Schüler bringen ihr eigenes Messer mit, ein anderer hat sie schon mal gefragt, ob er für einen Salat die Tomaten erst schneiden und dann waschen solle oder doch die umgekehrte Taktik vorzuziehen sei. Die Expertin lacht.
Aber jetzt muss die Schokolade doch endlich erkaltet sein. Es geht zurück zur großen Kochinsel. Alles geht gut. Dort steht nun der sensible Teil der Dessert-Montage an. Die Ballons werden aufgeknotet, sodass die Luft sanft entweicht. Danach drehen die Schüler die Schokoladenhauben um. Sie werden mit einem Beerensorbet befüllt und auf zuvor mit Minzblättchen und Puderzucker dekorierte Teller platziert. Einer aus der Runde ist ganz verrückt nach dem Puderzucker-Streuer, der sich wie ein Salzstreuer handhaben lässt: „So etwas habe ich noch nie gesehen. Das brauche ich auch.“
Männer im fortgeschrittenen Koch-Stadium wollen haben, haben, haben. Dafür brauchen sie vor allem Platz, Platz und noch mal Platz. Harald, ein schlanker, groß gewachsener Kochkurs-Teilnehmer mit Zopf, der beruflich Unternehmens-Strategien entwirft und „Führungskräfte entwickelt“, hat seine private Küche zum Zentrum des Penthauses gemacht: „Das war das Erste, was wir geplant haben.“
Dass der Mann ein Kochprofi ist, kann er nicht leugnen. Seine Technik, Orangen zu filetieren, sticht heraus. Als Nadia schließlich bittet, den Orangensalat noch einmal abzuschmecken, prescht Harald vor: „Da gehört noch Honig rein!“Er will einen süßen Kontrast zur Säure der Zitrusfrucht setzen.
Nadia schaut nun an dem Abend das einzige Mal streng und greift durch: „Kein Honig!“Aber Männer experimentieren doch so gerne beim Essen. Vielleicht kochen viele deswegen am liebsten unbeaufsichtigt von Frauen, nachdem sie zuvor die Familienküche Schublade für Schublade erobert haben. Dabei geht die Erlangung der Vorherrschaft über die Küche oft mit einer subtilen Guerillataktik einher. Die Augsburger Koch-Pädagogin Bianca Burkhardt kennt die trickreiche Methode. So kaufen Männer ihren noch die Küche dominierenden Frauen ausgefeilte und teure Kochutensilien, die sie sich eigentlich selbst wünschen.
Immer neue Gerätschaften tauchen auf, Dinge, die eher pragmatisch kochende Frauen sich selten anschaffen würden. Dabei muss es schon mal der „Beefer One Pro“für 899 Euro sein. Beworben wird das Premiumgerät im Männer-Fachkoch-Magazin Beef! mit dem verlockenden Versprechen: „800 Grad, wir kommen.“Auf der einschlägigen Internet-Adresse „www.beefer.de“werden die Vorzüge solcher Höllenapparate angepriesen: „Während ein konventioneller Grill das bel schälen und in große Würfel schnei den. Den Apfel mitsamt Kerngehäuse ebenfalls in grobe Würfel schneiden. Zwiebel und Apfelstücke vermischen und mit Salz und Ente und Gans Gewürz würzen.
Von der Gans die Flügelknochen ab schneiden und alle Innereien entfernen. In nen und außen waschen und trocken tup fen.
Die Bauchhöhle der Gans mit der Zwie bel Apfel Mischung füllen. Die Gans mit der Bauchseite nach oben in einen Bräter legen und die Flügelknochen mit dem Gän sehals danebenlegen.
Die Brühe angießen, einen Deckel auf Fleisch über einen längeren Zeitraum bei 400 Grad Celsius gart, karamellisiert der Beefer die Außenhaut bei 800 Grad Celsius in Sekunden und zaubert so Kurzgebratenes der Extraklasse.“Oder wie wäre es mit dem ultimativen Küchen-Hammer, dem Paco-Jet, mit dem sich Tiefgefrorenes unter Höllenlärm zu traumhaften Mousses, Farcen, Saucen und Eiscremes fräsen lässt. Für das Wahnsinnsgerät sind rund 4000 Euro und viel mehr anzulegen.
So weit gehen wenige Hobby-Köche, aber Küchen werden immer mehr aufgerüstet – und sei es durch den Thermomix von Vorwerk, mit dem man nicht nur mixen, mahlen, zerkleinern, vermischen, schlagen, rühren und kneten kann, sondern mit dem sich auch kochen, dampfgaren, wiegen, Sauce Hollandaise kreieren, ja sogar Mayonnaise oder ein schönes Risotto zaubern lässt.
Carsten Otte hat ein Buch über kochende Technik-Freaks geschrieben. Er outet sich selbstironisch als „Gastrosexueller“, also als Mann, für den Kochen zur großen Leidenschaft geworden ist. So sagt er: „Unsere Väter sind vor 30 Jahren samstags Tennis spielen gegangen und haben ihr Auto geputzt.“Heute sei aber Kochen zum Statussymbol für viele Männer geworden – mit großem technischen Aufwand und wahnwitziger Finesse. Otte räumt offen ein: „Wer in meine Küche kommt, wundert sich: Da gibt es digitale Wasserbäder, seltsame Kopffräsen und Rächerpfeifen.“Dieser Mann strebt zur Perfektion: „Ich jage Stickstoff durch den Kartoffelbrei, um den feinsten Kartoffelbrei aller Zeiten herzustellen.“
Der Koch-Extremist ist ein besonderer Fall. Mit den männlichen Normalo-Köchen hat Bianca Burkhardt zu tun. In ihren Kursen für den „VerbraucherService Bayern“und die Augsburger Volkshochschule versucht sie den Schülern Grundlegendes beizubringen. Die gelernte Fachoberlehrerin für Handarbeit und Hauswirtschaft will gerade Männer davon überzeugen, wie vorteilhaft es ist, das Aufräumen des Kriegsschauplatzes Küche nicht weit nach hinten, also auf die Zeit nach dem Essen, zu verschieben. So glücklich bekocht können Frauen nämlich gar nicht sein, als dass sie nach den Macho-Essens-Festspielen die Nase nicht in den Zubereitungsort der Köstlichkeiten stecken, um resigniert-lächelnd auszurufen: „Das sieht ja wieder wie ein Schlachtfeld aus!“
So weit muss es nicht kommen. Burkhardt rät Männern eine Technik, wie sie vielen Frauen von jeher vertraut ist: „Nehmen Sie während des Kochens nicht so viel Geschirr und spülen Sie es am Ende immer wieder ab.“So sollten nur die für das Essen benutzten Teller sowie einige Töpfe und Pfannen übrig bleiben. Ein sinnvoller Vorschlag, aber woher nur die Zeit dafür nehmen, wenn der schon drei bis vier Tage marinierte Wildschweinrücken angebraten wird und auch Staudensellerie wie Möhren zu zerkleinern sind. Versteht das doch: Mann kocht einfach anders.