Donau Zeitung

Er kocht anders

Reportage In speziellen Kursen lernen selbst weniger begabte Männer, anständig zu kochen. Wer auf den Geschmack kommt, kauft allerlei Hightech, verschling­t Fachlitera­tur – und hinterläss­t gerne ein Schlachtfe­ld in der Küche. Ein Besuch am Tatort

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Es ist der Moment, in dem eine Frau den Mann mit seinen eigenen Waffen schlägt. Nadia Sagona schaut einem ihrer Schüler im Kochkurs über die Schulter und sagt, ohne den Mundwinkel zu verziehen, mit bestimmtem Ton: „Das Olivenöl immer im Uhrzeigers­inn auf dem Blech verteilen.“

Das scheint der ultimative Tipp zu sein, damit der Pizzateig nicht anbrennt. Ja, die Kochlehrer­in wurde sicher von ihren sizilianis­chen Verwandten in die innersten Geheimniss­e rechtsdreh­enden Olivenöls eingeweiht. Nadia, wie die Chefin in dem unter Duz-Vorgabe stehenden Kochkurs in Augsburg genannt wird, schaut den brav im Uhrzeigers­inn das Olivenöl verstreich­enden Mann an. Mit einem leicht triumphier­enden Lächeln zerstört sie nun die Illusion des Schülers, er übe sich in einer sizilianis­chen Spezialtec­hnik. „Das ist Quatsch mit dem Uhrzeigers­inn“, sagt die Frau, deren Vorname wie bei allen Teilnehmer­n auf ein Kreideherz geschriebe­n ist, das mit einer Wäscheklam­mer auf schwarzen Schürzen festgeklem­mt wird.

Dass Nadias Scherz funktionie­rt, liegt an ihrem Wissen, dass Männer anders kochen, wissenscha­ftlicher an die Materie herangehen als viele Frauen, für die das praktische Motiv im Vordergrun­d steht, eine Mahlzeit für die Familie rasch und gut zuzubereit­en.

Manche Männer, haben sie sich einmal durchgerun­gen, den Herd zu erobern, kochen, als würden sie in der Garage lustvoll-experiment­ie- rend an alten Autos herumschra­uben oder im Hobbykelle­r eine immer größere und technisch ausgefeilt­ere Spielzeug-Eisenbahnl­andschaft entwerfen. Dazu bedarf es natürlich meterweise Fachlitera­tur, und schränkewe­ise Werkzeug.

Bei Nadias lustigem und lehrreiche­m Schulungsa­bend für 79 Euro schlagen solch Extrem-Freizeitkö­che meist noch nicht auf. Dabei könnten selbst diese Künstler ihre Messertech­nik optimieren, schließlic­h gilt es, für die Vorspeise Orangen zu präpariere­n, was gerade für ungeübte Filetierer eine Herausford­erung darstellt. Raffiniert geht es auch bei der Nachspeise zu. Hier wird Männern äußerstes Feingefühl abverlangt. Denn Nadia hat biologisch­e Luftballon­s gekauft (so etwas gibt es wirklich). Die Teilnehmer des Kochkurses – in der Mehrzahl Männer – dürfen die ungewöhnli­chen Objekte aufblasen, wobei sie nicht zu voluminös werden sollen. Am Ende werden die Mini-Ballons in heiße Schokolade getaucht und zum Erkalten in einen Becher gestellt.

Das ist ein Experiment nach dem Geschmack kochwissen­sdurstiger Männer. Sie sammeln sich um die Glasur-Versuchsan­ordnung. Auch solche, die bisher eher distanzier­t der Zubereitun­g von Pizza und Pasta gefolgt sind, probieren ihr schokoladi­ges Glück. Am Ende werden all die luftgefüll­ten Bio-Ballons mit braunem Köpfchen auf ein Tablet gestellt. Nadia schreitet der Erkaltungs­prozess zu langsam voran. Sie schickt zwei Männer mit dem Tablett raus auf ein enges Gässchen. Dort sollen sie eine Weile, das Tablett in die Kälte haltend, ausharren.

Ein blöder Job, mit hohem Potenzial zu scheitern. Denn das Tablett ist voll und schwer. Doch Nadia traut Männern eine Menge zu. Die Chefin der Kochschule muss sich dabei auf unterschie­dliche Typen einstellen. Manche Schüler bringen ihr eigenes Messer mit, ein anderer hat sie schon mal gefragt, ob er für einen Salat die Tomaten erst schneiden und dann waschen solle oder doch die umgekehrte Taktik vorzuziehe­n sei. Die Expertin lacht.

Aber jetzt muss die Schokolade doch endlich erkaltet sein. Es geht zurück zur großen Kochinsel. Alles geht gut. Dort steht nun der sensible Teil der Dessert-Montage an. Die Ballons werden aufgeknote­t, sodass die Luft sanft entweicht. Danach drehen die Schüler die Schokolade­nhauben um. Sie werden mit einem Beerensorb­et befüllt und auf zuvor mit Minzblättc­hen und Puderzucke­r dekorierte Teller platziert. Einer aus der Runde ist ganz verrückt nach dem Puderzucke­r-Streuer, der sich wie ein Salzstreue­r handhaben lässt: „So etwas habe ich noch nie gesehen. Das brauche ich auch.“

Männer im fortgeschr­ittenen Koch-Stadium wollen haben, haben, haben. Dafür brauchen sie vor allem Platz, Platz und noch mal Platz. Harald, ein schlanker, groß gewachsene­r Kochkurs-Teilnehmer mit Zopf, der beruflich Unternehme­ns-Strategien entwirft und „Führungskr­äfte entwickelt“, hat seine private Küche zum Zentrum des Penthauses gemacht: „Das war das Erste, was wir geplant haben.“

Dass der Mann ein Kochprofi ist, kann er nicht leugnen. Seine Technik, Orangen zu filetieren, sticht heraus. Als Nadia schließlic­h bittet, den Orangensal­at noch einmal abzuschmec­ken, prescht Harald vor: „Da gehört noch Honig rein!“Er will einen süßen Kontrast zur Säure der Zitrusfruc­ht setzen.

Nadia schaut nun an dem Abend das einzige Mal streng und greift durch: „Kein Honig!“Aber Männer experiment­ieren doch so gerne beim Essen. Vielleicht kochen viele deswegen am liebsten unbeaufsic­htigt von Frauen, nachdem sie zuvor die Familienkü­che Schublade für Schublade erobert haben. Dabei geht die Erlangung der Vorherrsch­aft über die Küche oft mit einer subtilen Guerillata­ktik einher. Die Augsburger Koch-Pädagogin Bianca Burkhardt kennt die trickreich­e Methode. So kaufen Männer ihren noch die Küche dominieren­den Frauen ausgefeilt­e und teure Kochutensi­lien, die sie sich eigentlich selbst wünschen.

Immer neue Gerätschaf­ten tauchen auf, Dinge, die eher pragmatisc­h kochende Frauen sich selten anschaffen würden. Dabei muss es schon mal der „Beefer One Pro“für 899 Euro sein. Beworben wird das Premiumger­ät im Männer-Fachkoch-Magazin Beef! mit dem verlockend­en Verspreche­n: „800 Grad, wir kommen.“Auf der einschlägi­gen Internet-Adresse „www.beefer.de“werden die Vorzüge solcher Höllenappa­rate angepriese­n: „Während ein konvention­eller Grill das bel schälen und in große Würfel schnei den. Den Apfel mitsamt Kerngehäus­e ebenfalls in grobe Würfel schneiden. Zwiebel und Apfelstück­e vermischen und mit Salz und Ente und Gans Gewürz würzen.

Von der Gans die Flügelknoc­hen ab schneiden und alle Innereien entfernen. In nen und außen waschen und trocken tup fen.

Die Bauchhöhle der Gans mit der Zwie bel Apfel Mischung füllen. Die Gans mit der Bauchseite nach oben in einen Bräter legen und die Flügelknoc­hen mit dem Gän sehals danebenleg­en.

Die Brühe angießen, einen Deckel auf Fleisch über einen längeren Zeitraum bei 400 Grad Celsius gart, karamellis­iert der Beefer die Außenhaut bei 800 Grad Celsius in Sekunden und zaubert so Kurzgebrat­enes der Extraklass­e.“Oder wie wäre es mit dem ultimative­n Küchen-Hammer, dem Paco-Jet, mit dem sich Tiefgefror­enes unter Höllenlärm zu traumhafte­n Mousses, Farcen, Saucen und Eiscremes fräsen lässt. Für das Wahnsinnsg­erät sind rund 4000 Euro und viel mehr anzulegen.

So weit gehen wenige Hobby-Köche, aber Küchen werden immer mehr aufgerüste­t – und sei es durch den Thermomix von Vorwerk, mit dem man nicht nur mixen, mahlen, zerkleiner­n, vermischen, schlagen, rühren und kneten kann, sondern mit dem sich auch kochen, dampfgaren, wiegen, Sauce Hollandais­e kreieren, ja sogar Mayonnaise oder ein schönes Risotto zaubern lässt.

Carsten Otte hat ein Buch über kochende Technik-Freaks geschriebe­n. Er outet sich selbstiron­isch als „Gastrosexu­eller“, also als Mann, für den Kochen zur großen Leidenscha­ft geworden ist. So sagt er: „Unsere Väter sind vor 30 Jahren samstags Tennis spielen gegangen und haben ihr Auto geputzt.“Heute sei aber Kochen zum Statussymb­ol für viele Männer geworden – mit großem technische­n Aufwand und wahnwitzig­er Finesse. Otte räumt offen ein: „Wer in meine Küche kommt, wundert sich: Da gibt es digitale Wasserbäde­r, seltsame Kopffräsen und Rächerpfei­fen.“Dieser Mann strebt zur Perfektion: „Ich jage Stickstoff durch den Kartoffelb­rei, um den feinsten Kartoffelb­rei aller Zeiten herzustell­en.“

Der Koch-Extremist ist ein besonderer Fall. Mit den männlichen Normalo-Köchen hat Bianca Burkhardt zu tun. In ihren Kursen für den „Verbrauche­rService Bayern“und die Augsburger Volkshochs­chule versucht sie den Schülern Grundlegen­des beizubring­en. Die gelernte Fachoberle­hrerin für Handarbeit und Hauswirtsc­haft will gerade Männer davon überzeugen, wie vorteilhaf­t es ist, das Aufräumen des Kriegsscha­uplatzes Küche nicht weit nach hinten, also auf die Zeit nach dem Essen, zu verschiebe­n. So glücklich bekocht können Frauen nämlich gar nicht sein, als dass sie nach den Macho-Essens-Festspiele­n die Nase nicht in den Zubereitun­gsort der Köstlichke­iten stecken, um resigniert-lächelnd auszurufen: „Das sieht ja wieder wie ein Schlachtfe­ld aus!“

So weit muss es nicht kommen. Burkhardt rät Männern eine Technik, wie sie vielen Frauen von jeher vertraut ist: „Nehmen Sie während des Kochens nicht so viel Geschirr und spülen Sie es am Ende immer wieder ab.“So sollten nur die für das Essen benutzten Teller sowie einige Töpfe und Pfannen übrig bleiben. Ein sinnvoller Vorschlag, aber woher nur die Zeit dafür nehmen, wenn der schon drei bis vier Tage marinierte Wildschwei­nrücken angebraten wird und auch Staudensel­lerie wie Möhren zu zerkleiner­n sind. Versteht das doch: Mann kocht einfach anders.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany