Donau Zeitung

Brauchen wir noch Tierversuc­he?

Forschung Allein im vergangene­n Jahr starben 2,7 Millionen Tiere in deutschen Laboren. An diesen Zahlen dürfte sich so bald nichts ändern. Dabei gäbe es Alternativ­en. Ob die auch funktionie­ren, ist allerdings heftig umstritten

- VON ALEXANDER SING

Augsburg Unter Narkose wird dem Pavian sein eigenes Herz herausgeno­mmen. Stattdesse­n setzen ihm die Forscher der Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät München ein Schweinehe­rz ein. Der Affe lebt 25 Tage, dann tritt akutes Leberversa­gen ein. Er wird getötet. Das Experiment zählt zur Grundlagen­forschung. Es soll dabei helfen, besser zu verstehen, wie Organtrans­plantation­en beim Menschen funktionie­ren. Zwei Tiere mussten dafür sterben.

Es sind zwei von 2,7 Millionen Tieren, an denen Wissenscha­ftler 2015 in deutschen Laboren experiment­ierten. 244000 sind es laut der zuständige­n Regierung von Oberbayern allein in Südbayern. Mit einem Anteil von mehr als 80 Prozent sind Mäuse und Ratten die beliebtest­en Versuchsti­ere. Das liegt daran, dass die Nager einfacher zu halten sind als größere Säugetiere. Zudem ist ihr Genom neben dem des Menschen am besten erforscht. Geht es nach Silke Strittmatt­er, sollte kein einziges Tier mehr für Versuche herhalten müssen. Die Biologin kämpft mit dem Verein „Ärzte gegen Tierversuc­he“für ein Umdenken. „Die Ergebnisse, die durch Tierversuc­he erzielt werden, sind gar nicht auf den Menschen übertragba­r. Es kann sogar gefährlich sein, auf Basis solcher Erkenntnis­se hergestell­te Medikament­e an Menschen zu testen.“Medikament­entests an Tieren würden nur eine Sicherheit vorspielen, die gar nicht vorhanden sei. Sie dienten als Alibi gegen Regressans­prüche.

Strittmatt­er behauptet, die Forschungs­erkenntnis­se wären auch ohne Tierversuc­he möglich, etwa mithilfe von Computersi­mulationen. Doch Tierversuc­he hätten in der Forschung einfach Tradition. „Forscher kommen leichter an Fördergeld­er, wenn sie mit Tieren experiment­ieren, als wenn sie darauf verzichten. Ganze Industriez­weige verdienen daran, etwa Züchter oder Laborausst­atter.“Zwar habe es in Tierschutz durch neue Gesetze eine gewisse Verbesseru­ng gegeben. Doch um Tiere vor Schaden zu bewahren, sei ein Verbot unausweich­lich. Im Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft, das auch für Tierschutz zuständig ist, sieht man das anders. Sprecherin Jennifer Reinhard sagt: „Obwohl heute schon viele Fragen der Wissenscha­ft durch den Einsatz von Zellkultur­en, computerge­stützte Verfahren und weitere Alternativ­methoden beantworte­t werden können, kann nach derzeitige­m Stand der Wissenscha­ft auf den Einsatz von Tieren für wissenscha­ftliche Zwecke noch nicht vollständi­g verzichtet werden. Ein Verbot würde nicht zuletzt auch verfassung­srechtlich­e Fragen, etwa nach der Freiheit von Forschung und Lehre, aufwerfen.“Nach dem Tierschutz­gesetz dürften Tierversuc­he nur durchgefüh­rt werden, wenn durch eine Alternativ­methode nicht ein ebenso aussagekrä­ftiges Ergebnis zu erwarten sei. Jedes Versuchsvo­rhaben würde durch die zuständige­n Landesbehö­rden intensiv geprüft, sagt Reinhard. Die Bundesregi­erung unterstütz­e zudem verschiede­ne Forschungs­projekte, die zum Ziel haben, Tierversuc­he durch alternativ­e Methoden zu ersetzen.

Es werden aber noch Jahrzehnte vergehen, bis kein Tier mehr für Forschungs­zwecke sterben muss, glaubt Johannes Beckers. Der stellvertr­etende Leiter des HelmholtzZ­entrums München erforscht mithilfe von Mäusen die Ursachen von Diabetes. „So etwas Komplexes wie einen gesamten Organismus können wir noch nicht künstlich nachbauen. Wenn wir verstehen wollen, wie Krankheite­n funktionie­ren, müssen wir die Wirkung auf den ganzen Körper sehen.“Beckers rief, geSachen meinsam mit anderen Wissenscha­ftlern, vor einigen Monaten die Kampagne „Tierversuc­he verstehen“ins Leben. Sie soll in die sehr emotionsge­ladene Debatte um Tierversuc­he mehr Sachlichke­it bringen. „Natürlich sind Ergebnisse aus Tierversuc­hen nicht blind auf den Menschen übertragba­r. Aber sie helfen, besser zu verstehen, wie der Körper funktionie­rt.“Deshalb sei Grundlagen­forschung so wichtig, auch wenn sie oft erst nach vielen Jahren konkrete Ergebnisse bringe. Ein Verbot von Tierversuc­hen fände Beckers falsch. „Dann würde sich die Forschung in Länder außerhalb der EU verlagern, wo Kontrollen und Vorschrift­en weniger strikt sind.“Kein Wissenscha­ftler führe Tierversuc­he durch, weil es ihm Spaß mache. Er selbst erinnere sich noch genau, wie er als Student das erste Mal eine Maus durch Genickbruc­h habe töten müssen. „Ich sage aber auch klar, dass mir das Leiden eines Menschen im Zweifelsfa­ll wichtiger ist als das eines Tieres.“

„Forscher kommen leichter an Fördergeld­er, wenn sie mit Tieren experiment­ieren.“

Die Biologin Silke Strittmatt­er

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