Anschlag vor laufender Kamera
Attentat Der russische Botschafter Andrej Karlow wird in Ankara getötet. Der Angreifer ist ein türkischer Polizist. Was bedeutet das für die Beziehungen zwischen beiden Ländern?
Ankara Als der glatt rasierte junge Mann im schwarzen Anzug am Montagabend das Zentrum für Zeitgenössische Kunst in der türkischen Hauptstadt Ankara betritt und sich als Polizist ausgibt, schöpft niemand Verdacht. Der 22-Jährige ist tatsächlich Polizist. Doch er ist nicht gekommen, um Menschen zu schützen, sondern um zu töten.
In dem Zentrum wird der russische Botschafter Andrej Karlow erwartet, weshalb die schon anwesenden Polizisten offenbar glauben, es handele sich bei dem jungen Kollegen, der später als Mert Altintas identifiziert werden wird, um einen Personenschützer. Als Karlow eintrifft und seine Rede anlässlich einer Ausstellungseröffnung beginnt, zieht Altintas eine Pistole und schießt dem Botschafter mehrmals in den Rücken.
„Gott ist groß“, schreit Altintas anschließend, während Karlow regungslos am Boden liegt und die Ausstellungsgäste in Panik aus der Galerie stürmen. Eine Fernsehkamera, mit der die Rede des Botschafters aufgezeichnet werden sollte, filmt den gespenstischen Auftritt. „Vergesst Aleppo nicht, vergesst Syrien nicht“, ruft der junge Mann auf Türkisch. „Solange unsere Städte nicht sicher sind, seid ihr auch nicht sicher.“Dabei hält er die Pistole in der rechten Hand und den gestreckten Zeigefinger der linken Hand hoch – das Zeichen radikaler Islamisten. Wenig später wird Altintas von einem Einsatzkommando der Polizei erschossen. Karlow, von bis zu acht Kugeln getroffen, stirbt im Krankenhaus.
Noch während die Ärzte ihren vergeblichen Kampf um das Leben des Diplomaten führen, geht die Diskussion darüber los, wie ein solcher Anschlag geschehen konnte. Altintas war ein Beamter einer Sondereinheit der Polizei Ankara und konnte offenbar deshalb unbehelligt zu dem Botschafter vordringen. Dabei hätten die Behörden wissen müssen, dass russische Diplomaten in der Türkei derzeit sehr gefährdet sind. Seit Tagen gibt es Protestdemonstrationen vor russischen Vertretungen im Land, die sich gegen die Politik Moskaus in Syrien richten. Präsident Wladimir Putin ist der wichtigste Unterstützer des syrischen Staatschefs Bashar al-Assad.
Für die türkische Regierung kommt der Anschlag zu einem heiklen Zeitpunkt. Am heutigen Dienstag wollen sich Politiker der Türkei, Russlands und des Iran zusammensetzen, um über Syrien zu sprechen. Nach einer monatelangen Krise nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe an der Grenze zu Syrien 2015 hatten sich die türkisch-russischen Beziehungen zuletzt wieder erholt.
Putin hat nach dem Vorfall eine intensive Suche nach den Drahtziehern angekündigt. „Wir müssen wissen, wer die Hand des Mörders führte“, sagte er nach Angaben der Agentur Interfax. Als Antwort auf den Mord werde Russland seinen Kampf gegen den Terror verstärken. „Die Banditen werden es zu spüren bekommen.“Putin ordnete die Bildung einer Ermittlergruppe an, die gemeinsam mit türkischen Behörden die Bluttat untersuchen soll. Der Mord sei eine Provokation, die das zwischenstaatliche Verhältnis stören soll.
Ähnlich wie der Kremlchef äußerte sich der türkische Präsident Erdogan fast zeitgleich in einer TVAnsprache. (mit dpa)