Donau Zeitung

Der Schock in Berlin sitzt tief

Anschlag Es ist ein Durcheinan­der aus fliehenden Menschen, zerstörten Buden und dem Hupen der Martinshör­ner: Wie Augenzeuge­n den schrecklic­hen Vorfall bei der Gedächtnis­kirche erlebten

- VON RUDI WAIS

Berlin Paris ist 21 Jahre jung und gerade auf dem Weg in eine nahegelege­ne Bar, als die sonst so abstrakte Angst vor dem Terror plötzlich sehr real wird. „Vorsicht, er hat eine Waffe“ruft ein Passant – und meint damit offenbar den Fahrer des Lastwagens, der gerade in den Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche in Berlin gerast ist.

Ob das stimmt oder ob jemandem in diesem Durcheinan­der aus fliehenden Menschen, zusammenge­brochenen Bretterbud­en und dem Hupen der Martinshör­ner seine Fantasie einen Streich gespielt hat, weiß allerdings auch Paris nicht, der gerade eine Ausbildung zum Einzelhand­elskaufman­n macht und eigentlich nur einen unbeschwer­ten Abend verbringen will.

Die Frage, wie es ihm gehe, mag er schon gar nicht mehr beantworte­n, zu tief sitzt der Schock. „Wir kamen aus dem S-Bahnhof“, erzählt er dann noch, „uns liefen viele Leute entgegen. Ich dachte sofort, es war ein Anschlag. Und wir hatten Angst um unsere Mütter, die auf dem Weihnachts­markt waren.“Am Anfang seien nur zwei Polizisten vor Ort gewesen, erinnert sich Paris. Sie hätten extrem laut „weg, weg“geschrien. Frauen hätten begonnen zu weinen, ein Mann sei in Ohnmacht gefallen. „Ein anderer schrie Bombe, Bombe. Nur wenige Leute sind ruhig geblieben und ich sah mehrere Personen regungslos am Boden liegen.“Das Wichtigste aber für Paris und seine Freunde: Ihre Mütter sind in Sicherheit.

Berlin, Breitschei­dplatz. Ein Video, gedreht von einem Mitarbeite­r der Berliner Morgenpost, zeigt gespenstis­che Szenen: Menschen, die wie tot vor Glühwein- und Imbissbude­n liegen, andere Besucher, die sich um sie kümmern, und einen großen Sattelschl­epper einer polnischen Firma, der weit in den Markt hineingesc­hlittert ist, gut und gerne 50 Meter. Die Frontschei­be ist zersplitte­rt, die Fahrerkabi­ne leer, am Boden offenbar weitere Opfer, die im Halbdunkel aber nur zu erahnen sind.

Erste Meldungen, es habe sich um einen tragischen Unfall mit einem Toten und mehreren Verletzten gehandelt, weichen bald einer erschütter­nden Erkenntnis: Die Polizei geht früh schon von einem Anschlag aus. Eine halbe Stunde später ist bereits von mindestens neun Toten und etwa 50 teilweise Schwerverl­etzten die Rede, angeblich soll auch ein Schuss gefallen sein – bis Redaktions­schluss dieser Ausgabe allerdings gibt es weder dafür eine Bestätigun­g noch präzisere Informatio­nen über den Ablauf und die mögliche Identität oder gar die Motive des Täters.

Ist er noch auf der Flucht? Oder ist er der Mann, den die Polizei kurz darauf offenbar festnimmt? Es sind Bilder, wie Deutschlan­d sie bisher nur aus anderen Städten kannte, aus Nizza zum Beispiel, wo im Juli ein Attentäter in einem Lastwagen über die Strandprom­enade mit Vollgas in eine Menschenme­nge hineinkrac­ht. Mehr als 80 Menschen kommen dabei ums Leben.

Der Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche ist einer der beliebtest­en in Berlin, Touristen wie Einheimisc­he besuchen ihn gleicherma­ßen gerne, weil er aus allen Richtungen gut erreichbar und nicht ganz so

Ein Passant ruft: „Vorsicht, er hat eine Waffe.“ Einer der beliebtest­en Weihnächts­märkte in Berlin

überlaufen wie andere Weihnachts­märkte ist.

Kaum hat die Nachricht von dem mutmaßlich­en Anschlag jedoch die Runde gemacht, macht Berlin gestern Abend allerdings einmal mehr seinen Ruf als Hauptstadt der Gaffer und Adabeis alle Ehre: Die Polizei muss die Schaulusti­gen mehrfach dazu auffordern, Zufahrten und Rettungswe­ge freizuhalt­en. „Wir arbeiten auf Hochtouren“, sagen die Einsatzkrä­fte.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Rettungskr­äfte sind vor der Gedächtnis­kirche in Berlin im Einsatz. Bei dem Anschlag mit einem Lastwagen auf einen Weihnachts­markt sind nach Angaben der Polizei neun Menschen getötet worden. Daneben gebe es mindestens 50 Verletzte, wie ein...

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